KÖLN. (hpd) Die Diskussion um die PID nimmt leider in unserem Land immer stärker irrationale Züge an. Insbesondere religiös motivierte Menschen sehen in der PID einen Eingriff in das Werk Gottes, denn es findet dabei eine künstliche Selektion statt. Aber auch nichtreligiöse Menschen sehen hier zum Teil die Menschenwürde verletzt und befürchten damit den Einstieg in eine ausufernde Genmanipulation am menschlichen Erbgut.
Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist eine Methode, künstlich befruchtete Eizellen vor ihrer Einpflanzung auf Gendefekte hin zu untersuchen. Bei Paaren, denen eine natürliche Schwangerschaft versagt ist, werden außerhalb des Mutterleibes mehrere Eizellen im Reagenzglas befruchtet. Durch Abtrennen und Untersuchung einer einzelnen Stammzelle, etwa 3 Tage nach der Befruchtung, können Gendefekte entdeckt werden, die zu einer schweren Krankheit oder Behinderung führen könnten. Solche befruchteten Eizellen können aussortiert werden. Ein Embryo ohne Befund wird dann in den Mutterleib eingesetzt und ausgetragen.
In den meisten Ländern ist die PID ohne Einschränkung erlaubt. In der BRD wird zurzeit eine Gesetzesvorlage diskutiert, mit der die PID nur noch in Ausnahmefällen gestattet ist. Solche Ausnahmen lägen dann vor, wenn einer der Elternteile durch Erbkrankheiten vorbelastet wäre. Das Absurde an der deutschen Gesetzeslage ist aber, dass Defekte, die nach der Implantation des Fötus z.B. im Ultraschallbild entdeckt werden, eine Abtreibung erlauben würden. Während es also bei der PID grundsätzlich nicht zu zusätzlichen Tötungen von befruchteten Eizellen kommt, wird bei der Abtreibung konkret ein beginnendes Leben getötet.
Der Begriff der Menschenwürde
Aber gehen wir zunächst zurück zu den ethischen Grundlagen. Was ist Menschenwürde und wie manifestiert sie sich? In unserem Grundgesetz steht, dass sie unantastbar sei. Der Begriff der Menschenwürde ist aber schwer zu fassen. Es gibt dazu verschiedene Herleitungen. Bei der religiösen Definition geht man von der Bibelweisheit aus, dass der Mensch das Ebenbild Gottes ist. Alle Menschen sind gleich. Viele Theologen sehen völlig richtig, dass ohne einen solchen transzendenten Bezug die Menschenwürde nicht so recht definiert werden kann. Der Beginn der Menschenwürde eines Individuums ist nach der Ansicht der meisten Theologen identisch mit dem Beginn der Menschwerdung d.h. mit der Befruchtung der Eizelle und dahinter muss der Wunsch und ein mögliches Recht der Eltern auf ein gesundes Kind zurücktreten.
In einem säkularen Staat sind solche religiösen Begründungen aber problematisch. Von daher stellt sich die Frage, ob es nicht auch andere Möglichkeiten gibt, die Menschenwürde zu definieren, denn immerhin bekennen sich auch viele säkulare Humanisten zu diesem Begriff. Immanuel Kant hat in seiner „Kritik der Urteilskraft“ und auch in seinen anderen Werken die Menschenwürde auf der Existenz des freien Willens aufgebaut. Im Gegensatz zu den Tieren kann der Mensch über seine Handlungen frei entscheiden. Seine Willensentscheidungen berücksichtigen seine sittlich-moralischen Werte. Die gesamte Moralphilosophie Kants stellt sich aber, insbesondere durch die Ergebnisse der modernen Hirnforschung, immer mehr als Fehlkonstruktion heraus. Aber auch unabhängig davon, war sie in ihrer strikten Formulierung schon vom Ansatz her sehr fragwürdig. Schopenhauer hat dies schon früh erkannt und entsprechend kritisiert. In Bezug auf die PID ist jedenfalls klar, dass die Würde mit dieser Begründung nur einem Wesen mit einem freien Willen zugeordnet werden kann. Dazu braucht dieses Wesen zumindest ein funktionierendes Gehirn. Der Zellhaufen (4 bis 8 Zellen), der zur PID herangezogen wird, besitzt aber keine einzige Nervenzelle. Im Gegensatz dazu verfügen höher entwickelte Lebewesen, wie z.B. Menschenaffen über ein Gehirn, das dem des Menschen nur eher gering und etwa bis zum 2.Lebensjahr fast überhaupt nicht unterlegen ist. Solchen Lebewesen sprechen wir aber zumindest in unserer Gesetzgebung keinerlei Würde zu. Unabhängig davon ist die Existenz eines freien Willens äußerst zweifelhaft (siehe dazu auch den Beitrag: Ist der Wille frei?).
