Wie viel Religion braucht die Kultur?

WORMS. (hpd) Über Religion und andere Themen „stritten“ kürzlich der bekannte deutsch-ägyptische Publizist und Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad, Philipp Möller (gbs), Cahit Kaya (ZdE Österreich), Dr. Ulrich Oelschläger (Präses der Synode der evangelischen Kirche Hessen und Nassau), Volker Gallé (Kulturkoordinator der Stadt Worms) und die Wormser Autorin Zöhre Kurun („Ein Viertel des Lebens“).

„Vor gut 200 Jahren diskutierte der Kreis um die französischen Philosophen Denis Diderot und Baron d’Holbach Fragen, die uns bis heute beschäftigen: die Rolle der Religion, das Verhältnis der Geschlechter, den Umgang mit der Lust. Spätere Generationen schreckten vor der Konsequenz zurück, mit der diese Themen im vorrevolutionären Paris diskutiert wurden. Heute ist die Zeit gekommen, diese Debatten wieder aufzunehmen.“ (Philipp Blom, Böse Philosophen – Ein Salon in Paris und das vergessene Erbe der Aufklärung.)

Die Bundesrepublik Deutschland zeichnet sich bei näherer Betrachtung keineswegs durch eine klare Trennung von Kirche und Staat aus. Im Gegenteil. Die hitzigen Debatten bzgl. der Rolle des Islams in der westlichen Gesellschaft zeigen, dass die Aufklärung ganz offensichtlich einer Auffrischung, wenn nicht dringenden Fortsetzung bedarf. Denn das Religiöse ist immer noch alltäglicher Bestandteil unseres Lebens und beeinflusst darüber hinaus ethische und politische Debatten und Entscheidungen. Entscheidungen, die alle Bürger betreffen. Auch nichtreligiöse Menschen, die statistisch mittlerweile die größte Gruppe in Deutschland bilden. Ob Kirchenmitglied oder keiner Konfession zugehörig. Tatsächlich findet diese Gruppe nur selten Gehör im medialen Alltag der Republik. Von der Politik werden die Ungläubigen ebenso kaum wahrgenommen, zumal sie scheinbar keine Lobby haben. Trotz Richard Dawkins und einer illustren Riege mehr oder weniger bekannter Religionskritiker. 

Eine gelungene Premiere

Das Thema Religion und Religionskritik bewegt viele Menschen. So fanden ca. 150 Gäste ihren Weg in das ehemalige Lichtspielhaus, am Wormser Obermarkt. Was für eine solche Veranstaltung, in Bezug auf die lokalen Verhältnisse, mehr als ein guter Schnitt war. Außerdem trat die GBS, wie Ulrike Schäfer in einem Artikel der Wormser Allgemeinen Zeitung nach dem Abend richtig bemerkte, das erste Mal öffentlich in Worms in Erscheinung. Eine gelungene Premiere also – zudem hochkarätig besetzt.

Hamed Abdel-Samad machte gleich zu Beginn der Diskussion deutlich, dass er eine klare Trennung zwischen Kirche und Staat in Deutschland anno 2011 nicht erkennen könne. „Obwohl die Mitgliedszahlen der Kirchen in den letzten Jahren ständig gesunken seien, hätten die Kirchen kaum an Einfluss verloren.“ Philipp Möller stellte fest, „dass es schon erstaunlich sei, dass die Kirchen bei gesellschaftlichen Debatten immer wieder bemüht würden.“ Was z.B. die kaum von sachlichen Argumenten getragene Diskussion über die PID deutlich gezeigt habe. Abdel-Samads Aussage nach „seien die Kirchen jedoch nicht der Pizzalieferant für ethische Werte in einer freien und demokratischen Gesellschaft.“ Dr. Oelschläger von der Evangelischen Kirche kritisierte hingegen, „dass im Vorfeld der Veranstaltung behauptet wurde, die Mehrheit der Deutschen würden sich keiner Kirche zugehörig fühlen. Es wären immer noch mehr als 2/3 der Bevölkerung Mitglied der beiden großen Kirchen. Ihm sei ebenso nicht klar, wie man überhaupt feststellen wolle, wer wo inwieweit gläubig sei und wer nicht.“ Richtig ist, dass im Pressetext im Vorfeld ca. 54% der Deutschen als nichtgläubig bezeichnet wurden, egal ob nichtkonfessionell oder Mitglied einer Kirche. Diese Aussage stützt sich auf jüngste Umfragen in der EU und eine Auswertung von FoWid zum Thema „Wer glaubt das Glaubensbekenntnis?“ 

Unklares Thema?

