FRANKFURT/M. (pa) Die Bundesregierung will Flüchtlinge aus Afghanistan künftig verstärkt abschieben. Diese Absichtserklärung drang im Vorfeld der sonntäglichen Konferenz der Staats- und Regierungschefs aus den Staaten entlang der sogenannten Balkanroute nach außen. Was die Bundesregierung hier plant, steht in massivem Gegensatz zur Situation in Afghanistan, die instabiler ist als je in den letzten Jahren.
Der Konflikt hat in diesem Jahr mehr Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert als in den Vorjahren, berichtet die UN-Afghanistan-Mission. Zwischen Januar und Juni sind demnach 1592 Zivilisten getötet und 3329 weitere verletzt worden. Inzwischen gibt es mehr Opfer durch Kampfhandlungen am Boden als durch Attentate, Sprengsätze und ähnliches. "Die nackte Statistik ziviler Opfer spiegelt nicht in ausreichendem Maße den Horror der Gewalt in Afghanistan wieder", hatte Unama-Chef Nicholas Haysom zur Halbjahresstatistik erklärt.
Die FAZ berichtete am 6.10.2015 unter dem Titel "Scherbenhaufen Kundus", wie das Land seit zwei Jahren dem Abgrund entgegen schlittere. Die Eroberung und mehrtägige Besetzung von Kundus sei ein Wendepunkt für Afghanistan, galten doch die größeren Städte den modernen Eliten trotz regelmäßiger Bombenanschläge noch immer als relativ sicher vor dem Zugriff der Taliban. Damit sei es vorbei. Offenbar nicht für die Bundesregierung, die verstärkt abschieben will.
PRO ASYL kritisiert die Haltung der Bundesregierung als Weltfremdheit mit Vorsatz. Von den geplanten Abschiebungen könnten 7000 afghanische Schutzsuchende betroffen sein. Viele von Ihnen sind in Deutschland nur geduldet, weil die Rechtsprechungspraxis insbesondere die Abschiebung alleinstehender junger Männer für möglich hält – mit dem Tenor, diese hätten im relativ sicheren Kabul die Möglichkeit, sich als Tagelöhner über Wasser zu halten.
PRO ASYL hat die Bundesinnenministerkonferenz in den letzten Jahren immer wieder gebeten, aus der sehr zurückhaltenden Abschiebungspraxis aller Bundesländer die notwendige Konsequenz zu ziehen, und die lediglich geduldeten Afghanen mit einem Aufenthaltstitel zu versehen. Abgeschoben hatte man nämlich nur wenige afghanische Staatsangehörige, in der Regel Straftäter.
Diesen Zustand der Nichtabschiebung bei gleichzeitiger Verweigerung eines Status will die Bundesregierung offenbar jetzt beenden – zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Missbraucht werden soll die Debatte um das aufenthaltsrechtliche Schicksal der bereits hier lebenden zur Abschreckung derer, die sich aktuell in Afghanistan zur Flucht entschließen. In der Tat wollen sich viele Menschen in Afghanistan angesichts des Scherbenhaufens nach Kundus nicht mehr mit Verharmlosungen abspeisen lassen, welche neue Afghanistanstrategie des Westens auch immer verkündet wird.
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Kommentare
Thomas am Permanenter Link
Die derzeitigen politischen Entscheidung und auch Maßnahmen in der Asyl- und Flüchtlingspolitik mögen aus solche enthalten, die dem einen und anderen als wenig human oder sinnvoll erscheinen.
Das Hauptproblem scheint die teilweise Verweigerungshaltung einiger europäischer Staaten zu sein, die sich vehement weigern Flüchlinge aufzunehmen und sich damit überhaupt nicht solidarisch erklären.
