(hpd) An sich ist man ja eher skeptisch, wenn nach nur fünf Jahren schon wieder eine Festschrift zu Ehren desselben Jubilars erscheint. Aber diese Skepsis legt sich bald, denn die neue Festschrift zu Ehren des 70 Jahre alt gewordenen Soziologieprofessors ist keine Lobhudelei, sondern eine weitere Bereicherung der in Deutschland edierten Sachliteratur und unserer Kulturlandschaft überhaupt.
Ein Blick auf die Themen, mit denen sich die Beiträger zu diesem Band befassen, bestätigt dieses Urteil. Fast jeder dieser zahlreichen Beiträge zu aktuellen Themen der Philosophie, Anthropologie, Soziologie, des Feminismus, der Religions- und Kirchenkritik will ohne Rücksicht auf den Jubilar die Sache selbst vorantreiben, ergänzt, vertieft, erweitert und bestätigt aber gerade auf diese indirekte Art und Weise die Forschungen, Überlegungen, Intuitionen und Inspirationen des Geehrten, der zu all diesen Themen in jahrelanger intensiver Arbeit bereits Beiträge geliefert hatte.
Die Vielfalt der Interessengebiete Horst Herrmanns ist enorm und auch diese zweite Festschrift spiegelt sie wieder. Dieser Mann, der aus der kalten Kirche kam und da die eher sterile Disziplin des Kirchenrechts dozierte, wagte den Sprung in die für ihn anfangs noch Neuland darstellende Soziologie und hat sie inzwischen mit einer ganzen Reihe vorher nicht in den Blick genommener oder nur wenig beachteter Themenkomplexe bereichert.
Es ist also nicht bloß die Kirchenkritik, der sich Horst Herrmann nach seinem Austritt aus der Kirche im Gleichschritt mit Deschner, Drewermann, Mynarek und anderen zunächst vornehmlich widmete, vielmehr erschloss sich dieser wache, stets interessierte Geist immer neue Bereiche in Theorie und Praxis, immer neue Wissenschaftsdisziplinen und Lebensaspekte, zu denen er jeweils ein gewichtiges Wort mitzureden hatte.
Es tut der hohen Qualität der Festschrift zum 70. Geburtstat Horst Herrmanns sicher keinen Abbruch, wenn der Rezensent aus seiner Sicht ein paar Misstöne anspricht. Es zeugt zwar von der Liberalität und Toleranzbreite des Jubilars, wenn dieser auch einen erzkonservativen, erzreaktionären katholischen Priester in seiner Festschrift mit einem eigenen Beitrag zu Wort kommen lässt. Aber die Worte dieses Priesters, seines Zeichens Oberer des deutschen Distrikts der vorkonziliaren, mittelalterlich geformten Priesterbruderschaft St. Pius X., in seinem Beitrag zur Festschrift sind ein Skandal, wenn man an die fast 2000 Jahre lange Kriminalgeschichte gerade der katholischen Kirche oder auch nur an die gerade in neuester Zeit zu Tage getretenen zahllosen Schandtaten von Priestern an Kindern und Jugendlichen denkt. Angesichts dieser gewaltigen Schutthalden an Vergehen wagt es dieser Priester, seinen Beitrag unter das Motto zu stellen: „Ohne Priester aber keine Gnade … Folglich führt der Weg zur Erneuerung von Kirche und Gesellschaft über die Erneuerung des Priestertums“. Und er zitiert als Gewährsmann noch obendrein den hl. Pfarrer von Ars mit vollster Zustimmung: „Lasst eine Gemeinde zwanzig Jahre ohne Priester sein, und man betet dort die Tiere an“.
Gott sei Dank, möchte der Rezensent fast sagen, zeichnen die anderen kirchenkritischen Ausführungen in diesem Sammelband, insbesondere die von Carsten Frerk und Gerd Lüdemann ein objektiv überzeugendes, realistisches und illusionsloses Bild der Kirche.
Der Jubilar möge dem Rezensenten seine marginale Kritik nachsehen. Letzterer hat in seinem ganzen Leben noch kein Buch gefunden, das gegen jegliche Kritik absolut gefeit gewesen wäre. »Errare humanum est« und »nihil perfectum est in terra«!
Hubertus Mynarek
Yvonne Boenke (Hrsg.): "Lieber einen Knick in der Biographie als einen im Rückgrat" - Festschrift zum 70. Geburtstag von Horst Herrmann, Münster 2010, 460 S., 2 Farbabb., Tab., br., Farbcover, Werkverzeichnis, ISBN 978-3-933060-31-0, EUR 29,80