„Die Diskussion wird kommen“

 

Trotz des Erfolgs beim vielbesuchten CSD: Wie viele Menschen sich schließlich tatsächlich mobilisieren lassen, während der katholische Kirchenführer im September vor dem deutschen Parlament auftreten darf, will Steinert nicht mutmaßen. Es hinge letztlich vor allem davon ab, wie viel Öffentlichkeit im Vorfeld auf die gravierenden Probleme der vatikanischen Politik für die freie und fortschrittliche Zivilgesellschaft aufmerksam gemacht werden kann.

Der mediale Rummel um den inoffiziellen Entwurf eines Rundschreibens von SPD-Bundestagsabgeordneten habe ihm jedenfalls gezeigt, dass die vom Protestbündnis angesprochenen Positionen ein echtes Potential für eine breite Debatte liefern können. „Und bisher wurde das Bündnis auf Landesebene der Parteien mit Ausnahme der Partei Die Linke ja nur durch einzelne Gliederungen unterstützt“, stellt Steinert fest. Dass sich nun offenbar auch in der SPD-Bundestagsfraktion kritische Stimmen gezeigt haben, freut ihn sehr. Es ist ein zusätzlicher Ansporn, während der nächsten Wochen noch konkreter auf Parlamentarier zuzugehen. Steinert ist jedenfalls überzeugt, dass sich die notwendige Debatte um Benedikts XVI. Politik letztlich nicht einfach verdrängen lässt. „Die Diskussion wird kommen, da bin ich ganz zuversichtlich.“

Auf die unkritische Haltung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin angesprochen, laviert Steinert und sucht diplomatische Worte für Klaus Wowereit. Dass der homosexuelle SPD-Politiker aus dem weitestgehend kirchenfernen Berlin trotz der jüngsten Ereignisse um den homosexuellen Theologen David Berger im katholischen Köln erklärt hatte, die Kirchenpolitik am Rande des Papstbesuchs zu thematisieren, „ist als deutliches Signal zu werten.“ Und wenn man Klaus Wowereit wegen seiner  Positionen kritisieren wolle, müsse man auch Renate Künast kritisieren.“ Denn beide haben „in ihrer politischen Rolle“ das Kirchenoberhaupt in der Hauptstadt „herzlich willkommen“ geheißen.

Wesentlich verwunderter äußerte sich Steinert über den Publizisten Henry M. Broder, welcher der Rolle der Kirche bei „Welt Online“ eine vielbeachtete Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt hatte und den Anliegen des wachsenden Protestbündnisses mit Verweis auf die Opfer der iranischen Justiz jede Relevanz absprechen wollte. „Keine Ahnung, was ihn getrieben hat“, sagt Jörg Steinert kopfschüttelnd. Man habe in den letzten Monaten jedenfalls mehrmals versucht, Broder als kritischen Autor mit einzubinden. „Er hat immer sehr merkwürdig und ablehnend reagiert, absurde Gegenfragen gestellt.“

Die Hauptstadtmedien werden ebenfalls aufmerksam verfolgt, berichtet Steinert außerdem. Faire Berichte über die Organisation von „Der Papst kommt“ habe es bei der „taz“ und der „Berliner Zeitung“ gegeben. Die Beiträge im „Tagesspiegel“ hingegen würden „sehr euphorisch“ die anstehende Papst-Visite verarbeiten. „Eine kritische Begleitung hat uns bisher gefehlt.“ Und das Boulevard-Blatt „B.Z.“ stelle das Protestbündnis durchweg als „Störer“ dar, meint er. Das sei ebenfalls absurd, meint er, da Störungen des von katholischem Klerus und Politikern geplanten Reiseprogramms für Benedikt XVI. weder geplant noch irgendwie wahrscheinlich sind. Gestört fühlen kann sich höchstens, wer eine reine Jubel-Berichterstattung erhofft.

In den kommenden Wochen will man beim LSVD nun weiter auf Menschen zugehen, um das Bewusstsein für die zahlreichen Probleme und dramatischen Konsequenzen der Politik von Benedikts XVI. mächtiger Kirche zu stärken. „Wenn man das Thema geduldig erläutert, findet man dabei schnell viel Aufgeschlossenheit“, haben er und die am Projekt beteiligten Aktivisten bei Diskussionsveranstaltungen und Vorträgen festgestellt. Die Vernetzung und Förderung kritischer Positionen soll nicht auf Deutschland beschränkt bleiben, kündigt Steinert schließlich an. Eine polnische Fassung der vom Berliner Bündnis veröffentlichten Erklärung befindet sich in Vorbereitung, da es auch im Nachbarland ein wachsendes Interesse an den Problemen mit der vatikanischen Politik gebe. Möglich ist daher sogar, dass neben dem Besucherstrom wegen Benedikts XVI. Auftritten in Berlin auch ein Papst-Tourismus aus dem polnischen Nachbarland entsteht, der nicht nur aufs Jubeln aus ist.

Arik Platzek