Die wirtschschaftliche Situation der verschiedenen EU-Länder hinsichtlich ihrer finanziellen Beteiligung erscheint einleuchtend als Begründung dafür, die Flüchtlinge dann doch lieber nach Deutschland zu schicken. Aber, auch Deutschland wird nicht uneingeschränkt die finanziellen Mittel aufbringen können (und wollen). Denn es wird über kurz oder lange unmöglich sein, die zusätzlichen "Kosten" ohne bspw. Steuererhöhungen oder finanzielle Einschnitte in einigen Haushalten vornehmen zu müssen. Auch wenn derzeit Mrd. Euro Überschüsse vorhanden sind. Klar ist, dass die Flüchtlinge lieber nach Deutschland kommen, als bspw. in Ungarn zu bleiben, weil hinlänglich propagiert wurde, dass in Deutschland wohl eine stabilere wirtschaftliche Situation vorhanden ist, als in anderen Ländern. Dennoch ist es gefährlich, wenn Deutschland sich als "Wohltäter" der gesamten Welt nach außen hin darstellt. Auch Deutschland ist nur begrenzt leistungsfähig. Die Gesellschaft schaut sehr genau hin, was derzeit passiert. Damit gemeint sind ganz sicher nicht Gruppierungen wie die Pegida, die nicht beachtungswürdig sind. Aber das ganz normale, einfache Volk, Menschen, die jeden Tag oftmals bis an ihre Belastungsgrenze gehen müssen, um die Familie zu ernähren. Oder die andere Seite der Menschen, die keine Chance mehr haben auf dem Arbeitsmarkt und einfach nicht mehr gebraucht werden, auf Hartz IV angewiesen sind.
Und genau darin liegt derzeit die Kunst der Politiker. Einerseits zu vermeiden, durch eine unbedachte Äußerung zu zeigen, dass es sehr schwierig sein wird, diese Flüchtlingsströme in Deutschland zu bewältigen und damit verbunden dem Volk geringe Unsicherheiten preis zu geben.
Die derzeitigen Erkenntnisse zeigen, dass ein Großteil der Flüchtlinge aufgrund ihrer fehlenden Ausbildung überhaupt nicht in den Arbeitsmarkt integrationsfähig sind. Lediglich ein kleinerer Anteil könnte, nach Erlernen der deutschen Sprache, integriert werden. Die teilweise vertretene Meinung, dass die meisten Flüchtlinge sofort dazu beitragen, Geld in das Sozialsystem zu zahlen, ist schlichtweg falsch. Dies mag die jüngeren Flüchtlinge betreffen, die schnellstmöglich die Sprache erlernen wollen und können, aber auch erst nach einiger Zeit. Den Kindern wird es möglich sein. Aber was ist mit denjenigen, die bereits älter sind oder diejenigen, die nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden können? Diese Flüchtlinge werden ganz sicher das Sozialsystem Deutschlands belasten und ob die übrigen, integrierten Flüchtlinge, dieses Defizit in den nächsten 10 bis 20 Jahre auffangen können, dazu gibt es höchst unterschiedliche Auffassungen. Es wird kaum einen Zweifel daran geben, dass es zunächst zu weiteren Kostenfaktoren kommen wird, weil die Ausbildungsvoraussetzungen und Schulausbildungen eine rasche Integration auf dem Arbeitsmarkt nur für sehr wenige zeitnah möglich sein wird. Die Flüchtlingskinder, die in Deutschland zur Schule gehen, ihre Ausbildung machen werden, könnten dann in 20 Jahren dafür sorgen, sofern das die demographische Entwicklung "abgeschwächt" wird. Für Deutschland kann es tatsächlich eine Chance sein, aber eine nicht wirklich kalkulierbare Chance. Denn wir wissen nicht wirklich "wohin die Reise" geht.
Deshalb müssen sowohl zwischen den EU-Ländern eindeutige und klare Regelungen definiert werden. Zum anderen müssen die Situationen in den Herkunftsländern verbessert werden, so dass die Menschen nicht mehr fliehen.
Dies ist nicht nur eine Aufgabe der EU, sondern der Weltgemeinschaft, auch mit den USA, mit Russsland, der EU gemeinsam. Solange es keine Gemeinsamkeiten gibt, wird das Vorhaben scheitern.