(hpd) Stefan Klein veranschaulicht, „dass Egoisten nur kurzfristig besser abschneiden, auf lange Sicht aber meist Menschen weiterkommen, die sich auch für das Wohl anderer einsetzen“. Für seine Grundpositionen kann er eine Fülle von Erkenntnissen aus so unterschiedlichen Disziplinen wie Evolution, Genetik, Geschichte, Hirnforschung, Sozialpsychologie und Wirtschaftswissenschaften anführen.
Nach der Auffassung vom Homo oeconomicus interessiert sich der Mensch bei seinen sozialen Handlungen in erster Linie für den dabei zu erlangenden persönlichen Gewinn. Diese Einstellung hat großen Anteil sowohl für das Denken im Alltag wie im Wirtschaftsteil der Zeitungen. Auch in der Diskussion über Moral und den Kontroversen über Politik kann man diese Grundposition immer wieder ausmachen. Handelt es sich aber bei dem damit angesprochene Egoismus tatsächlich um die dominierende Einstellung? Und: Bringt ein solches Denken sowohl die Einzelnen wie die Gesellschaft voran? Diese Fragen beantwortet der Philosoph und Physiker Stefan Klein, der als erfolgreichster Wissenschaftsautor deutscher Sprache gilt, mit „Nein“. In seinem neuen Buch „Der Sinn des Gebens. Warum Selbstlosigkeit in der Evolution siegt und wir mit Egoismus nicht weiterkommen“ nimmt er eine gegenteilige Position ein. Dabei stützt sich Kleins Argumentation auf empirische Fakten der Forschung und nicht auf realitätsferne Ideale von Utopien.
Zu seinen Belegen gehören Beispiele selbstlosen Handelns im Alltagsleben, Beobachtungen über das Verhalten in der Tierwelt, Erkenntnisse zur Evolution des Menschen, Experimente aus der psychologischen Forschung, Moralvorstellungen in unterschiedlichen Kulturen, Resultate spieltheoretischer Überlegungen in der Philosophie oder Vergleiche der Situation in unterschiedlichen Ländern. „Eine zentrale Erkenntnis dabei ist“, so Klein, „dass Egoisten nur kurzfristig besser abschneiden, auf lange Sicht aber meist Menschen weiterkommen, die sich auch für das Wohl anderer einsetzen“ (S. 11). Der erste Teil des Buches veranschaulicht demnach, dass sich Kooperation und Selbstlosigkeit langfristig lohnen sowie Empathie und Vertrauen dabei besonders bedeutsam sind. Im zweiten Teil fragt Klein nach den Gründen für die Herausbildung der damit zusammenhängenden Fähigkeiten, wobei hier die Geschichte der Evolution im Zentrum der Betrachtung steht. Dabei geht es auch um das besondere Problem einer Grenze für Selbstlosigkeit nur in der Eigengruppe.
Bilanzierend betrachtet heißt es: „Zahllose Untersuchungen und noch mehr Lebensgeschichten haben die Hoffnung widerlegt, dass mehr Geld und mehr Freizeit Menschen auf Dauer glücklicher machen. Umgekehrt bestätigen viele Ergebnisse ... : Wer freiwillig etwas für andere tut, verschafft sich nicht nur für den Moment gute Gefühle, er steigert auch langfristig seine Lebenszufriedenheit“ (S. 279). Demnach stellten Altruismus und Egoismus keine unvereinbaren Gegenpole dar, und ein dualistisches Denken in diesen Dimensionen müsse überwunden werden. Weiter bemerkt Klein: „Unsere Beziehungen wirken wie ein Resonanzkörper – alles, was wir tun, wird in ihnen verstärkt. Wohlwollen bringt neue Akte des Wohlwollens hervor; das Vertrauen zwischen den Menschen nimmt zu. ... Die Angst ausgenutzt zu werden, verschwindet mit der Zeit, und mit dem Mut zu geben wächst eine Empfindung der Freiheit. Am Anfang einer Reise steht Neugier. ... Denn Selbstlosigkeit macht uns glücklich und verändert die Welt“ (S. 282).
Dieser letzte Satz klingt wie der idealistische, aber wirklichkeitsfremde Traum von einer besseren Welt. Für die damit einhergehende Grundauffassung lassen sich aber eine Reihe eindrucksvoller Belege aus so unterschiedlichen Bereichen wie der Genetik, Hirnforschung, Sozialpsychologie oder Wirtschaftswissenschaft vorbringen. Klein gelingt es, diesen Stand der Forschung anschaulich und spannend zu beschreiben. Hier und da hätte man sich dabei eine etwas klarere Strukturierung und systematischere Zuspitzung gewünscht. Gleichwohl geht durch diese Darstellungsform nichts vom intellektuellen Reiz der Beschreibung von Einzelbeispielen und Forschungsergebnissen verloren. Der Autor weist auch auf Probleme wie die Grenzen oder den Missbrauch von Selbstlosigkeit hin. Nur am Rande zieht er aus seinen Erkenntnissen aber Konsequenzen für die Gestaltung von Politik. Allein die Feststellung, dass Volkswirtschaften, die mehr auf Vertrauen und weniger auf Bereicherung setzten, schneller als andere wachsen, sagt aber schon viel aus.
Armin Pfahl-Traughber
Stefan Klein, Der Sinn des Gebens. Warum Selbstlosigkeit in der Evolution siegt und wir mit Egoismus nicht weiterkommen, Frankfurt/M. 2010 (S. Fischer-Verlag), 335 S., 1