Das britische Unterhaus stimmt über eine Legalisierung der Sterbehilfe ab. Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung spricht sich für das neue Gesetz aus.
"Das Leben ist kostbar. Aber das gilt auch für Entscheidungen", schreibt die britische Labour-Abgeordnete Kim Leadbeater auf X. Gemeint ist die Entscheidung, bei einer unheilbaren Erkrankung das Leben zu beenden und dafür fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das gilt gegenwärtig in England und Wales als Straftat. Doch jetzt hat Leadbeater einen Gesetzentwurf zur Legalisierung der Sterbehilfe ins Parlament eingebracht. Das Gesetz soll Betroffenen die Möglichkeit geben, "vorbehaltlich der Sicherheitsvorkehrungen und des Schutzes, Unterstützung bei der Beendigung ihres eigenen Lebens zu beantragen und zu erhalten", so der Wortlaut. Zur Bestätigung des Sterbewunsches des Patienten müssen dann ein Richter und zwei Ärzte hinzugezogen werden. Wie Leadbeater betont, soll die Option Sterbehilfe ausdrücklich auf Erwachsene mit unheilbaren Erkrankungen beschränkt bleiben, deren Lebenserwartung höchstens ein halbes Jahr beträgt. Eine Behinderung, psychischen Erkrankung oder hohes Alter allein qualifizieren demnach nicht für Inanspruchnahme dieser Hilfe.
In der Bevölkerung findet der Gesetzentwurf breite Zustimmung. 74 Prozent der Erwachsenen in Großbritannien befürworten die Legalisierung der Sterbehilfe, nur 6 Prozent sind dagegen. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Befragung, die die humanistische Organisation Humanists UK im Oktober unter mehr als 7.000 Personen durchführte. Derzeit gilt Sterbehilfe in allen Landesteilen außer Schottland als "Beihilfe zum Suizid" und wird mit bis zu 14 Jahren Gefängnis betraft. Schottland kennt zwar keinen eigenen Straftatbestand, doch dort droht eine Anklage wegen Mordes oder fahrlässiger Tötung, wenn Personen etwa einem Angehörigen bei Erfüllung seines Sterbewunsches assistieren.
Wie Kim Leadbeater in einem Beitrag für die Zeitung The Guardian schreibt, besteht das gegenwärtige Gesetz seit über 60 Jahren. Der letzte Versuch einer Reform scheiterte 2015, als das Parlament den Gesetzentwurf mit einer Dreiviertel-Mehrheit ablehnte. Geblieben sei laut Leadbeater "das herzzerreißende Fehlen von Entscheidungsfreiheit für diejenigen, die wissen, dass ein unerträglicher und schmerzhafter Tod bevorsteht, die aber keine Kontrolle darüber haben, wann und wie er eintritt."
Wie zu erwarten, äußerte sich die Kirche besorgt über die Gesetzinitiative. Justin Welby, Erzbischof von Canterbury, äußerte die Befürchtung eines "Dammbruchs", indem die Bedingungen für den assistierten Suizid erweitert würden und Menschen unter Druck gerieten, ihr Leben vorzeitig zu beenden.
Hingegen begrüßt Humanists UK Leadbeaters Gesetzesvorstoß als einen "historischen Moment". Ihr Geschäftsführer Andrew Copson sieht angesichts der großen Zustimmung in der Bevölkerung und der progressiven Mehrheit im Unterhaus eine realistische Chance, "dass die Politiker endlich tun, was Bürgerinnen und Bürger bereits seit vielen Jahren von ihnen erwarten: nämlich diese mitfühlende Reform durchzuführen, damit Menschen am Lebensende zu einem Zeitpunkt ihrer Wahl in Würde sterben können".