Schwierige „Zähmung“ Jugendlicher

(hpd) Assia Maria Harwazinski hat eine bemerkenswerte schulpraktische Studie über den Alltag in einer Fördereinrichtung zur Berufsvorbereitung für Jugendliche verfasst, mit der die Agentur für Arbeit zusammenarbeitet. Es geht hauptsächlich um Maßnahmen für Jugendliche, die mit Hilfe von Praktika, Werkstatterfahrung, Unterricht und Lehrstellenvermittlung in den Berufsalltag eingegliedert werden sollen.

Der sehr persönliche Erfahrungsbericht über eine 19 monatige Lehrtätigkeit dürfte in seiner ungeschminkten tabulosen Direktheit und Vielfalt seinesgleichen suchen. Er ist daher wertvoll für Jeden, der sich mit der Sozialisierung Jugendlicher aus schwierigem Milieu befasst.

Die Autorin hatte es hauptsächlich mit in Deutschland aufgewachsenen Jugendlichen zu tun, deren Familien aus Mittelmeerländern eingewandert waren, insbesondere der Türkei. Es gab zwei Hauptgruppierungen: Jugendliche mit Haupt- oder Realschulabschluss, aber noch ohne Lehrstelle, denen berufsspezifische Praktika vermittelt wurden. Ungleich schwierigere Gruppierungen („Rehabilitanden“) waren zum einen die mit Schülern aus Förderschulen mit Lern- und Leseschwächen bzw. Körperbehinderungen und großen sprachlichen Defiziten, die (teilweise) den Hauptschulabschluss nachholen wollten und zugleich eine Ausbildungsvorstufe erreichen sollten. Zum anderen gab es eine Gruppe von jungen Leuten mit Vorstrafenregister und leichten bis mittelschweren Straftaten. Die Jugendlichen erhielten auch PC-Unterricht und Unterstützung bei Bewerbungen.

Aus diesen Grundgegebenheiten sollte sich das natürliche Bestreben der Jugendlichen ergeben, die vorhandenen Defizite ernst zu nehmen und von sich aus das Beste aus den gebotenen Möglichkeiten zu machen. Das scheint in der Praxis aber eher die Ausnahme zu sein. Als einer der Hauptkonflikte erwies sich in allen Gruppen der abwertende, wenn nicht obszöne Umgang der oft imponiersüchtigen jungen Männer mit dem weiblichen Geschlecht, sodann z.T. enorme sprachliche Defizite und eine allgemeine Disziplinlosigkeit, auch bei außerschulischen Exkursionen (bis zu Kunstausstellungen), die sich sehr vielfältig zeigte. Zum Teil unerhörte sexuelle Provokationen waren an der Tagesordnung und die ganz direkte Schilderung einschlägiger Vorfälle ist aufschlussreich. Muslimische Mädchen zeigten sich immer noch oft ohne Grundwissen zu Körper und Sexualität. Junge Männer brüsteten sich selbst mit ekelhaften Gewalttaten. Interessant ist die Schilderung von Konflikten zwischen Deutschtürken, und auch viele andere Bereiche werden in dem inhaltsreichen Buch thematisch geordnet und konkret erörtert.

Ergebnisse desolater Milieus

Der Erfahrungsbericht zeigt eindrucksvoll die Ergebnisse meist desolater Milieus, und trotz aller negativen Informationen, die ohnehin ständig auf Jedermann niedergehen, erschreckt er. Andererseits verzweifelt die Autorin am Ende doch nicht, sondern zeigt die Notwendigkeit und den Sinn eines Engagements für so schwierige Jugendliche. Sein Erfolg kann etwa in einem gewissen Verständnis für Disziplin, z.B. in Sachen Hygiene, und der erkennbaren Initiierung von Denkprozessen in mehrerlei Hinsicht gesehen werden, und die „Dompteurin“ H. zeigt immer wieder auch positive Aspekte der Arbeit und der Jugendlichen auf.

Zunächst einmal sollten Sozialarbeiter und Pädagogen das Buch lesen, auch wenn wohl nicht leicht jemand (von großer Energie, guten Nerven und Improvisationsgabe einmal abgesehen) so gute Voraussetzungen für eine derart schwierige Lehrtätigkeit mitbringen wird wie die islamwissenschaftlich und kulturwissenschaftlich ausgewiesene Verfasserin. Deren fachliche Kompetenz zeigt sich nicht nur im angenehmen Anmerkungsapparat, sondern auch im Literaturverzeichnis und der wertvollen Filmografie.

Das Buch wirft zumindest indirekt (deutliche Kritik aber S. 155 f.) gravierende sozialpolitische Fragen auf. Das Grundproblem solcher Berufsvorbereitung ist die Unterschiedlichkeit der Voraussetzungen (Sprachkenntnis, Sozialisierung, Herkunftsland, vorhandener oder fehlender Schulabschluss, Sprachfehler u.a.) und Ziele (zeitliche Überbrückung, gewünschte Berufssparten, Hauptschulabschluss) der Jugendlichen. Diese Situation müsste durch erhebliche zusätzliche organisatorische und staatlich-finanzielle Anstrengungen verbessert werden: Man bräuchte, insbesondere zur Sprachförderung, mehr Kleingruppen und natürlich mehr Lehrkräfte. Aber wie soll das funktionieren, wenn Lehrer nur kurz befristete und schon deshalb wenig attraktive Verträge erhalten und nur wenig Hilfestellung der Trägereinrichtung? Es ist ein großes Problem, wenn nur grobe Lehrziele vorgegeben werden können und sich die Lehrer (ohne vorangehende Intensiv-Vorbereitung) vielfach noch um das gesamte Unterrichtsmaterial (Themen, Texte, Filme usw.) selbst kümmern müssen!

Es wäre daher besonders wichtig, dass Führungspersonen aus der Politik (z.B. Integrationsbeauftragte, auch Kommunalpolitik), den Agenturen für Arbeit und der Einrichtungsträger sensibilisiert würden. Denn selbst bei verkorksten Lebensläufen sind Korrekturen möglich, wie gerade das Bändchen von Harwazinski aufzeigt. Und entsprechende (wenn auch verspätete) Anstrengungen sind nicht nur eine Frage des kulturellen Standards einer Gesellschaft, sondern sind auf’s Ganze gesehen immer noch kostengünstiger, als sie zu unterlassen. Dem Buch ist daher eine weite Verbreitung zu wünschen.

Gerhard Czermak

 

Assia Maria Harwazinski: „Ich bin keine Schlampe, ich bin Griechin!“ Einblicke in die Lebenswelten jugendlicher Migranten in der Berufsvorbereitung. Ein Erfahrungsbericht aus dem Unterrichtsalltag. Berlin 2011, EB-Verlag Dr. Brandt, 180 S.,16,80 Euro. ISBN 978-3-86893-059-7.