Die Problematik, die das Motto der Veranstaltung in sich barg, wurde diesbezüglich schnell offensichtlich, da sich die Diskussion von Beginn an zu einer Laizismusdebatte entwickelte. So schrieb Ulrike Schäfer in der WZ (vom 12.09.2011/Wie viel Kirche braucht der Staat?) zu recht: „Im Grunde ging es in der von Dirk Winkler moderierten Runde vorrangig um die Frage: Wie viel Kirche beziehungsweise wie viel 'institutionalisierten monotheistischen Dogmatismus' (Philipp Möller, Pressesprecher der GBS) braucht der Staat? Sollten die Kirchen Privilegien haben? Andere Gruppierungen, wie Freireligiöse und Atheisten, die mittlerweile vielerorts in der Mehrheit seien, kämen dabei nicht zum Zug.“

Auch Gernot Kirch vom Wormser Nibelungenkurier schrieb in seinem Artikel (Spannende Diskussion – aber worum ging es eigentlich im Kern?/Ausgabe des NK vom 14.09.2011):

„Der Titel lautete „Wie viel Religion braucht die Kultur?“ Darin lag allerdings auch ein Problem der Veranstaltung, denn über die Wechselwirkung zwischen Religion und Kultur wurde recht wenig gesprochen. […] Über einen Großteil der Zeit wurde – teils hitzig – die Frage erörtert, darf die Religion Einfluss auf unseren Staat haben bzw. hat sie zu viel Gewicht bei der politischen Willensbildung.“

Man muss also kritisch anmerken, dass das Thema des Abends zu unklar umrissen war. Eine Fokussierung auf prägnante Punkte war demnach schwierig, was etliche historische Ausflüge von der Antike, über das Mittelalter, bis hin zur Neuzeit und wieder zurück, im Verlauf des Abends zeigten. Fast schade war es, dass der Einfluss der Religion auf die Kultur der Gegenwart nur peripher gestreift wurde. Andererseits entpuppten sich insbesondere die fundiert untermauerten und oft pointiert geschichtlichen Abstecher der Herren Abdel-Samad und Gallé als Bereicherung. Letzterer glänzte darüber hinaus durch seinen spitzbübisch rheinhessischen Humor. Während Dr. Oelschläger sich nicht selten hinter den Verteidigungsmauern seiner kirchlichen Institution wiederfand, sprich: in der Defensive. Fairerweise muss angemerkt werden, dass genau dieser ein ebenso vehementer Gegner kreationistischer Bestrebungen ist und sicherlich der Kategorie Weltlich Aufgeklärter Geistlicher zugeordnet werden muss. So wünschte man sich das ein ums andere Mal einen klaren Antagonisten in der Runde. Leider hatte jedoch die katholische Kirche den Veranstaltern eine mehr als deutliche Absage erteilt. Auch ließ sich kein Vertreter der bekannten Islamverbände finden, der an der Diskussion hätte teilnehmen können.

Nichts gegen Religion als Folklore

Die Initiatoren der Veranstaltung wollten darüber hinaus im Vorfeld unnötige Provokationen vermeiden, da diese im Rahmen der Interkulturellen Woche bzw. dem Fest der Kulturen stattfand, welche in der Hauptsache von der Evangelischen Kirche und den vor Ort ansässigen muslimischen Religionsvereinen organisiert wurden. Hierzu gehörten unter anderem DitiB und Milis Görüs. Ziel war es also primär einen ersten Kontrapunkt zu setzen. Nämlich, dass die Kultur, und auch die von Migranten, nicht ausschließlich über die Religion zu definieren sei. Cahit Kaya kritisierte diesbezüglich, „dass es ihn schon immer geärgert habe, als Migrant über die ausschließlich muslimischen Organisationen in der Öffentlichkeit vertreten zu werden, denen er als Nichtgläubiger in keinster Weise nahe stünde. Auch in Deutschland, so sein Eindruck, sei das offensichtlich nicht anders.“

Beispielbild
Hamed Abdel-Samad
Doch zurück zum eigentlichen Veranstaltungsthema. Dazu meinte der Kulturkoordinator der Stadt Worms, Volker Gallé: „Früher war die Kultur ein Teil der Religion, heute ist die Religion ein Teil der Kultur, und das sei auch gut so. Zumal, was das historische Worms angeht, die Religion z.B. in Form des imposanten Kaiserdoms deutliche Spuren hinterlassen habe.“ Hamed Abdel-Samad vertrat wiederum die Meinung, „dass er gegen einen Islam Light oder eine Religion mit einem rein folkloristischen Charakter nichts einzuwenden habe.“ Dem möchte man gerne zustimmen. Und auch Philipp Möller sprach davon, dass er tatsächlich „niemanden zum Atheismus bekehren wolle. Seine Kritik wende sich in der Hauptsache gegen die institutionalisierte Form der Religion.“ Zöhre Kurun betonte, dass der Glaube an sich ein sehr wichtiger Faktor im Leben eines Menschen sei. Allerdings nicht abhängig von der religiösen Form des Glaubens. Wichtig sei vielmehr, „sich und seinem Leben selbst einen Sinn zu geben“. Auf die Frage, was Religion überhaupt ist, gab vielleicht Cahit Kaya die schlüssigste Antwort: „Religion ist die aufwändigste Art zu sagen: Ich habe Angst vor dem Tod.“

Die Beiträge aus dem Publikum, in der anschließenden Fragerunde, beschränkten sich ebenso weitgehend auf den Kontext Kirche und Staat bzw. der Kritik am Religionsunterricht in staatlichen Schulen.

Michael Koch

Veranstalter des Abends waren die Säkularen Humanisten – GBS Rhein-Neckar e.V., die Regionalgruppe der GBS Mainz/Rheinhessen e.V., der BfG Heidelberg und der IBKA. Die Diskussionsrunde fand am 09. September 2011 im Wormser Lincolntheater im Rahmen der Interkulturellen Woche statt.

Man beachte im Zusammenhang mit der Veranstaltung auch den Podcast von Philipp Möller im Gespräch mit Hamed Abdel-Samad