Helmut Schmidt über Religionen

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Screenshots: ARD / Menschen bei Maischberger

KÖLN. (hpd) In der Fernsehsendung "Menschen bei Maischberger" vom 14.12.2010  sprach Sandra Maischberger mit Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) auch über Religionen und über die mögliche Tröstung eines Lebens nach dem Tode.

In dem langen Gespräch (1:14:00) wurde über viele Themen gesprochen, nachfolgend die Auszüge aus zwei Passagen (ab 0:55:36).
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Sandra Maischberger: Warum ist das Merkmal Religion so wichtig bei der Zuwanderung? Immerhin ist einer der Menschen, von denen Sie wahrlich gesagt haben, dass Sie ihn geliebt haben, ein Muslim gewesen, Anwar El-Sadat.

Helmut Schmidt: Richtig. Religion ist nicht alleine ausschlaggebend. Aber zum Beispiel war hier die Rede von Ost-Anatolien, da spielt Religion schon auf dem Dorf eine ganz große Rolle.

Aber nicht nur die Religion, sondern auch die Art und Weise, wie man in der Familie miteinander lebt – zum Beispiel die überragende Stellung des Vaters gegenüber seinen Kindern -, da werden die Töchter verheiratet, gegen ihren Willen. Da muss die Ehefrau das tun, was der Mann will. Das ist eine andere Zivilisation. (... )

Sandra Maischberger: Und die muslimische Tradition ist begründeterweise unter stärkerem Verdacht als andere?

Helmut Schmidt: Nicht ganz ausschließlich, aber zum Beispiel die muslimischen Traditionen rund um den Persischen Golf. Nicht notwendigerweise die muslimischen Traditionen in Marokko, nicht nowendigerweise die muslimischen Traditionen in einigen asiatischen Staaten.

Das Schlimme ist, dass bei allen Religionen, ob Islam oder Christentum, und zum Teil auch im Judentum, dass alle Religionen und ihre Bischöfe und Ayatollahs den Gläubigen beigebracht haben, auf die anderen Religionen herab zu sehen, sie für minderwertig zu halten: „Ich bin erleuchtet und was ich glaube ist Gott gefällig, aber das, was du glaubst, das ist das Gegenteil von dem, was Gott von dir erwartet.“

Diese Einstellung gegenüber anderen Religionen ist im Christentum sehr ausgeprägt. Denken Sie nur im Mittelalter an die unzähligen Kreuzzüge: das Kreuz in der linken Hand, aber das Schwert in der rechten Hand. In Wirklichkeit waren es Eroberungskriege ind die haben Königstümer errichtet in einer Gegend, die heute Palästina heißt. Das heißt, es eine alte christliche Tradition, herab zu sehen auf die Muslime und das hat natürlich Gegenreaktionen auf muslimischer Seite herausgefordert.

Der Mann, den Sie erwähnt haben, Anwar El-Sadat, war ein wunderbarer Kerl. Er wusste über das Christentum viel besser Bescheid als ich, er wusste auch über seinen Islam besser Bescheid als ich, und von dem habe ich gelernt: Eigentlich muss man jeden einzelnen Menschen seine Religion lassen an die er glaubt und darf nicht versuchen, ihn davon abzubringen. Das heißt, ganz früh hat sich bei mir ein Argwohn gebildet gegenüber dem Missionsgedanken - das heißt, andere Leute von ihrer Religion abzubringen -, insbesondere von der so genannten Judenmission, die in Deutschland ja älter ist als die Nazizeit.

Sandra Maischberger: Dann müsste man doch aber heute als Deutscher, wie Christian Wulff, der Bundespräsident, sagen, der Islam gehört auch zu Deutschland.

Helmut Schmidt: (denkt nach) Ich würde das ein bisschen anders ausdrücken. Einstweilen haben wir in Deutschland dreieinhalb oder vier Millionen Muslime, die nicht deswegen alle in die Moschee gehen und die nicht alle das Freitagsgebet einhalten, aber viele doch. Und natürlich wird ein Teil dieser Muslime deutscher Staatsbürger und gehören genauso zu Deutschland, wie die anderen, die immer noch der christlichen Kirche angehören und wie die vielen, vielen Zigmillionen, die inzwischen aus ihrer Kirche ausgetreten sind, auch zu Deutschland gehören.

Bisschen kann man den Wulff missverstehen, wenn man das unbedingt will, als zu einseitig. Ich würde ihn nicht so missverstehen wollen.

Sandra Maischberger: Hätten Sie etwas dagegen, eine Moschee in Ihrer Nähe zu haben?

Helmut Schmidt: Nein. Warum soll ich etwas dagegen haben?

Sandra Maischberger: Haben Sie zwischendurch mal Döner probiert?

Helmut Schmidt: Warum sollte ich? Wenn ich dazu eingeladen werde, werde ich ihn essen, aber bisher hat mich keiner eingeladen.

Sandra Maischberger: Haben Sie den Koran gelesen, wie Sie es vor hatten?

Helmut Schmidt: Nein, habe ich nicht. Teilweise ja, aber nicht wirklich studiert.
(...)

 

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Hannelore (Loki) Schmidt, die Ehefrau des Altbundeskanzlers, ist nach 68 Ehejahren am 21. Oktober 2010 gestorben (ab 1:09:42).
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Sandra Maischberger: Sie haben vor einiger Zeit, auch hier, gesagt, dass Sie den persönlichen Glauben verloren hätten. Schon vor langer Zeit.

Helmut Schmidt: Ja. Weitgehend verloren.

Sandra Maischberger: Wenn ein Mensch, der einem nahe steht, stirbt, ist doch der Glaube an ein Leben nach dem Tode ein tröstlicher Gedanke. Und viele kommen in Krisensituationen wieder dazu. Haben Sie in diesem Jahr einen Weg dahin gefunden?

Helmut Schmidt: Nein, ich habe mich an das gehalten, was meine Frau selbst geglaubt und gesagt hat. Meine Frau ist von Hause aus eine Biologin, eine Botanikerin in spezieller Weise, vor allem aber eine Biologin und Anhängerin von Charles Darwin. Und sie war der Meinung: Wenn ein Mensch stirbt - ob er nun verbrannt wird oder ob er beerdigt wird oder seine Asche auf See ausgestreut wird – in jeden Fall: Die Atome oder Moleküle, aus denen er zusammengesetzt war, die bleiben nach. Und eines Tages werden sie möglicherweise von einer Pflanze, die da wächst, aufgenommen und gebraucht für den Aufbau dieses neuen Baumes. Oder möglicherweise werden sie von einem Tier mitgefressen, das irgendwelche Samen frisst. Es geht kein Molekül verloren. Das war ihre Meinung. Und die hat mich immer überzeugt.


Sandra Maischberger: Sie haben mit Ihrer Frau über alles geredet, glaube ich, über alle Fragen dieser Welt. Haben Sie über das Sterben auch geredet?

Helmut Schmidt: Haben wir getan, ja. Mehr als einmal.

Sandra Maischberger: Hatte sie Angst davor?

Helmut Schmidt: Nein. (Er sinniert nachdenklich) Sie hatte keine Angst und ich habe auch keine Angst.

   

C.F.