Deutschland Deine Kinder (7)

Ein Blick in die Zukunft behinderter Menschen

Wie sich für behinderte Menschen das Leben auch heute noch darstellt zeigt ein kurzes Gespräch mit Klaus Dickneite. Von Geburt an körperbehindert war er ohne Eltern bis zum 21. Lebensjahr in einem Diakonischen Heim zur Rehabilitation behinderter Kinder und dort „permanenten Misshandlungen“ ausgesetzt. Er war von Pflege abhängig, bekleidet zu werden. In den letzten 5 Jahren seines Heimaufenthaltes übernahm eine ehemalige Lehrerin die formale Pflegschaft. Mit ihrer Unterstützung erhielt Klaus Dickneite auch eine Ausbildung. Sie ermöglichte ihm das Studium als Sozialarbeiter. Das Arbeitsamt hat eine Förderung seines Studiums mit der Begründung einer anzunehmenden Arbeitslosigkeit abgelehnt. Klaus Dickneite sagt dazu: „Ich war in meinem Leben nicht einen einzigen Tag arbeitslos.“

Am „Runden Tisch Kindesmissbrauch“ übernahm Klaus Dickneite von der zweiten Sitzung an im Jahr 2010 Sitz und Stimmberechtigung für den Deutschen Behindertenrat.

hpd: Wie ist es möglich, das Leben von Behinderten zu erleichtern?

Dickneite: Würde ich heute mit der Bundeskanzlerin sprechen, würde ich ihr erklären, dass für die misshandelten und gedemütigten behinderten Kinder bisher nichts gemacht wurde. Ich spreche dabei über die Jahre 1940 bis 1970. Behinderte Menschen sind auch heute noch besonders ausgeliefert, besondert gefährdet. Sie sind besonders auf die Dienste anderer angewiesen.
Behinderte wurden beim Runden Tisch Heimerziehung vollkommen ausgeblendet.
Das sei nicht der Auftrag gewesen, so waren die Worte von Frau Vollmer.

Richtig ist, behinderte Menschen waren eher in Heimen mit dem Schwerpunkt Sozialeinrichtung, der freiwilligen Erziehung und Behinderten Hilfe untergebracht. Im Vordergrund standen dort medizinische Versorgung und Ausbildungsangebote also schulische und berufliche Ausbildung.

Über den Deutschen Behindertenrat vertrete ich am Runden Tisch Kindesmissbrauch behinderte Menschen, die bisher nicht berücksichtigt wurden. Ich bin in der Arbeitsgruppe des Justizministeriums und arbeite kräftig mit. Dort geht es um juristische Fragen und notwendige gesetzliche Regelungen zur Vorbeugung also dem Schutz und an zweiter Stelle der Strafverfolgung.

Gibt es Auswirkungen der Arbeit des Runden Tisch Kindesmissbrauch auf die ehemaligen Heimkinder?

Das ist die Absicht. Es ist intern im Gremium Runder Tisch Kindesmissbrauch beschlossen, die Verjährung einer Straftat auf 30 Jahre zu verlängern. Betroffene müssen die angewendete Gewalt, im Sprachgebrauch den Missbrauch, glaubhaft machen und das dürfte bei einem noch länger zurückliegenden Zeitraum immer schwieriger werden.

Werden von Seiten der Behinderten Forderungen gestellt?

Ja, wir wollen sicher gestellt wissen, dass alle betroffenen Behinderten die Gewähr dafür bekommen, dass ihre eigenständigen Regeln eingehalten werden wenn es um etwaige Versorgungsnotwendigkeiten geht. Dem Betroffenen muß das Recht eingeräumt werden, den Grad, die Art und Weise von Hilfsleistungen selbst zu bestimmen.

Konkret?

Ja. Behinderte müssen eher auf Hilfsangebote anderer zurückgreifen können. Der betroffene Mensch soll selber bestimmen, ob er ambulante oder stationäre Hilfe in Anspruch nimmt. Es muss unabhängig vom Gesetz geregelt werden, wie die Assistenz oder Hilfestellung erfolgen soll. Ein Alleinwohnender beispielsweise in einer eigenen Wohnung braucht als Behinderter, vor allem wenn er älter wird, voraussichtlich früher eine Hilfe als nicht behinderte Menschen. Heute muss, um diese Hilfe zu bekommen, eine bestimmt Pflegestufe erreicht werden. Erwartet werden für die Behinderten auch finanzielle Unterstützungen z. B. wenn ein Behinderter in der Lage ist Auto zu fahren, sollte er dieses, um seine Mobilität zu bewahren, auch tun können und dahingehend unterstützt werden.

Spreche ich die Bedürfnisse von Behinderten an, wird mir vorgehalten, damit Behinderte zu diskriminieren. Ich begegne aktuell einer neuen Form von Vorhaltungen. Es ist unverständlich, wenn ein bestimmter Mensch mit einer Sprechbehinderung oder geistigen Behinderung einer besonderen Form der Kommunikation bedarf, darauf nicht einzugehen oder dieses nicht zu benennen.

Die Fragen stellte Evelin Frerk

 

Klaus Dickneite berichtet über seine Erfahrungen mit der Arbeitsgruppe zur Aufarbeitung der Lebenserfahrungen im Heim. (Video)

 

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