USA. (hpd) Eine beispiellose richterliche Entscheidung fordert vom Vatikan, sich für die Vertuschungen sexuellen Missbrauchs durch Geistliche zu verantworten und dem Gericht entsprechende Dokumente vorzulegen. In einer Pressekonferenz erläuterten die Anwälte von „John V. Doe“ die sensationelle Entscheidung.
Vor neun Jahren begann der Kampf des „John V. Doe“ gegen den Vatikan. Mit John Doe werden unbekannte Männer bezeichnet, beispielsweise wenn eine nicht identifizierbare Leiche gefunden wird (Frauen werden mit „Jane Doe“ bezeichnet). In diesem Fall handelt es sich bei John V. Doe um einen so genannten Überlebenden des Missbrauchs durch einen Geistlichen, der anonym bleiben möchte.
Ziel der juristischen Maßnahmen des John V. Doe, vertreten durch die Kanzlei Jeff Anderson and Associates, ist, dass der Vatikan sich in einem Gerichtssaal verantwortet und Rechenschaft ablegt in Bezug auf seine Rolle bei der weltweiten Vertuschung sexuellen Missbrauchs durch Geistliche.
Die Rechtsprofessorin Marci Hamilton, eine der führenden Gelehrten zur Verfassung sowie zum Verhältnis von Staat und Kirche, meinte, die Entscheidung des Richters Michael Mosman sei außerordentlich bedeutsam. Zum ersten Mal hat ein amerikanisches Gericht den Heiligen Stuhl, den Vatikan, dazu verurteilt, vor Gericht zum sexuellen Missbrauch eines Kindes Stellung zu beziehen. Der Vatikan habe sich mit viel Gusto auf seine Immunität berufen, argumentiere seit neun Jahren damit, die USA seien nicht einmal juristisch zuständig und der Vatikan sei nicht im Mindesten verantwortlich. Das Gericht folgte jedoch der Anklage in dem Punkt, der Vatikan könne sehr wohl Arbeitgeber des Priesters Andrew Ronan gewesen sein, der in diesem Fall John V. Doe missbrauchte. Daher könne der Kläger Akteneinsicht fordern.
Fragen an den Heiligen Stuhl
Aus den Dokumenten dürfte hervorgehen, wie der Vatikan operiere, wie Priester kontrolliert würden, was ihnen gesagt würde, wie sie sich zu verhalten hätten. Wichtig sei es, dass das Gericht der Kläger-Argumentation folgte, ein Priester könne mehr als einen Arbeitgeber gleichzeitig haben. Obwohl der Heilige Stuhl nicht zu jeder Minute vor Ort sei, habe sich der Vatikan das Recht vorbehalten, einen Priester jederzeit wegen sexuellen Kindesmissbrauchs zu versetzen oder entfernen. Die richterliche Entscheidung wird durch die Akteneinsicht etliche Entdeckungen ermöglichen. Die Akten sollen binnen 60 Tagen – bis zum 20. Juni – dem Gericht vorgelegt werden.
Laut Anklagevertreter Anderson, der bereits seit 27 Jahren klerikale Missbrauchsopfer vertritt, führt die Spurensuche stets an die Spitze, nach Rom. Der Priester Andrew Ronan wurde seinerzeit wegen Missbrauchs von Irland nach Portland, Oregon, versetzt, wo er Mitte der 1960er Jahre John V. Doe missbrauchte. Jede Entscheidung, jede Handlung, jedes Protokoll, welche Geheimhaltung und Vertuschung voraussetzten, würden an einem Ort, in einem Büro gefertigt: im Vatikan und durch das Pontifikat.
Vor Gericht soll der Vatikan zu Fragen Stellung beziehen wie beispielsweise
- Beschreiben Sie die Beziehung zwischen dem Heiligen Stuhl, dem Papst und Andrew Ronan
- Beschreiben Sie die Befugnis des Heiligen Stuhls, des Papstes und aller relevanten klerikalen Kongregationen, einschließlich der Kongregation für die Glaubenslehre, bezüglich des sexuellen Missbrauchs durch Geistliche in Irland und den Vereinigten Staaten
- Beschreiben Sie die Strategien des Heiligen Stuhls, des Papstes und aller relevanten klerikalen Kongregationen, einschließlich der Kongregation für die Glaubenslehre, bezüglich des sexuellen Missbrauchs seit 1950
Darüber hinaus soll der Vatikan verschiedenen Aussagen zustimmen oder sie verneinen, beispielsweise dass Andrew Ronan ein Angestellter des Heiligen Stuhls war oder dass der Heilige Stuhl Kontrolle über die Maßregelung der Priester hat, die des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger beschuldigt werden.
Die Entscheidung des Gerichts könnte eine historische Entscheidung sein. Weltweit können Kinder wesentlich effektiver gegen den sexuellen Missbrauch durch Geistliche geschützt werden, wenn der Vatikan sich nicht mehr auf seine Immunität berufen kann, sondern nun offenlegen muss, wie er mit missbrauchenden Geistlichen verfährt. Ob diese Geistlichen sich weltweit auch der weltlichen Gerichtsbarkeit stellen müssen, wird zu klären sein. Jedenfalls ist die Entscheidung des Richters Michael Mosman, mit der er die Aufhebung der Immunität des Vatikans bestätigt, wegweisend. Weltweit.
Fiona Lorenz
Zur Pressekonferenz findet sich hier das ausführliche Video
Zu den Anfragen der Anwälte an den Heiligen Stuhl
Die Klageschrift vom 3. März 2009
USA: Vatikan kann wegen Missbrauchs juristisch belangt werden (29. Juni 2010)