LONDON. (hpd) In Großbritannien nimmt offenbar die Zahl der Kinder zu, die Exorzismen unterworfen werden. Die Überzeugung, Kinder seien "Hexen", ist häufig von religiöser Überzeugung gespeist und besonders in afrikanischstämmigen Gemeinschaften verbreitet.
Kindesmisshandlung, die mit der Idee der Besessenheit durch Geister und Hexerei verbunden ist, ist ein wachsendes Phänomen, so die Befunde des Sonderausschusses für Bildung und Erziehung, die in Sachen Kinderschutz ermittelte. Das Thema ist hauptsächlich in afrikanischen Gemeinschaften zu finden, häufig von extremer religiöser Überzeugung gespeist, und Experten glauben, dass sein Wachstum eine Reaktion auf persönliches oder familiäres Missgeschick zurückzuführen ist, welches der Wirtschaftsabschwung verursachte.
Der religiöse Glaube an Besessenheit
Bereits im Jahre 2000 wurde im Norden Londons ein Fall bekannt, in dem die achtjährige Victoria Climbié von der Elfenbeinküste von ihren Vormunden Marie Therese Kouao und Carl Manning gefoltert wurde. Sie glaubten, das Kind sei von einem bösen Geist besessen — ein Glaube, der von ihren Kirchenführern unterstützt wurde. Victoria starb an den Folgen der Misshandlungen.
Im Jahre 2005 wurden drei Erwachsene im Osten Londons wegen Grausamkeit gegenüber einer weiteren Achtjährigen aus Angola verurteilt. Weil sie glaubten, sie sei besessen, war sie von ihnen ausgehungert, geschlagen und mit einem Messer geschnitten worden. In die Augen hatten sie ihr Chilischoten gerieben.
Africans Unite Against Child Abuse (Afruca), eine Kinderrechtsorganisation, die mit afrikanischen Gemeinden in Großbritannien arbeitet, erzählte dem Bildungskomitee, dass vor Ort glaubensbasierte Misshandlung zunehme. Die Afruca-Vorsitzende Prospera Tedam erzählte: "Im vergangenen Jahr haben wir zwölf Fälle in der Region London gesehen und bearbeitet, die wir als ernsthafte Misshandlung und Vernachlässigung wahrnehmen, die auf den Glauben an Hexerei zurückzuführen sind."
Justin Bahunga, der für den Bereich glaubensbezogene Misshandlung bei Afruca zuständig ist, meinte, die Fälle, die der Organisation zu Gehör kämen, schlössen ein, dass Kinder halb erwürgt, mit Bügeleisen verbrannt, massiv geprügelt und ausgehungert würden, im Glauben, "dies wird ihnen den Teufel austreiben".
Der Glaube, es gebe Mächte, die Menschen und Ereignisse kontrollieren könnten, sei in Afrika und in afrikanischen Gemeinschaften in Großbritannien verbreitet, erklärte Bahunga. Während dieselbe Vorstellung in vielen Religionen existiere, könnte dieser Glaube sich innerhalb der afrikanischen Kultur im Kontext Großbritanniens als eine Antwort auf Themen wie Schwierigkeiten mit der Einwanderung oder Arbeitslosigkeit manifestieren.
"Verzweifelte Menschen suchen häufig den Rat von Kirchenführern, und einige gefährliche Pastoren suchen die Schuld bei den Kindern. Sie werden als die leichteste Zielscheibe angesehen", meinte Bahunga, und führte das Beispel eines gegenwärtigen Falles an, das von Afruca betreut wird, in dem ein Kind als Hexe gebrandmarkt und als Ursache der Unfruchtbarkeit seiner Stiefmutter bezichtigt wird.
"Der Pastor sagt dann: 'Egal, wie Ihre Probleme aussehen, ich kann sie lösen, in dem ich Sie vor den bösen Mächten der Hexerei beschütze'. Aufgrund ihres Status wird das Wort des Pastors als Wille Gottes interpretiert. Sie erhalten vielleicht Geld für ihren Rat oder dafür, Exorzismen durchzuführen. Sie beuten die Verletzlichkeit der Familien aus."
Besonders Kinder mit Behinderungen, Waisen und jene, deren Verhalten als herausfordernd erlebt werde, seien gefährdet, als Hexen gebrandmarkt zu werden, meinte Bahunga. Auch seien jene in Gefahr, die ihre Eltern verlassen hätten, um mit Verwandten oder Vormunden zu leben.
Hilfen für die Kinder
Afruca führt nun eine Kampagne durch, um eine Gesetzesänderung herbeizuführen, aufgrund dessen es illegal werden soll, jemanden als Hexe zu brandmarken. Inzwischen besteht auch eine Sorge darin, dass die Anzahl der Vorfälle wegen des Wirtschaftsabschwungs steigen wird.
Zudem tauchen immer mehr Belege dafür auf, dass der Glaube an Hexerei ein zunehmend gebräuchliches Werkzeug dafür darstellt, Kinder zu kontrollieren, mit denen gehandelt wird. Den Ermittlungen von Ecpat UK zufolge, die gegen die Ausbeutung und den Kinderhandel eine Kampagne lancierten, können Kinderhändler Kinder zwingen, in ihren Heimatländern Hexerei-Rituale zu durchlaufen, um sie davon abzuhalten, Hilfe zu suchen.
Die letzte größere Studie zur Misshandlung von Kindern, die mit der Anschuldigung der Hexerei verbunden waren, wurde 2006 durchgeführt. 74 Fälle von Misshandlung wurden seit 2000 identifiziert, in denen eine klare Verbindung hergestellt werden konnte. Dreiviertel der bekannten Fälle waren aus London und die Kinder waren überwiegend afrikanischer Herkunft, einige Fälle entstammten Südostasien und einer entstammte einem weißen englischen Hintergrund. Etwa die Hälfte der betreffenden Kinder waren in Großbritannien geboren.
Inzwischen gibt es Hilfen. Sozialarbeiter werden dem Problem gegenüber wachsamer und können geschult werden. Die stärkere Koordination aller Organisationen ist nötig, sowohl national als auch lokal, um das Thema in den Fokus zu rücken, die Fertigkeiten der in der Praxis Tätigen zu entwickeln und die Gemeinden darin zu unterstützen, Misshandlungen zu widerstehen.
Fiona Lorenz
Dieser Artikel basiert im Wesentlichen auf einem Artikel von Louise Hunt, der am 18.01.2012 im Guardian erschien.
Afruca-Broschüren, die ausführlicher über diese Themen berichten, finden sich hier.