„Es muss ein Miteinander sein“

Beispielbild
Blick aus der Kanzlei
Unterschiedliche Handhabung der Rechtsberatung

hpd: Manche Betroffenen haben Probleme, einen Beratungshilfeschein für Ihre Dienste ausgestellt zu bekommen, vor allem, da Sie in Trier sitzen und viele der Betroffenen über die Republik verteilt leben.

Nieporte: Das Problem ist, dass die Beratungshilfescheine vom entsprechenden Bundesland ausgegeben werden. Diese stellen eine Unterstützung für Personen dar, die keine eigenen Mittel haben und die sich die Rechtsberatung beim Anwalt deshalb nicht leisten können. Wenn es einen Grund für eine Beratung gibt, stellt das entsprechende Bundesland die finanziellen Mittel zur Verfügung, um eine Beratung durchzuführen. Es ist nicht viel, kein Anwalt reißt sich darum, über einen Beratungshilfeschein eine Beratung zu leisten. Für manche Bundesländer ist das offensichtlich noch zu viel Geld, das dafür ausgegeben wird, so dass es dort Veränderungen in der Gesetzgebung gibt. In den Ländern Bremen und Hamburg beispielsweise werden die Beratungshilfescheine nicht ausgegeben, sondern es sitzt jemand vor Ort im Gericht, der eine Beratung durchführt. Ob diese Person sich im Einzelfall auskennt, ob diese Beratung ohne Hintergrundinformationen tatsächlich seriös erfolgen kann – darauf möchte ich nicht näher eingehen, aber Zweifel sind durchaus angebracht.

Dass diese mittellosen Personen in den entsprechenden Bundesländern benachteiligt sind, soll intern ausgeglichen werden. Zum Beispiel sollten diese Personen über den VeH unterstützt werden. Damit könnten bedürftige Personen, die keinen Beratungshilfeschein bekommen, dennoch die Möglichkeit erhalten, ihre Vollmacht abzugeben und am Runden Tisch mit vertreten zu werden. Allerdings verfügt der VeH auch nicht über entsprechende Mittel, eine Förderung wäre hier sehr willkommen.

hpd: Wünschenswert ist also, dass die Amtsgerichte die Notwendigkeit erkennen, einen Beratungshilfeschein für die vorstelligen Betroffenen auszustellen. Geschieht dies denn auch?

Nieporte: Auf dem Beratungshilfeschein steht, dass eine Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage im Hinblick auf die Heimunterbringung vorgenommen werden soll. Es geht hierbei um eine Prüfung von Ansprüchen auf Schadensersatz, Schmerzensgeld und weiterer etwaiger Ansprüche gegen die Träger. Ich berate auch nicht den Verein ehemaliger Heimkinder, sondern die einzelne Person, von dieser erhalte ich auch die Vollmacht. In der Regel werden diese Beratungshilfescheine auch ausgestellt, was für die mittellosen Betroffenen eine finanzielle Hilfe darstellt. Es muss aber auch hinzugefügt werden, dass hierauf ein Rechtsanspruch besteht. Nachdem ich auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht habe, wurde auch Gebrauch davon gemacht, weshalb ich auch von vielen mittellosen Betroffenen beauftragt worden bin.

Ich hoffe, dass man sich am Runden Tisch dieser Legitimation nicht versperrt, vor allem dann, wenn sie in der Masse besteht. Denn bis jetzt war es offensichtlich so, dass man am Runden Tisch gesehen hat, dass es einen Verein ehemaliger Heimkinder gibt, der einen Teil der Opfer repräsentiert – und auch den größten, das darf man schon sagen. Gleichwohl gibt aber doch viel mehr Opfer. Und dass der Verein sich zum Sprachrohr macht, ist eine Sache. Man darf dennoch die Interessen der Einzelnen nicht vernachlässigen. Diese Interessen, diese Schicksale gehören an den Runden Tisch, nicht der Verein. Der Verein ist ja selbst lediglich eine Interessenvertretung, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

„Wir können uns organisieren“

hpd: Eingangs erzählten Sie von Ihrem kleinen „Runden Tisch“ in Trier. Haben Sie denn auch schon mit Vertretern von Institutionen gesprochen?

