Beeindruckend ist, dass Intrigen und Kampagnen Hume nicht zum Misanthropen werden ließen: Er galt bei seinen Freunden als „le bon David“ – als geduldiger, freundlicher, hilfsbereiter und nachsichtiger Mensch. „Von Überzeugung ein Skeptiker, hatte Hume sein Leben wie ein Epikureer genossen, und er starb zur großen Enttäuschung der Zeloten ruhig wie ein Stoiker; und ihm waren ein Humor und eine Menschlichkeit eigen wie nur wenigen Menschen nach und vor ihm.“ (S. 567) Arglos und hilfsbereit wie er war, bot er auch Jean-Jacques Rousseau seine Hilfe an, der Zuflucht vor der Verfolgung durch die französische Kirche suchte. Dieses Hilfsangebot mündete aber in eine der „aufwühlendsten Episoden“ im Leben David Humes: Man trennte sich im Streit und in gegenseitiger Verständnislosigkeit. Diese Episode gehört zweifellos zu den spannendsten und aufschlussreichsten in Humes Biografie; ihre Lektüre sei daher ausdrücklich empfohlen (auch im Vergleich zu Edmonds, D. J. / Eidinow, J. A.: Rousseaus Hund. Zwei Philosophen, ein Streit und das Ende aller Vernunft. München: Deutsche Verlagsanstalt 2008).
Wir können unser gängiges Bild von David Hume noch in einer wichtigen Hinsicht erweitern. Er gehört nämlich nicht nur zu den bedeutendsten Empiristen und Religionskritikern, sondern auch zu den bedeutendsten Gesellschaftstheoretikern. Als Vertreter der schottischen Aufklärung war er auch an der revolutionären Umgestaltung der Wirtschaftsethik und Wirtschaftstheorie beteiligt, wie sie Adam Ferguson und Adam Smith ins Werk setzten. Seine Arbeiten über Freihandel und über die Voraussetzungen von wirtschaftlicher und geistiger Prosperität sind schon deshalb lesenswert, weil sie vor Adam Smiths bahnbrechendem Buch zum „Wohlstand der Nationen“ von 1776 veröffentlicht wurden. Sie besagen: Freihandel und Fleiß sind notwendige Bedingungen der ökonomischen Prosperität, und nicht nur technische, sondern auch soziale und rechtliche Errungenschaften sind notwendige Bedingungen für Modernisierung und Aufklärung. Man sollte auf Humes entsprechende Arbeiten schon deshalb hinweisen, weil heutige Humanisten ihre politisch-ökonomischen Konzeptionen eher in Anlehnung an Marx als an die schottischen Aufklärer formulieren. Gerade sie seien hier auf folgenden Ausspruch des ehemaligen Präsidenten der Columbia-Universität, Nicholas Murray, verwiesen, der im Jahre 1911 äußerte: „Ich wähle meine Worte mit Bedacht, wenn ich sage, dass nach meiner Auffassung die Kapitalgesellschaft mit beschränkter Haftung die größte einzelne Entdeckung der Neuzeit ist. Selbst Dampfkraft und Elektrizität sind weit weniger wichtig als die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, und ohne diese Gesellschaftsform wären sie vergleichsweise bedeutungslos.“ (S.M. Bainbridge, Abolishing Veil Piercing, in: Journal of Corporation Law 26, 2001, S. 479) Wer dieses Urteil für überraschend hält, lese Humes Essays über Politik, Wirtschaft und Moral: Er wird dort immer wieder überrascht. Mit Recht räumt Streminger daher Humes entsprechenden Analysen einen breiten Raum ein (Kap. 8 und 16).
Hume starb am 25. August 1776 – in dem Jahr, in dem Adam Smiths „Wohlstand der Nationen“ erstmals erschien. Er war trotz seines vermutlichen Darmkrebsleidens völlig gefasst: Er habe „einige Tage zuvor Lukians Totengespräche gelesen ..., aber keine Entschuldigung finden [können], das Boot nicht zu besteigen, mit dem Charon ihn in die Unterwelt bringen würde: Kein Haus sei fertigzustellen, keine Tochter sei zu versorgen, keine Feinde gebe es, an denen er sich rächen wolle. »Ich habe allen Grund, zufrieden zu sterben.«“ (S. 564) Kurz: Der Lohn des Lebens liegt im Diesseits – in Humes Fall in den Erkenntnissen über Welt, Mensch und Gesellschaft, die er zusammen mit seinen Mitstreitern der schottischen Aufklärung erarbeitet hat.
Obwohl das Wiedererscheinen von Stremingers Hume-Biografie uneingeschränkt zu begrüßen ist, seien doch noch einige vom Verlag zu verantwortende Wermutstropfen erwähnt. Schon bei der ersten Durchsicht stellt man fest: Die Fußnoten sind zu Endnoten geworden. Das erfordert ständiges Blättern: Statt sofort sehen zu können, ob eine Fußnote genauere Informationen liefert oder lediglich dem Nachweis eines Zitates dient, muss man jetzt blättern und suchen. Auch sind die schönen Farbtafeln mit Landschaftsmalereien und Porträts der Ausgabe von 1994 jetzt durchgängig Schwarz-Weiß-Abbildungen gewichen, auch ihre Anzahl wurde verringert. Als Hume-Freund wird man daher weder die eine noch die andere Ausgabe missen wollen – auch wegen der veränderten Anhänge: Die Ausgabe des Schöningh-Verlags enthält zwei neu aufgefundene Briefe und eine Rezension Humes; in der Neuauflage dagegen finden wir statt der Rezension ein Reisetagebuch aus dem Jahre 1748.
Was können wir von Hume lernen? Folgende Punkte möchte ich hier herausstellen:
- Hume erzieht zu „einem nüchternen Blick auf sich selbst und auf die Natur des Menschen“ (S. 100).
- Hume erzieht zur Skepsis – auch gegenüber den quasi-religiösen Hoffnungen, wie sie sich im Gefolge von Rousseau und Marx in der intellektuellen Gemeinschaft verbreiten konnten. Doch auch die Hoffnungen, die wir heutzutage ins Diesseits setzen (also in die uneingeschränkte menschliche Gestaltungsmacht), sollten mit Humescher Nüchternheit und ökonomischer Vernunft seziert werden.
- Hume erzieht zu einem sachlichen Umgang mit religiösen Gegnern. Es ist höchst aufschlussreich, dass und wie er die eifernden antichristlichen Aufklärer französischer Provenienz bei seinen Besuchen in Paris kritisierte. (Vgl. dazu Blom, Philipp: Böse Philosophen. Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung. München, Wien: Hanser 2011.)
- Und vom Historiker Hume können wir lernen, die Tugend der „Unparteilichkeit“ (S. 377 f., 435, 485) zu pflegen. Aus humanistischer Sicht ist es bemerkenswert, dass er sein letztes religionskritisches Werk als Dialog (bzw. Trialog) konzipierte, in dem sich die Gegner nicht als Sparringspartner, sondern als Menschen mit unterschiedlichen Ansichten begegnen.
Wir können also auch heute noch von David Hume lernen. Und wer etwas wirklich Fundiertes über diesen interessanten Denker wissen will, kommt an der herausragenden Biografie von Gerhard Streminger nicht vorbei.
Gerhard Engel
Streminger, Gerhard: David Hume. Der Philosoph und sein Zeitalter. Eine Biographie. München: Beck 2011. ISBN 978-3-406-61402-6. 797 S., € 34,00.