Unabhängig von diesen verfehlten Herleitungen haben wir aber in unserer Alltagswelt dennoch eine relativ klare Vorstellung von dem, was wir unter Würde verstehen. Wir verbinden damit ein Verhalten, das bei anderen Ehrfurcht hervorruft. Dies ist besonders dann der Fall, wenn jemand unter Zurücksetzung seiner eigenen Interessen anderen hilft, oder wenn jemand an sich selbst besonders hohe moralische Ansprüche stellt. Daneben fördern besondere berufliche oder künstlerische Leistungen, sowie das Innehaben eines besonderen Amtes das Ansehen einer Person und damit auch seine Würde. Dieses hier beschriebene Verständnis von Würde ist dann etwas, was man sich erarbeiten und verdienen muss. Aber dennoch sind all diese Beurteilungen weder absolut definierbar noch zeitlich konstant, da sie als Wertvorstellung einem ständigen Wandel unterliegen. Aber auch hier es ja so, dass zu all diesen Eigenschaften ein funktionierendes Gehirn zwingend notwendig ist, also etwas, was eine befruchtete Eizelle nicht hat. Wenn man aber mit Menschenwürde eine Würde verstehen soll, die jedem Menschen, unabhängig von seinem Verhalten und seinen geistigen Fähigkeiten, alleine dadurch dass er Mensch ist, zukommt, wird es wieder problematisch, denn was genau unterscheidet den Menschen von den höher entwickelten Tieren?
Für den Psychologen Steven Pinker (siehe Artikel: Die Menschenwürde ist antastbar) gibt es drei Merkmale, die die Würde als Fundament der Bioethik ausschließen:
1. Die Würde ist relativ
Die Zuschreibung von Würde unterscheidet sich je nach Zeitalter, Ort und Betrachter.
2. Die Würde ist ersetzbar
Jeder entledigt sich seiner Würde freiwillig und immer wieder, wenn es um einen alltäglichen Nutzen geht. Die moderne Medizin hat viele unwürdige Prozeduren, etwa eine Darmspiegelung. Für Leben, Gesundheit und Sicherheit lassen wir gerne die Würde beiseite.
3. Die Würde kann Schaden anrichten
Politische oder religiöse Repressionen werden oft als Verteidigung der Würde eines Staates, eines Führers oder Glaubens gerechtfertigt. Der Preis der Freiheit besteht darin, das Verhalten anderer zu tolerieren, auch wenn es uns unwürdig erscheint.
Als Zwischenbilanz können wir festhalten, dass der Begriff der Menschenwürde genauso fragwürdig ist, wie der des freien Willens, der unsterblichen Seele, des Guten und des Bösen. Er stammt von einem Menschenbild, das durch die Wissenschaft längst überholt ist. Zur ethischen Beurteilung der PID ist er jedenfalls völlig ungeeignet. Genau genommen wäre es sogar ein Verstoß gegen die Menschenwürde, wenn in ihrem Namen der medizinische Fortschritt behindert würde. Die Medizinethikerin Ruth Macklin vom New Yorker Albert-Einstein-College of Medicine fordert, den Begriff der Würde durch den der persönlichen Autonomie zu ersetzen. Weil alle Menschen im Prinzip die gleiche Fähigkeit zu leiden, sich zu entwickeln, zu denken und zu wählen haben, hat kein Mensch das Recht, das Leben, den Körper oder die Freiheit eines anderen zu verletzen. Jedem Menschen ist mit Respekt zu begegnen. In unserem Grundgesetz sollte es daher besser heißen: „Die Autonomie des Menschen ist unantastbar“. Dieses Prinzip müsste aber auch auf alle anderen Wesen ausgedehnt werden und zwar in dem Maße, wie sie in der Lage sind, Leid zu empfinden.
„Designer Babies“
Was bei nichtreligiösen Menschen dennoch an Bedenken in Bezug auf die PID bleibt, ist mit dem Begriff „Designer Babies“ zu identifizieren. Wenn wir davon ausgehen, dass die Zuordnung einzelner Gene zu bestimmten Eigenschaften des Menschen in der Zukunft weitestgehend entschlüsselt werden kann und dass wir dann womöglich in der Lage sind, einzelne Gene gezielt zu verändern, wäre dann nicht die PID der Einstieg in die Genmanipulation des Menschen? Würden wir dann nicht nur einem eventuell vorhandenen Gott, sondern auf jeden Fall der Natur ins Handwerk pfuschen? Der Gipfel des Horrors wäre die Herstellung von Klonkriegern, d.h. gezüchtete Einheitsmenschen deren einziger Zweck das Töten ist. Man kann all dies nicht einfach als reine Science Fiction abtun. Immerhin ist es dem amerikanischen Biochemiker Craig Venter im vorigen Jahr bereits gelungen, ein künstliches Bakterium mit dem Namen Mycoplasma mycoides JCVI-syn1.0 herzustellen. Dazu wurden Maschinen eingesetzt, die computergesteuert die etwa eine Million Basenpaare in der gewünschten Reihenfolge aneinandergesetzt haben. Das Design und die Erzeugung auch von komplexeren Lebewesen bis hin zum Menschen oder menschenähnlichen Wesen wird mit großer Wahrscheinlichkeit in einigen Jahrzehnten möglich sein.