Nieporte: Nein. Dieser „Runde Tisch“ in Trier ist ja primär nicht für Deutschland eingerichtet worden, sondern für Österreich. Mein Mandat bezog sich auf Österreich, in Deutschland kann ich nur tätig werden, wenn ich hier ein Mandat habe. Deshalb gab es bisher keinen Anlass, mit einer hiesigen Institution zu sprechen.
 

hpd: Sie haben jetzt mehrere Mandate...

Nieporte: Ja, jetzt habe ich die Legitimation, kann mit Institutionen sprechen, kann mit dem Runden Tisch in Berlin sprechen, gern auch mit Vertretern aus verschiedenen Bundesländern. Und zwar schnell, um eine Lösung zu finden, die für alle Betroffenen machbar ist und letzten Endes so etwas wie einen Frieden herstellt. Das kommt im Übrigen einer Art Schlichtung sehr nahe.
 

hpd: Ihr Ansatz erinnert mich auch eher an eine Mediation als an ein juristisches Vorgehen. Sie kommen nicht an und drohen mit Paragraphen.

Nieporte: Doch, schon, ich komme mit klaren Vorstellungen. Ich glaube, das wird bereits dadurch deutlich, dass die Betroffenen zeigen: Wir können uns organisieren. Wir beauftragen jemanden mit der Durchführung unserer Klagen. Selbstverständlich ist die juristische Seite lediglich ein Gepäckstück unter mehreren. Ein anderes ist die Art und Weise des Umgangs miteinander, die Form, das Verfahren. Sehr wichtig ist auch die Einschätzung dessen, was gewollt und was machbar ist. Aber ohne juristischen Sachverstand wird es nicht gehen, im Übrigen besteht diese Einstellung auch am Runden Tisch in Berlin.
 

hpd: Was unterscheidet Sie denn von der vorherigen Anwaltskanzlei, die den Verein ehemaliger Heimkinder vertreten hat?

Nieporte: Die Vorgehensweise, nehme ich mal an. Der Kollege aus Hamburg ist an den Tisch herangetreten und hat seine Forderungen in einer – wie ich meine, voreilig – zu klaren Form gestellt, ohne dass es vorher eine Kommunikation gab. Kommunikation ist wichtig, gerade in einem solch heiklen Bereich, in dem es um einen sogenannten Ausgleich zwischen Täter und Opfer geht. Wobei die Personen, die sich am Runden Tisch befinden, ja nicht wirklich „Täter“ sind, sondern die Aufgabe haben, eine Lösung auszuarbeiten, die einen Ausgleich schafft. Das ist aber auch der Grund, weshalb ich von der Arbeit des Runden Tisches nicht begeistert bin: Ich habe nicht den Eindruck, dass das sein Ziel ist. Jedenfalls drängt sich das mir nicht gerade auf. Der Runde Tisch ist ja nicht Täter, das sollte man auch nicht verqueren, sondern der Runde Tisch hat eine ganz klare Aufgabe: Dieses Problem zu lösen und den Opfern gegebenenfalls bestmöglich gerecht zu werden.

Allgemein verbindliche Lösung durch den Runden Tisch

Jetzt muss man abgrenzen: Was kann der Runde Tisch für den Einzelnen mehr oder besser, als es die Gerichte tun könnten? Anderenfalls könnte man mit jedem Einzelnen auch vor das Gericht gehen. Ein Vorteil des Runden Tisches ist, dass er die Probleme gemeinsam und allgemein verbindlich lösen kann. Ein Urteil ist nur im Einzelfall verbindlich, auch wenn es natürlich wegweisend sein kann. Indem der Runde Tisch in Berlin aber eine breite Akzeptanz in der Opfergruppe bekommt, kann auch das Ergebnis schneller allgemein angenommen werden. In Deutschland gibt es keine Sammelklage, es müsste also jeder Einzelne individuell klagen.

