BRÜSSEL. (hpd) Die Mobilisierungsversuche fundamentalistischer Christen gegen die Selbstbestimmungsrechte schwangerer Frauen laufen weiter auf Hochtouren. Das Ziel sind die Regeln der offenen Gesellschaft, ihr Motiv bilden Bibelworte und ein archaischer Gottesglaube.
Wegen der Kampagnen der selbsternannten „Lebensschützer“ gegen die Möglichkeiten zur Geburtenkontrolle und mehr, haben sich jetzt europäische Organisationen zusammengeschlossen, damit das Recht auf Abtreibung geschützt bleibt.
Um den zunehmenden Angriffen religiöser Organisationen auf die Regeln der modernen Gesellschaft Einhalt zu gebieten, initiierte das Centre d’Action Laïque (CAL) in Belgien eine Kooperationsplattform, die sich international koordiniert für das Recht auf Abtreibung einsetzen will. „Das Recht auf Abtreibung, d.h. die Freiheit der Frauen, eine Schwangerschaft fortzusetzen oder nicht, ist eine unverzichtbare Errungenschaft, die nicht infrage gestellt werden darf“, so Juliet Pernet vom CAL.
Denn am 22. September 2012 soll es auch in Berlin wieder so weit sein. Gehen die Pläne der Abtreibungsgegner auf, wird dann wie in den Vorjahren eine weiter gewachsene Zahl von religiösen Fundamentalisten durch das Zentrum Berlins laufen, um mit tausenden weißen Kreuzen und Handzetteln für ihre Ziele in der Öffentlichkeit Stimmung zu machen.
Dazu zählen laut einer im letzten Jahr verfassten „Berliner Erklärung“ ein Totalverbot der Präimplantationsdiagnostik, die Unterdrückung gesetzlicher Reformen für ein Sterben in Würde und vor allem der Entzug der Selbstbestimmungsrechte von Schwangeren. Der Name und zugleich zynische Slogan der Demos: „Marsch für das Leben“.
Laut Polizeiangaben rund 2.100 Teilnehmer waren hier im vergangenen Jahr unterwegs. In Belgien waren es 3.000 Demonstranten, 6.000 in Irland. Ein rapides Wachstum haben die Gruppen weltweit zu verzeichnen.
Dahinter steht hierzulande der Bundesverband Lebensrecht e.V. mit Sitz in Berlin, den Vorstand der Organisation bildet eine Elite der christlich-reaktionären Bewegung in Deutschland: Martin Lohmann, früherer Bild-Kolumnist und „Ritter des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem“, und Hartmut Steeb, Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz. Evangelische und katholische Bischöfe sowie eine wachsende Zahl namhafter und einflussreicher Politiker unterstützen die Bewegung, die in immer mehr Städten weltweit Fuß zu fassen versucht.
Und sogar manches Unternehmen mischt mit. Die deutsche Betriebskrankenkasse für Industrie, Handel und Versicherungen (BKK IHV) bewirbt ein „Baby-Willkommensgeld“ von ProLife, einer weiteren Gruppe der sogenannten Lebensrechtsbewegung, die für Maßnahmen gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch wirbt. Hartmut Steeb, Vater von zehn Kindern, und andere bekannte Gesichter stehen auch hinter ProLife.
Auf europäischer Ebene versuchen die Abtreibungsgegner ihre Ziele ebenfalls zu verankern. Sogar vor einer Abstimmung des Europäischen Parlaments über eine Resolution zum verstärkten Kampf gegen AIDS/HIV am 1. Dezember 2011 versuchten konfessionelle Organisationen in einer massiven Lobbykampagne, ihre Vorstellungen über die Regeln der reproduktiven Gesundheit durchzusetzen.
Andernorts gehen Abtreibungsgegner mit handgreiflicher Gewalt gegen Ärzte und Klinikpersonal vor oder blockieren gegenüber Schwangeren die Zugänge, versuchen Einrichtungen zur Schließung zu zwingen oder in den Ruin zu treiben.
„Die Märsche für das Leben bieten durch ihre Aktionsform auch Laizisten und Atheisten eine Teilnahmemöglichkeit und daher einen Einstieg in den Lebensschutz“, preisen Kirchenmedien die Veranstaltungen.
Rund 20 Menschen- bzw. Bürgerrechtsorganisationen aus Belgien, Frankreich und den Niederlanden haben auf der Plattform für das Recht auf Abtreibung eine Charta veröffentlicht, die die Wichtigkeit des Anspruchs und des Rechts auf Entscheidungsfreiheit, umfassende Sexualaufklärung auch im Bildungswesen sowie freien Zugang zu Empfängnisverhütungsmitteln und Möglichkeiten zum Schwangerschaftsabbruch betont.
Die Charta kann auch online unterzeichnet werden. Die Partnervereinigungen der Plattform für das Recht auf Abtreibung rufen zusätzlich dazu auf, sich an einer Demonstration zum am 24. März 2012 in der belgischen Hauptstadt Brüssel zu beteiligen, um das Bewusstsein für dieses wieder zunehmend umkämpfte Recht der Frauen zu erhöhen.
Arik Platzek