WIEN. (hpd) Ich bin ganz aufgeregt. Seit zehn Jahren wohne ich in Wien Ottakring. Vor wenigen Tagen hatte ich meine erste heftigere Auseinandersetzung mit einem Menschen mit Migrationshintergrund aus der Gegend. Wild West in einer ‚No-Go-Area’, sozusagen. Wenn man den Blauen der FPÖ glaubt. Eine Analyse.
Ein Spaziergang mit meinem Hund über den Brunnenmarkt. Schön und anstrengend. Für Dingo sind die vielen Gerüche und Geräusche aufregend. Er wird bald acht Monate alt und muss erst die Welt entdecken. Bei diesen Spaziergängen halte ich ihn an der kurzen Leine. Zumal es ganz schön wurlen kann am Brunnenmarkt. Unnötig, dass sich Leute fürchten, wenn ihnen der Hund zu nahe kommt und sie beschnuppern oder per Schlecken begrüßen will. Zugegeben, ein etwas langsames Gehtempo. Nur, wenn nicht gerade Stau ist in der Menschenmenge, kann man problemlos vorbei. Auch an engen Stellen wie vor dem Friseur an der Ecke zur Grundsteingasse.
Das konnte auch ein eher ärmlich gekleideter junger Mann. Was ihm nicht reichte. „Geh gefälligst schneller mit deinem Hund“, hat er mich im Vorbeigehen angefahren. Ich bin an sich ein friedliebender Mensch und habe als jemand, der selbst lange Angst vor Hunden hatte, Verständnis für Menschen, die keine Hunde mögen. Nur, anfahren lass ich mich nicht. „Das kannst du auch normal sagen“, hab ich dem 20- bis 25-Jährigen nachgerufen.
Der offenbar türkischstämmige Mann pflanzte sich vor mir auf: „Was willst du?“ usw. usf. Ich versuchte ihm nochmals klarzumachen, dass ich einfach nur einigermaßen höfliche Umgangsformen erwartete, was mir die Bezeichnung Idiot eintrug. Er habe es eilig.
Danach war ich auch nicht mehr ganz so höflich. Der verbale Austausch war von meiner Seite her nicht nett, er war wesentlich aggressiver drauf und wollte es sich mit mir in der Grundsteingasse hinter einem Baugerüst „ausmachen“. Woraufhin ich ihm anbot, das doch bei der Polizei zu klären, die keine zwanzig Meter entfernt ist. Eine Frau schaltete sich ein und bot an, mir zu helfen - was ich dankend ablehnte. Der unangenehme Zeitgenosse war ohnehin dabei, fluchend zu verschwinden. Sein Plan, eine Schlägerei anzuzetteln, war nicht aufgegangen.
Meine Hunde haben eine österreichische Staatsbürgerschaft...
Die Frau, die mir Hilfe anbot, erging sich in einer Tirade: „Ich hab nichts gegen Ausländer, aber wenn sie streiten wegen meiner Hunde, sage ich ihnen: Meine Hunde haben eine österreichische Staatsbürgerschaft und du nicht.“ Ich versuchte, sie ein wenig zu kalmieren: „Trotteln gibt’s überall“.
Ein banaler Zwischenfall. Ein Idiot zettelt einen Streit an. Der wird gleich zum Integrationsproblem hochstilisiert. Ginge es nach der FPÖ, müsste ich deren Hotline gegen Inländerdiskriminierung anrufen. Wobei ich mir nicht sicher bin, inwieweit ich hier diskriminiert worden sein soll, aber freuen täten sie sich über meinen Anruf.
Der junge Mann war offenkundig frustriert. Vielleicht hatte er den Job verloren, seine Freundin hatte ihn verlassen, vielleicht war’s ein Streit mit einem guten Freund. Was weiß ich. Es ist mir offen gestanden auch eher egal. Er wollte seinen wahrscheinlich sogar verständlichen Frust an irgendjemandem abreagieren. Dass er Türke zweiter Generation ist, war möglicherweise entscheidend, dass er sich einen Hundebesitzer, in dem Fall mich, ausgesucht hat. (Türken mögen überdurchschnittlich oft keine Hunde, es gibt aber auch sehr viele Ausnahmen). Hätte er keinen Migrationshintergrund gehabt, wäre er vielleicht den Passanten neben mir angegangen oder einen türkischstämmigen Standl-Besitzer. Irgendjemanden hätte es getroffen. Ein zorniger junger Mann, der nicht gelernt hat, mit Frustrationen und Aggressionen umzugehen. Da gibt’s viele.
Es gibt auch ältere Männer, die das nicht können. So wie ein Radfahrer mit ausgeprägten FPÖ-Sympathien, der mich vor wenigen Jahren auf offener Straße ohrfeigte. In seinem Fall würde jeder Mensch, der seine fünf Sinne beisammen hat, das Ereignis auf die Biografie des Angreifenden zurückführen. Soweit ich das aus seinem damaligen Verhalten ableiten kann, würde ich sagen: Eher ungebildet, relativ gutes Einkommen (das Fahrrad war teuer) und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gewalttätige Zusammenstöße in der Vergangenheit.
Im jüngsten Fall bietet sich auch für an sich vernunftbegabte Menschen die ‚Erklärung’ an, der junge Mann habe ein ‚Integrationsproblem’. Der Reisepass und/oder das (vermeintliche) religiöse Bekenntnis, ob ausgelebt oder nicht, sind genug, um einen banalen Zwischenfall zum Beweis für das Scheitern der Zuwanderungspolitik hoch zu stilisieren. Nachfragen tut kaum jemand, das System wird selbstreflexiv.
So oder so ähnlich laufen die meisten sogenannten Integrationsprobleme ab. Der Idiot von nebenan wird nicht mehr als das gesehen, was er ist: Als Idiot von nebenan. Er ist lebender Beweis, dass „die“ sich nicht „anpassen“ wollen/können. Hat man sich früher in Gemeindebauten über spielende Kinder gefreut oder fallweise auch geärgert, schimpft man heute über die lauten „Türkenkinder“. Wobei sicher eine Rolle spielt, dass viele BewohnerInnen von Gemeindebauten älter geworden sind und sich mit Kinderlärm schwerer tun als vor zwanzig Jahren. Nur kommen immer weniger Menschen auf die Idee, die lärmenden Kinder als das zu sehen, was sie sind: Lärmende Kinder. Und, sollten sich, wie früher auch, Konflikte zwischen denen ergeben, die spielende Kinder als lästig empfinden, und den Müttern der Kinder, wird auch das als Beweis für die Integrationsunwilligkeit/unfähigkeit der „Ausländer“ herangezogen. Welch bestechende Logik.
Das Integrationsproblem, was wir haben, ist großteils ein soziales.
ZuwanderInnen haben es bedeutend schwerer in Schulen und am Arbeitsmarkt. Das führt zu Armut, Ghettobildung usw. In Gegenden, wo es keine oder wenige „Ausländer“ gibt, gibt es die gleichen Probleme mit „Inländern“. Dort schimpft man über die „Proleten“. Auch das ist kein Ansatz zur Problemlösung. Nur einer, um die eigenen Zukunftsängste an irgendjemandem abzureagieren. Womit man genauso dumm reagiert wie der junge Mann, der mich angepöbelt hat. Wie er fühlt man sich vermutlich dann auch besser. Am eigenen Leben hat sich nichts geändert. An den Problemen sowieso nicht. Und die FPÖ bekommt 25 Prozent der Stimmen.