„Warnschussarrest" und „Killerspiel"-Verbot

HAMBURG/BERLIN. Seit spätestens 2004 denkt der Hamburger Innensenator Udo Nagel

(parteilos) darüber nach, wie man mit der steigenden Gewaltkriminalität von Jugendlichen besser fertig werden würde.
Im Mai 2004 wurde über den <Bundesrat> ein „Gesetzentwurf zur Stärkung des Jugendstrafrechts" beim Bundestag eingebracht. Unter anderem war darin vorgesehen: „Den Jugendrichtern sollen flexiblere und effektivere Handlungsinstrumente zur Verfügung gestellt werden. So ist z.B. vorgesehen, das Fahrverbot als eigenständige Maßnahme auszubauen. Dadurch kommt das Fahrverbot bei allen Taten als Sanktion in Frage. Bisher ist die Verhängung nur bei Taten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr möglich. Gerade junge Menschen können durch Fahrverbote aber zum Nachdenken angehalten werden, weil diese ihrem Führerschein große Bedeutung beimessen. Es soll auch ein „Warnschussarrest" eingeführt werden, um dem Jugendlichen den Ernst seiner Situation vor Augen zu führen. Auf Heranwachsende (Menschen zwischen 18 und 21) soll Jugendstrafrecht nur noch im Ausnahmefall angewendet werden."

Bereits die Wortwahl eines "Warnschussarrestes" verdeutlichte, dass es sich dabei nicht um die Mentalität und Möglichkeiten von Sozialarbeitern handelte.

Als nächstes forderte Mitte <Dezember 2004> der Hamburger Landgerichtspräsident Kai-Volker Öhlrich, in besonders auffälligen Stadtteilen Sperrbezirke einzurichten, in denen das Tragen von Messern generell verboten sein solle. Wer sich nicht daran halte, könne nach dem Hamburgischen Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) präventiv kurz in Haft genommen werden. Der Geschäftsführer der Gewerkschaft der Polizei, Jürgen Lamp, meinte dazu, das sei ein „interessanter Vorschlag, über den man nachdenken sollte." Er sah einzig das Problem in der Überwachung und Einhaltung eines solchen Verbots.

Anfang <Januar 2007> sagt der Hamburger Polizeipräsident Werner Jantosch der zunehmenden Jugendkriminalität den Kampf an und beauftragt das Landeskriminalamt, die Ursachen für die steigende Gewaltkriminalität zu erforschen und daraus Ansätze für polizeiliche Maßnahmen zu entwickeln. Nach Einschätzung der Innenbehörde handele es sich dabei um ein bundesweites Phänomen. Aus diesem Grund hat Innensenator Nagel Vertreter aller Landesinnenministerien und des Bundesinnenministeriums für den 22. bis 24. Januar nach Hamburg eingeladen.

Die <Ergebnisse> dieser dreitägigen Fachkonferenz "Handeln gegen Jugendgewalt" entsprachen den Vorbereitungen: Die Jugendgewalt soll mit Staatsgewalt bekämpft werden: 40 Teilnehmer aus allen Bundesländern erarbeiteten 100 praktische Maßnahmen und Empfehlungen, die jetzt umgesetzt werden sollen.

Konkrete Maßnahmen auf Bundesebene u.a.:

  • Veränderung des Haftrechtes, um die Inhaftnahme jugendlicher Gewalttäter zu erleichtern
  • regelhafte Anwendung des allgemeinen Strafrechts auch für Heranwachsende (18- bis 20-jährige Gewalttäter).
  • Einführung eines „Warnschussarrestes", d.h., eine mehrtägige bis 4-wöchige Haft für jugendliche Gewalttäter.
  • Einführung eines Waffentrageverbotes für bestimmte Gebiete.
  • Verbot von so genannten Killerspielen als Signal, dass die Gesellschaft virtuelles Töten nicht toleriert.
  • erleichterte Möglichkeit für Familiengerichte, Weisungen für Eltern und Kinder erlassen zu können.
  • erleichterte Möglichkeit der Unterbringung und des Sorgerechts-Entzuges.
  • Antragsrecht des Jugendamtes für erzieherische Maßnahmen beim Familiengericht auch ohne vorherigen Sorgerechtsentzug.

