Säkulare Buskampagne 2019 – Tag 12: Trier

Die Verquickung von Staat und Kirche, verkörpert durch eine Stadt

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Die säkulare Buskampagne in Trier

Am zwölften Kampagnen-Tag führte Michael Schmidt-Salomon durch seine Heimatstadt, über die er detailliert zu berichten wusste. In der weitläufigen Fußgängerzone fand ein Teil der Führung ohne Bus statt. In der Stadt des Staatschristentums besichtigte die Gruppe mehrere Kirchen, aber auch die Gegenbewegung zu den Kirchen wurde in der Marxstadt deutlich.

Zunächst galt es 187 Kilometer in die älteste Stadt Deutschlands zu absolvieren. Heute war zum ersten Mal der "Geldhamster" mit von der Partie: Eine Skulptur der gbs Rhein-Neckar, gebaut von ihrem Mitglied Bernd Kammermeier, der in den verschiedensten Bereichen künstlerisch tätig war und ist. Der dicke Hamster im Bischofsgewand, der sich auf seinem Geldberg sitzend vor die gekreuzigte arme Kirchenmaus drängt, soll noch einmal bildlich auf den Verfassungsbruch durch die nach wie vor gezahlten Staatsleistungen hinweisen und begleitet die Buskampagne an einigen Tagen.

Es stand eine ganz besondere Stadtführung an: Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), zeigte allen interessierten Busmitfahrenden seine Heimat. In der geschichtsträchtigen Stadt an der luxemburgischen Grenze spiegelten sich alle Epochen wider und sie stehe wie keine andere für die Verquickung von Staat und Religion: Im vierten Jahrhundert hätten hier 80.000 bis 100.000 Menschen gelebt und die Stadt sei so gut ausgestattet gewesen, dass sogar Bewohner Roms neidisch gewesen seien. Die Römer hätten alle fremden Götter akzeptiert und integriert und so die keltischen Stämme befriedet. Erst nachdem Konstantin "der Grobe", der in Trier residierte, die Grundlagen für die spätere Staatskirche geschaffen hatte, sei der keltische Tempelbezirk in der multikulturellen polytheistischen Stadt zerstört worden. Innerhalb von 100 bis 150 Jahren habe dann kaum jemand mehr lesen können, nachdem die Analphabetenquote vorher verschwindend gering gewesen sei. Die berühmte Porta Nigra wurde später zur Kirche, bis sie Napoleon wieder zum Stadttor zurückbaute.

Beispielbild
Foto: © Maximilian Steinhaus

In unmittelbarer Nähe der Porta steht das Haus, in dem Karl Marx seine Jugend verbrachte und neben dem der Bus kurz stehen blieb. Im vergangenen Jahr wurde zum Marx-Jubiläum eine überlebensgroße Statue des Ökonomen aufgestellt, gestiftet von China. Bei all den Feierlichkeiten, die im letzten Jahr ihm zu Ehren stattfanden, habe man seine Religionskritik ganz gezielt ausgeblendet, die Marx zufolge die Voraussetzung aller Kritik sei. Um das wieder gut zu machen, las Schmidt-Salomon aus der Einleitung von Marx’ Werk "Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie" vor, in der es unter anderem heißt: "Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks".

Von der Marx-Statue ging es zur ehemaligen Gestapo-Zentrale in Trier sowie zum Dombezirk, die nicht nur geographisch eng beieinander lagen, wie Schmidt-Salomon erzählte. Im Dritten Reich habe Ludwig Kaas, Domkapitular von Trier und damaliger Vorsitzender der katholischen Zentrums-Partei, das Reichskonkordat mit den Nazis ausgehandelt und im Gegenzug Hitler die erforderlichen Stimmen für das Ermächtigungsgesetz verschafft. Die Zusammenarbeit zwischen Kirche und NS-Regime sei im "Heiligen Jahr" 1933 mit der "Heilig-Rock"-Wallfahrt feierlich besiegelt worden. Bei dieser Massenwallfahrt hatten SA-Männer als Ordner gedient und fast alle Bischöfe den Hitlergruß gezeigt. 

Auch heute noch finden Wallfahrten zu dem Leinenrock statt, den Jesus der Legende nach – also komplett erlogen – am Kreuz getragen haben soll. Die Ausstellung der Reliquie im 19. Jahrhundert hatte die freireligiöse Bewegung in Deutschland ausgelöst. Im späten 20. Jahrhundert veranlasste sie Trierer Freigeister dazu, eine atheistische Alternative zu präsentieren, nämlich die Heilige Unterhose von Karl Marx, die seither parallel zum Heiligen Rock ausgestellt wird (und mindestens so authentisch ist). 

Bei aller Inflation der Heiligen und Seligen habe Trier aber tatsächlich einen, der dieses Attribut innerhalb der Kirche verdient hätte: Friedrich Spee, Verfasser der Cautio Criminalis und einer der wichtigsten Kritiker der Hexenprozesse, schrieb schon im 17. Jahrhundert, dass Folter falsch sei und nie dazu dienen könne, die Wahrheit herauszufinden.

Von den Kaiserthermen aus ging die Stadtrundfahrt dann per pedes in der weitläufigen Fußgängerzone weiter. Hier war die erste Station die Konstantin-Basilika. Ehemals Teil einer Palastanlage wurde sie zur Kirche geweiht, was sie bis heute ist. Der weströmische Kaiser, der die Alleinherrschaft anstrebte, hatte das Potenzial des Christentums als Herrschaftsreligion erkannt und wesentliche Dogmen geprägt. Bis zum Bau der Metropolitan Opera in New York war die Basilika das höchste säulenlose Gebäude der Welt. Die nächste Station der größtenteils gottlosen Reisegruppe – die dies auch zum Teil durch Buskampagnen-T-Shirts zum Ausdruck brachte – war die Liebfrauenkirche, die der Stadtführer in ihrer baulichen Vollkommenheit mit einer Bach-Fuge verglich. Danach ging es gleich nach nebenan in den Trierer Dom, "Deutschlands ältester Baustelle", an dessen Eingang der mächtige Domstein liegt, den natürlich der Teufel dereinst heruntergeworfen haben soll.

Über das ehemalige Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, das Marx und viele andere bekannte Trierer Persönlichkeiten besucht hatten, trat die Gruppe den Rückweg an. Bis vor kurzem wurden in dem Gebäude Priester ausgebildet, dies wurde aber aufgrund des Nachwuchsmangels eingestellt. Als alle wieder an Bord waren, brachte der Doppeldecker seine Gäste wieder zurück zum Versammlungsort am Viehmarkt.

Später stand die Premiere der Buchvorstellung von Helmut Ortner an: In "EXIT – Warum wir weniger Religion brauchen" sind verschiedene Beiträge zum Thema von namhaften Säkularen enthalten. Während und nach der Buskampagne stellt der Herausgeber gemeinsam mit dem gbs-Vorstandssprecher den Sammelband in mehreren Städten vor.