OBERWESEL. (hpd) Am vergangenen Sonntag lud die Giordano-Bruno-Stiftung erneut zur Postmatinee nach Oberwesel ein. Die Molekular- und Evolutionsbiologin Dr. Sabine Paul stellte ihr neues Buch „PaläoPower: Das Wissen der Evolution nutzen für Ernährung, Gesundheit und Genuss“ vor.
Was hat Darwins Evolutionstheorie mit Genuss und Medizin zu tun? Mit dieser Fragestellung führte Dr. Sabine Paul die zahlreichen Zuhörer in das Thema ihres Vortrags ein und stellte eine Antwort vor, die sich an den neuen Erkenntnissen der Evolutionsbiologie orientiert.
Als verhältnismäßig neue Disziplin beschäftigt sich die evolutionäre Medizin mit der Entstehung von Gesundheit und Krankheit als Folge der Evolution. Statt vorheriger Fokussierung der Medizin auf theoretische, anatomische Erklärungen soll durch die Untersuchung des Zusammenspiels zwischen Genen und Umwelt ein Ansatz gefunden werden, der die menschliche Physiologie und Praxis berücksichtigt. Denn die Erkenntnisse von der Natur des Menschen spielen für eine wissenschaftlich fundierte Ernährungstheorie und deren Umsetzung eine große Rolle.
Da wir heutigen Menschen eine fast identische genetische Veranlagung wie unsere Vorfahren aus der Altsteinzeit (Paläolithikum) aufweisen, lohne sich der Blick in vergangene Zeiten. Denn der Mensch verbrachte in seiner bisherigen Laufbahn nur etwa 0,5% seiner Entwicklung als sesshafter Ackerbauer und Viehzüchter, also weniger als 10.000 Jahre. Dem steht eine Zeit von circa 2.000.000 Jahren gegenüber, in der der Mensch als Jäger und Sammler agierte. So sei es, laut Paul, auch nicht verwunderlich, dass es häufig zu einer Diskrepanz zwischen steinzeitlicher Veranlagung und neuen Lebensumständen käme, wodurch Krankheiten wie Übergewicht und Burnout entstehen könnten. Eine genetische Anpassung an eine neue Umwelt vollzieht sich nämlich nur sehr langsam. Um diese Diskrepanz wieder in Balance zu bringen, ist es ratsam, auf die alte Kraft aus zwei Millionen Jahren Menschheitsentwicklung zurückzugreifen: Die „PaläoPower“.
Damit diese Kraft sinnvoll genutzt werden kann, sollte man sich vor Augen führen, welche evolutionären Programme unsere Vorfahren angewandt haben. So kann die Kombination aus steinzeitlicher Ernährung, Training, ausreichender Regeneration und Talente (der „PaläoPower-Kompass“, siehe nebenstehende Abbildung) als Erfolgsrezept gegen Zivilisationskrankheiten angesehen werden. Doch wie sah beispielsweise die Ernährung in der Steinzeit aus? Gemüse, Nüsse, Pilze, Früchte, Blätter und gekochte Nahrung, aber auch energiereiches Fleisch sowie Kohlenhydrate als schnelle Energielieferanten waren schon bei unseren Vorfahren heiß begehrt. Die Lust auf Süßes und Fettreiches hat sich im Laufe der Zeit also bewährt, allerdings unter anderen Lebensbedingungen und in anderer Qualität. Die Ernährung unserer Vorfahren aus der Steinzeit setzte sich nämlich vor allem aus viel Eiweiß und Fett, aber wenig Kohlenhydraten zusammen.
Ein Bruch in der Ernährungsgeschichte
Durch die neolithische Revolution vor ungefähr 10.000 Jahren kam es zu einem Bruch in der Ernährungsgeschichte des Menschen. Der Zugang zu und Konsum von Getreide und Milch sowie von Ölen, Zucker und Salz in großen Mengen wurde möglich. Mit dieser Nahrungsumstellung gingen eine Abnahme der Körpergröße, Zahnschäden ebenso wie Knochen- und Gelenkentzündungen und die Ausbreitung von Infektionskrankheiten einher. Die Vermutung liegt nahe, dass dies Indizien für eine Fehlernährung sind. Eine steinzeitliche Ernährung hätte dagegen positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit.
Eine weitere Zäsur fand durch den Einzug von Kunstprodukten in unsere Speisekammer statt. Die Referentin veranschaulichte dies an Produkten wie Babynahrung und Weingummis, die mit einem Inhalt werben, der in nur minimalen Mengen oder überhaupt nicht in den Produkten enthalten ist. Besonders hier sei eine größere Aufmerksamkeit geboten.
Aber was ist mit Erkrankungen wie Burnout? Auch hier lohne sich der Blick auf die Biologie und die Natur des Menschen. Grund für Burnout sei hauptsächlich das Ignorieren von biologischen Stoppsignalen. Sabine Paul rät daher zur richtigen Interpretation der Lust- und Unlustgefühle des Körpers. So sei es hilfreich, das Hamsterrad, in dem man sich befinde, zu verlangsamen und angemessene Ziele festzulegen. Dadurch sei es möglich, das eigene Wohlergehen gegenüber von Gruppeninteressen nicht zu vernachlässigen. Da man den Konflikt zwischen individuellen Interessen und Reproduktionsprogrammen auch in der nicht-menschlichen Natur finde, sei eine Betrachtung aus biologischer Perspektive erkenntnisfördernd.
Das Fazit von Dr. Sabine Paul mündete in dem Ratschlag, ein größeres Vertrauen in die eigene Körperwahrnehmung zu gewinnen. Statt sich an Esstabus zu halten, solle man die Bedürfnissen und Signale des Körpers nicht ignorieren. Schließlich hätten sich diese Programme schon sehr lange in der Evolution des Menschen bewährt. Um genetische Veranlagung und Umwelt wieder in Balance zu bringen, sei eine steinzeitliche und genussvolle Gourmetküche empfehlenswert.
Im Anschluss an den interessanten Vortrag stand Dr. Sabine Paul dem Publikum für weitere Fragen zur Verfügung. Neben tierethischen Bedenken wurden auch Anmerkungen zu Kunstprodukten und der praktischen Umsetzung intensiv diskutiert. Drei Monate nach dem furiosen Klavierkonzert mit Adel Ferenc Mohsin gab es also einiges in Oberwesel zu lernen. Zum Beispiel auch die beruhigende Erkenntnis, dass sich Genuss und Gesundheit nicht ausschließen.
Florian Chefai
Am 08. März 2012 erschienen: Sabine Paul: “PaläoPower: Das Wissen der Evolution nutzen für Ernährung, Gesundheit und Genuss”, 301 Seiten, 12 Abbildungen, weitere Illustrationen, 12,95 € (broschiert; eBook in Vorbereitung). Das Buch hat eine eigene Homepage, auf der weitere Informationen zu finden sind.