Innensenator Udo Nagel: „Ich bin den Ergebnissen der Fachkonferenz sehr zufrieden. Ich bin zuversichtlich, dass wir die bereits jetzt schon bestehenden, vielfältigen erfolgreichen Kooperationen in einem effektiven Netzwerk gegen Gewalt fortsetzen können."
Der Innensenator wird diese Maßnahmen auf der nächsten Innenministerkonferenz in Berlin vorstellen. Bund und Länder werden zeitnah von den Ergebnissen dieser Fachkonferenz unterrichtet.

Anlässlich dieser Vorschläge zur "Eindämmung der Jugendgewalt" erklärte Jochen Goerdeler, Geschäftsführer der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ) und Mitglied im Bundesvorstand der Humanistischen Union: "Der Ausflug von Hamburgs Innensenator Udo Nagel in das Jugendstrafrecht war wohl eher eine Bauchlandung. Wer den so genannten Warnschuss als Maßnahme zur Reduzierung von Jugendgewalt vorschlägt, offenbart eher Unkenntnis als Expertentum. Die zur Bewährung ausgesetzte Jugendstrafe weist eine Rückfallquote von 60 % auf. Der Arrest weist eine Rückfälligkeit von 70 % auf. Wie durch zusätzlich Arrestverhängung die Bewährungsstrafe wirksamer gemacht werden soll, bleibt wohl ein Expertengeheimnis."

Ähnlich merkwürdig sei der Vorschlag, Rückfallkriminalität durch die Einbeziehung der Heranwachsenden in das Erwachsenenstrafrecht "einzudämmen". Dazu Jochen Goerdeler: "Nagel stellt ein zentrales Gütemerkmal unseres Jugendstrafrechts in Frage: Wenn junge Erwachsene grundsätzlich nach allgemeinem Strafrecht behandelt werden, können nur noch Freiheitsstrafe und Geldstrafe verhängt werden - das differenzierte Instrumentarium des Jugendstrafrechts wäre dann nicht mehr anwendbar. Wem ist damit geholfen, wenn ich bspw. gegen die Teilnehmer einer Pausenhofschlägerei Geldstrafen verhänge (die meistens dann die Eltern bezahlen)? Ein Anti-Gewalt-Kurs oder ein sozialer Trainingskurs kann nach allgemeinem Strafrecht nicht verhängt werden."

Das Jugendstrafrecht sei mitnichten das mildere Recht: Es ermögliche, differenzierter zu reagieren, verlange den Verurteilten aber tendenziell mehr ab, gerade auch an aktiver Auseinandersetzung mit ihrer Tat und dem Opfer. Goerdeler: "Es mögen einige gute Vorschläge bei der Konferenz entstanden sein. Nagel diskreditiert sie aber durch die populistischen und kriminalpolitisch kontraproduktiven 'Gassenhauer', die er vorschlägt."

Insgesamt sei erkennbar, dass der Innensenator mehr auf Ausgrenzung auffällig werdender junger Menschen setze, als ihre Integration zu fördern. Goerdeler: "In der Kriminologie ergibt sich das recht klare Bild, dass Delinquenz entsteht, wenn die Einbindung in die informelle Sozialkontrolle gestört ist. Soziales Kapital ist entscheidend für eine unauffällige Lebensführung. Erleichterte Inhaftierungen von Jugendlichen grenzen hingegen aus und zerstören die Einbindung." Der Häftlingsmord von Siegburg habe zudem gezeigt, dass man gegenwärtig nicht von resozialisierungsförderlichen Bedingungen in den Jugendstrafanstalten ausgehen könne.

Auch den Vorschlägen, leichtere Zwangsmaßnahmen im Familienrecht zu ermöglichen, steht Goerdeler skeptisch gegenüber: "Es sind in den letzten Wochen und Monaten schlimme Fälle von gravierenden Kindesmisshandlung und sogar Kindstötungen offenkundig geworden. Jugendhilfe funktioniert im allgemeinen aber auf der Grundlage von Vertrauen. Dieses Grundkapital darf man nicht zerstören, sonst wird die Vermeidung von Kindeswohlgefährdungen noch schwieriger."