Die Menschen wollen sich ein selbstbestimmtes Ende nicht mehr nehmen lassen

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Seit dem bahnbrechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar 2020 hat Deutschland weltweit die liberalste rechtliche Situation bei der Suizidassistenz. Weder skandalwitternde Journalisten noch aufgeschreckte Politiker können das Thema für die Allgemeinheit wieder zum Tabu machen: Immer mehr Menschen treten etwa in die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) ein, die einen selbst gewählten Tod ermöglicht.

Im Oktober veröffentlichte der Spiegel einen großen Artikel zum Freitod des Sterbehilfe-Aktivisten Florian Willet. Es wirkte so, als versuchte der Autor, aus der selbstbestimmten und schon lange vor einer psychiatrischen Episode im zeitlichen Vorfeld des Todes getroffenen Entscheidung eines Menschen, der sich in dieser Thematik wohl mit am besten auskannte und dem daher in einem Gespräch nicht viel Neues erklärt werden konnte, eine True-Crime-Story zu machen. Eine tendenziöse Schreibweise zielte auf Skandalisierung, die Überschrift lautete: "Ein Suizid, der die Politik wachrütteln könnte" Der Zweck heiligte offenbar auch die Mittel, indem intimste Informationen aus den von der DGHS vermittelten Vorgesprächen ohne Einverständnis des Verstorbenen veröffentlicht wurden. Vielleicht war es das, was andere Medien davon abhielt, das Thema in dieser Form aufzugreifen.

Kaum einen Monat später war die DGHS wieder in den Schlagzeilen: Diesmal hatte sie dem einst berühmten Entertainer-Geschwisterpaar Kessler geholfen, nach eigener Entscheidung sein Leben zu beenden. Dass Kirchenvertreter dies kritisch sehen, ist so wenig überraschend wie politisch relevant. Doch diesmal kam die Reaktion dem Spiegel-Titel eher nach: Der ehemalige SPD-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach forderte eine gesetzliche Regelung, da er die aktuelle Situation ethisch nicht vertretbar finde. Helmut Frister, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, schloss sich an.

Doch die Menschen scheinen sich keineswegs abgeschreckt zu fühlen. Dies zeigt einmal mehr, wie weit sich Journalismus, Politik und Bevölkerung bei säkularen Themen entfremdet haben. Die Pressesprecherin der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, Wega Wetzel, erklärte auf hpd-Anfrage: "Es hilft der Aufklärung zum Thema Selbstbestimmung am Lebensende schon sehr, wenn es einen Bezug zu sehr prominenten Menschen gibt. Die Berichterstattung über die Umstände der Kessler-Zwillinge, die am 17. November 2025 gemeinsam aus dem Leben gingen und dafür die Hilfe eines von der DGHS vermittelten Teams aus Jurist und Ärztin in Anspruch nahmen, zeigt dies deutlich." Bereits am selben Tag habe die DGHS in der Geschäftsstelle, aber auch dezentral bei ihren hundert lokalen Ansprechpartner:innen einen sprunghaften Andrang von Interessenten verzeichnet. Über die Website gingen in der Folgezeit jeden Tag mehrere hundert Menschen eine Vereinsmitgliedschaft ein. "Die postalischen Zuschriften konnten wir noch gar nicht umfassend sichten. Das zeigt uns, dass das Thema Freitodbegleitung und das Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende die Menschen sehr beschäftigt", so Wetzel weiter. Vielleicht wollen sie auch einer bevormundenden Regelung zuvorkommen, die dann genau das Gegenteil von dem bewirken würde, was sie zu verhindern sucht?


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