Wie wird man zum Dschihadisten?

(hpd) Der Sozialwissenschaftler Martin Schäuble untersucht in seiner Arbeit den Lebensweg zweier gewaltorientierter Islamisten: ein Konvertit, der in Deutschland Anschläge plante, und ein Palästinenser, der ein Selbstmordattentat ausführte. Die Studie zeichnet intensiv den Lebensweg beider Personen nach und geht auf das sie prägende Milieu ein.

Warum entwickeln sich Menschen zu Dschihadisten? Was motiviert sie zur Gewaltanwendung im angeblichen Namen des Islam? Spielen dabei persönliche oder politische Gründe die entscheidende Rolle? Über diese Fragen wird seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in Medien und Wissenschaft verstärkt diskutiert. Dabei lassen sich allgemeine Erklärungsansätze, welche die gesellschaftliche Ebene ins Zentrum stellen, und personenbezogene Untersuchungen, die sich dem jeweiligen Individuum genauer widmen, unterscheiden. Eine Perspektive im letztgenannten Sinne wählte der Sozialwissenschaftler Martin Schäuble in seiner Studie „Dschihadisten. Feldforschung in den Milieus. Die Analyse zu Black Box Dschihad“. Er will darin anhand „einer Gegenüberstellung der sehr unterschiedlichen Lebenswelten“ von zwei Personen der Frage nachgehen, „was Daniel und Sa’ed dazu motivierte, den Weg des Dschihad einzuschlagen“ (S. 7). Ziel sei es, ebenso die Brüche wie die Normalitäten im Laufe dieser Entwicklung aufzuzeigen.

Bei den namentlich genannten beiden Personen handelt es sich um zwei 1985 geborene Männer, die an unterschiedlichen Orten und in verschiedenen Zusammenhängen den Weg zu den Dschihadisten fanden: Daniel wuchs in einer saarländischen Kleinstadt auf und wurde ein Aktivist der „Sauerland-Gruppe“, die in Deutschland terroristische Anschläge höherer Intensität durchführen wollten. Sa’ed wuchs in Nablos in den Palästinensergebieten auf und wandte sich den Aqsa-Märtyrer-Brigaden zu, welche ihn zu einem Selbstmordanschlag motivieren konnten. Schäuble betont, dass er ganz bewusst „zwei so weit wie möglich unterschiedliche Lebenswelten und -läufe“ (S. 9) miteinander vergleichen wollte, erhoffe er sich doch gerade dadurch neue Erkenntnisse. Dafür hielt der Autor sich auch selbst längere Zeit in Nablus und im Saarland zu Feldforschungen auf, um über ausführliche Gespräche mit Bekannten von Daniel und Sa’ed einen Einblick in das sie persönlich, politisch und sozial prägende Milieu und Umfeld zu erhalten.

Daraus entstand der Kern von Schäubles Arbeit, welcher in der Darstellung und Analyse der beiden Biographien bezogen auf Kindheit, frühe Zwiespälte, Erwachsen werden, Erwachsen sein, Hinwendung zum Islamismus, Ausbildung als Dschiahdisten und beabsichtigter bzw. durchführter Terrorakt besteht. Hierbei finden sich immer wieder Betrachtungen aus der bisherigen Islamismus- und Terrorismus-Forschung, die als Analyseinstrument zur Erklärung der Lebensentwicklungen genutzt werden. Ein Beispiel dafür wäre etwa die Hervorhebung von Bedeutung und Rolle der Gruppenidentität. Bei allen Gemeinsamkeiten betont Schäuble aber auch wichtige Unterschiede in den beiden Biographien: „In Sa’eds Fall zeigt sich immer wieder, wie sehr politische Konflikte traumatische Erlebnisse kollektiv und individuell produzieren.“ Bei Daniel verhalte es sich anders: Die Wahrnehmung von Unterdrückung finde hier „im Imaginären statt“. Er habe die Gewalt nicht persönlich erlebt, sondern „identifiziert sich mit dem Erlebten anderer“ (S. 311).

Schäubles Arbeit beeindruckt durch die intensive Rekonstruktion des Lebens zweier Dschihadisten und die damit einhergehende Analyse auf Basis der bisherigen Forschung. In der Tat können solche Untersuchungen wichtige Erkenntnisse über die Motive und Ursachen für den Weg in den gewalttätigen Islamismus vermitteln. Gleichwohl muss gefragt werden, ob eine solche Studie sich nicht auf andere oder mehr Personen beziehen sollte. Zum einen sind allein zwei Dschihadisten auch für eine qualitativ angelegte Analyse zu wenig, zum anderen kommen beide Personen aus komplett anderen sozialen Milieus. Möglicherweise wäre es erkenntnisförderlicher gewesen, alle drei Aktivisten der „Sauerland-Gruppe“ so intensiv bezüglich ihrer politischen Entwicklung zu untersuchen. Schäuble schreibt zwar zu Beginn: „Bei der Analyse und dem Vergleich der Biografien verzichte ich bewusst auf Verallgemeinerungen, auf die Herausbildung von generalisierenden Thesen“ (S. 9), aber genau dies wäre auch besonders interessant gewesen.

Armin Pfahl-Traughber

 

Martin Schäuble, Dschihadisten. Feldforschung in den Milieus. Die Analyse zu Black Box Dschidhad, Berlin 2011 (Verlag Hans Schiler), 365 S., ISBN-13: 978-3899303339, Euro 32,00.

Zeitgleich wurde veröffentlicht:

Martin Schäuble, Black Box Dschihad: Daniel und Sa'ed auf ihrem Weg ins Paradies, München, Hanser, 217 Seiten, ISBN-13: 978-3446236653, Euro 14,90.