Es geht deshalb auch darum, dem Runden Tisch deutlich zu machen - und deswegen hat er zunächst nichts zu befürchten, aber das muss nicht immer so bleiben: Die Opfer sind durchaus in der Lage, sich zu organisieren, möglicherweise eine Kanzlei damit zu beauftragen und dann für jeden Einzelnen eine entsprechende Klage zu fertigen. Wenn bei all den Klagen bezüglich der Verjährung bis zur höchstrichterlichen Rechtssprechung ein einziges Mal das Ergebnis bestätigt werden würde, dass hier tatsächlich institutionalisiertes Unrecht geschieht, kann sich der Staat aufgrund dessen nicht auf die Verjährung berufen. Ein solches Urteil wäre für den Staat eine sehr große Belastung und ginge auch auf Kosten des herzustellenden sozialen Friedens.

Gemäß der Radbruch‘schen Formel – benannt nach dem Rechtsphilosophen Gustav Radbruch –, welche auch in den Mauerschützenfällen zur Anwendung kam, kann sich der Staat nicht auf institutionalisiertes Unrecht berufen. Der Einzelne, ebenso wie der Staat, kann sich also nicht darauf berufen, „nach dem Gesetz gehandelt“ zu haben, wenn das Gesetz menschenverachtend war. Der äußerste Maßstab bleiben das Grundgesetz und die Menschenrechtskonventionen. Wir reden von der Zeit nach 1939, nach 1945 und bei allem, was in den Fünfziger, Sechziger, Siebziger Jahren geschah, haben wir auf jeden Fall das Grundgesetz. Für andere Zeiträume muss es eine politische Entscheidung geben, denn auch wenn die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland z.B. in der ehemaligen DDR keine Anwendung gefunden hat, kann es keine ehemaligen Heimkinder zweiter Klasse geben.
 

hpd: Nach dem Motto: Pech gehabt, ihr seid zu früh im Heim gewesen.

Nieporte: Genau so. Deshalb habe ich dem Verein mitgeteilt, dass sich alle Betroffenen melden sollen. Egal ob aus dem Osten, das heißt aus der ehemaligen DDR, aus dem Westen, und völlig egal aus welchem Jahrgang: Sie sind Opfer eines Systems, eines Unrechtsystems. Eine Ausgrenzung verbietet sich hier aus menschlichen wie aus politischen Gründen.
 

hpd: Sie vertreten damit auch alle, die vom Runden Tisch ausgeschlossen worden sind.

Nieporte: Ja. Dieser Ausschluss ist nicht in Ordnung, es ist ein Denken in Klassen, aber die Strukturen waren ja nicht wesentlich unterschiedlich. Dass man Betroffene aus den Neunziger Jahren ausklammert, kann ich verstehen, obwohl auch aus dieser Zeit manche Personen genauso behandelt worden sind. Für sie ist die Verjährung allerdings unstreitig noch nicht eingetreten, die Berufung auf institutionelles Unrecht ist nach meiner Auffassung hier nicht mehr zutreffend. Bezüglich der Anderen ist die Verjährung aber doch offensichtlich streitig. Ich sag’s noch mal: Dass sie streitig gestellt wird, ist eine Ohrfeige für die Opfer.

hpd: Herr Nieporte, ich bedanke mich für das Gespräch.

Nieporte: Gerne, ich bedanke mich ebenfalls bei Ihnen.

Das Interview mit Rechtsanwalt Nieporte führte Fiona Lorenz

Kontaktdaten RA Robert Nieporte

Spendenmöglichkeit beim Verein ehemaliger Heimkinder