Zur ethischen Beurteilung dieser Entwicklung ist zunächst zu sagen, dass wir ja jederzeit die Grenzen des Erlaubten neu festlegen können. Aber unabhängig davon muss auch die Frage gestellt werden, ob wirklich das gezielte Verändern der menschlichen Gene ethisch so verwerflich ist. Solange Eltern die Wahl haben, werden sie sich wohl für eine möglichst vorteilhafte Genkombination entscheiden. Das ändert natürlich nichts daran, dass es in einer zukünftigen Gesellschaft klare Regeln und Gesetze geben muss, die das Wahlrecht der Eltern in vernünftigen Grenzen hält. Ohne Manipulation werden unsere Gene durch eine rein zufällige Kombination der elterlichen Gene erzeugt. Insofern muss man sich fragen, was eine zielgerichtete Kombination gegenüber dem blinden Zufall unethisch erscheinen lässt. Der an der University of Oxford lehrende Philosoph Nick Bostrom bemerkt dazu:
Wenn Mutter Natur echte Eltern wäre, so würde sie im Gefängnis sitzen wegen Kindesmisshandlung und Mord.
Wie können wir das Leid reduzieren?
Bei Entscheidungen über ethische Fragen wie der PID, der allgemeinen Genmanipulation und auch der Sterbehilfe sollten wir uns immer von der Frage leiten lassen: wie reduzieren wir das Leid und/oder wie können wir das Glück vermehren? Dabei dürfen Gesetze und Entscheidungen natürlich nicht auf Kosten Einzelner oder Minderheiten gehen. Klar muss auch sein, dass Menschen mit Behinderungen all unsere Liebe und Hilfe bedürfen, um ein lebenswertes und glückliches Leben führen zu können. Manche sehen in der PID dennoch eine Abwertung von behinderten Menschen. Dies ist aber eine etwas seltsame Logik. Denn dann dürften wir ja auch generell keine Vorbeugung gegen Krankheiten unternehmen, weil das eine Diskriminierung von Kranken wäre. Behinderungen gar als ein Geschenk oder eine Prüfung Gottes zu sehen, ist eine Perversion des Denkens.
Wie auch immer die Diskussion weiter verläuft, gegen eins sollten wir uns auf jeden Fall wehren, nämlich dass Religionsvertreter Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen. Leute, die von einem Menschenbild ausgehen, das ins Mittelalter gehört, haben in Ethikkommissionen nichts zu suchen und solche die sogar zweifelsfrei glauben, dass ein toter Papst Krankheiten heilen kann, sollte man gar nicht erst ernst nehmen, denn sie haben sich von der Realität restlos verabschiedet. Der Verweis auf so genannte christliche Werte hat schon genügend Unheil auf unserem Planeten angerichtet. Den Vertretern des Christentums geht es letztlich nicht um das Wohl der Menschen, sondern um die Aufrechterhaltung von Notständen, denn davon lebt das Christentum, wie Friedrich Nietzsche schon in seinem Werk „Der Antichrist“ sehr treffend formuliert hat:
Die christliche Kirche lies Nichts mit ihrer Verderbnis unberührt, sie hat aus jedem Wert einen Unwert, aus jeder Wahrheit eine Lüge, aus jeder Rechtschaffenheit eine Seelen-Niedertracht gemacht. Man wage es noch, mir von ihren "humanitären" Segnungen zu reden! Irgendeinen Notstand abschaffen gierig wider ihre tiefste Nützlichkeit, - sie lebte von Notständen, sie schuf Notstände, um sich zu verewigen ...
…Der Parasitismus als einzige Praxis der Kirche; mit ihrem Bleichsuchts-, ihrem "Heiligkeits"-Ideale jedes Blut, jede Liebe, jede Hoffnung zum Leben austrinkend; das Jenseits als Wille zur Verneinung jeder Realität; das Kreuz als Erkennungszeichen für die unterirdischste Verschwörung, die es je gegeben hat, - gegen Gesundheit, Schönheit, Wohlgeratenheit, Tapferkeit, Geist, Güte der Seele, gegen das Leben selbst ...
Bernd Vowinkel