Menschenwürde und soziale Grundrechte

MARBURG. Das Anliegen des Arbeitskreises Soziale Grundrechte der Humanistischen Union.

Von Franz-Josef Hanke.

Auch in der reichen Bundesrepublik

steigt die Zahl der Menschen, die in Armut leben müssen. Nach einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes im Rahmen einer europaweiten Statistik sind 13 Prozent der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger von Armut bedroht. Größtes Armutsrisiko in Deutschland sind Kinder, deren Eltern getrennt leben.

Nach Artikel 20 des Grundgesetzes ist die Bundesrepublik ein "sozialer Rechtsstaat". Spezifische Soziale Grundrechte aber haben die Väter und Mütter der deutschen Verfassung 1949 nicht ins Grundgesetz hineingeschrieben. Einige sind aber aus den Bestimmungen der Verfassung ableitbar.
Einerseits verpflichten die Artikel 14 und 15 den Staat zur gerechten Verteilung der Güter. Das Recht auf Freie Entfaltung der Persönlichkeit bedingt auch das Recht sozial Benachteiligter, ihr Leben autonom und uneingeschränkt selbst zu gestalten. Oberster Leitsatz der bundesdeutschen Verfassung schließlich ist der Schutz der Menschenwürde.

Wie aber steht es um die Verwirklichung der Menschenwürde und des Gleichheits-Grundsatzes, wenn beispielsweise der Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) von Einschränkungen des persönlichen Rechts auf "Informationelle Selbstbestimmung" oder der Freizügigkeit abhängig gemacht wird? Kann ein Mensch mit 345 Euro monatlich wirklich gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen?
Die tägliche Realität in Deutschland spricht da eine deutliche Sprache: Selbst am Essen müssen manche sparen! "Tafeln" schaffen es mittlerweile nicht mehr, alle Bedürftigen mit günstigen Lebensmitteln zu versorgen. Einen Besuch von Kino, Theater oder Konzerten können sich Empfängerinnen und Empfänger des Arbeitslosengeldes II (ALG II) trotz ermäßigter Eintrittspreise nicht leisten. Die Gesellschaft droht auseinander zu fallen in ein Millionen starkes Heer der Erwerbslosen und Armen und denjenigen, die noch Arbeit haben. Ihnen wiederum droht die Erwerbslosigkeit und zwingt sie so dazu, nahezu alle Widrigkeiten im Erwerbsleben zu erdulden, um nur ja nicht ihren Job zu verlieren.

Freiheiten gehen also nicht nur bei denen verloren, die keine Arbeitsstelle mehr haben, sondern auch bei denen, die um ihre Stelle fürchten müssen. Die Gleichheit als wesentliches konstitutives Element jedes demokratischen Staates - zumindest in Form gleicher Ausgangs-Chancen - existiert in der Bundesrepublik schon lange nicht mehr.

Vielfach wenden sich die Opfer dieser Entwicklung von den etablierten Parteien ab und schließen sich rechtsextremen Gruppierungen an. Daraus entsteht eine weitere Bedrohung der Demokratie. Ein Staatswesen hat nur dann eine Existenzberechtigung, wenn es den Sozialen Frieden schützt und jedem das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und gesellschaftliche Teilhabe garantiert. Deswegen sehe ich in der derzeitigen Entwicklung eine ernsthafte Bedrohung der Demokratie.

Die notwendige Debatte um soziale Grundrechte und ihre konkrete Ausgestaltung möchte der neu gegründete Arbeitskreis Soziale Grundrechte (AKSG) der Humanistischen Union führen. Als erstes beschäftigt er sich mit der geplanten Einschränkung der Prozesskostenhilfe (PKH) für finanziell Bedürftige, mit der Erhebung von Studiengebühren und mit den Folgen der Armut für die Demokratie. Zudem möchte er der schleichenden Aushöhlung des Sozialstaats entgegenwirken.

Das nächste Treffen des AKSG ist für Samstag, 10. März 2007, in Frankfurt anberaumt. Dazu sind Interessierte herzlich willkommen.