BERLIN. (hpd) Regenbogenfahnen, Lichterketten, Trauerzüge – das Entsetzen und die Wut über das Unfassbare in Florida sind riesig. Nicht nur, weil so viele Menschen wie selten bei einem Schussattentat um Leben kamen, scheint die Empörung besonders groß. Auch deshalb, weil eine Zielgruppe ausgewählt wurde, die verwundbarer scheint als andere. Schwule und Lesben wurden getroffen, eine Minderheit, die eine große Lobby hinter sich weiß – und gleichzeitig aber ständig darum kämpft, ihre Mitte zu finden.
Zunächst einmal scheint es egal, wer dort getötet wurde. Es waren Menschen. Ihre sexuelle Orientierung ist nebensächlich, denn durch sie werden wir nicht besser oder schlechter. Es ist allein unser Unverständnis darüber, dass Dutzende gerade wegen ihres Lebensstils zum Opfer wurden, das uns schweigen lässt – und dann erzürnt. Denn wir gehen davon aus, dass in einer westlichen Welt solch eine Tat nicht möglich sein kann, in einer aufgeklärten Umgebung, in einer Atmosphäre der grenzenlosen Toleranz.
Doch wie naiv sind wir eigentlich? Anfangs rangen die Reporter mit sich selbst, um irgendein Konstrukt zu schaffen, das erklärt, warum entweder ein islamistischer Hintergrund oder aber ein homophobes Bestreben hinter dem Massaker steckt. Aber warum eigentlich ein "Oder"? Religiös motiviert und gleichzeitig schwulenfeindlich? Ist das denn so abwegig? Nein, im Gegenteil! Nicht nur der Islam kennt die Verachtung für Männer, die Männer lieben – und Frauen, die Frauen begehren.
Aber so weit müssen wir gar nicht gehen. Wer sonntags wieder einmal einen Blick in die nächste Kirche wirft, der kann an der richtigen Stelle genau zuhören, wie ein nicht geringer Teil des Christentums über Homosexuelle denkt. Da werden Bibelstellen umgedeutet und Gottes Wille aus den Fingern gesogen, so, wie es eben passt, um diejenigen zu verurteilen, die nicht in ein religiöses Weltbild passen, das von klaren Ordnungen geprägt ist. Als schwuler Gläubiger war ich noch vor ein paar Jahren nahezu täglich Mitchristen und Geistlichen ausgesetzt, von denen nicht einmal Desinteresse oder gar bemitleidendes Herabbeugen nach dem Motto von Gnade und Barmherzigkeit zu erwarten waren, sondern Abneigung und Verachtung. Homosexuelle Menschen hätten keinen Segen verdient, waren da noch die harmlosesten Feststellungen. Ein Klima, in dem Homophobie reifen kann. Und das tat sie auch.
Wir tun so, als lebten wir im Land der Glückseligen, in dem wir uns alle lieb haben. Nein, gerade Religionen sind aufgrund ihres Festhaltens an Althergebrachtem eine Brutstätte für eine Feindseligkeit gegenüber allem, was nicht schöpfungsgemäß scheint – dabei interessiert die Schöpfung relativ wenig, was Dogma und Tradition ihr anzuhaften versuchen. Die Angst vor dem Fremden, bereits die Schriften diverser Kulturen beschreiben dieses Phänomen, das wir heute nicht nur gegenüber Schwulen und Lesben wahrnehmen. Hinterfragen wir uns selbst und öffnen wir die Augen, müssen wir eingestehen, dass unsere Fassungslosigkeit über das Geschehen in Orlando heuchlerisch ist. Denn im ganz Kleinen passieren solche Wahnsinnstaten täglich, auch nebenan. Zwar sterben dabei keine Menschen, aber es vergeht jedes Mal ein Stück Hoffnung darauf, dass wir einander respektieren.
Ich kann mich erinnern, dass ich mit schüttelndem Kopf vor dem Fernseher saß, als ich das erste schwule Pärchen beim Küssen sah. Ich konnte es nicht verstehen. Heute küsse ich selbst Männer – und muss mich anstrengen, um das Unverständnis derjenigen nachvollziehen zu können, die dabei noch immer ihr Unbehagen zum Ausdruck bringen. Wenn wir auf die Suche nach den Ursachen der Ereignisse in den USA gehen, dann müssen wir uns als "queere Community" vielleicht selbst fragen, ob wir diejenigen nicht überfordern, die damit Probleme haben, unser Leben zu verstehen. Nein, keinerlei Misstrauen rechtfertigt irgendeine Form der Gewalt. Sollte sich herausstellen, dass der Attentäter tatsächlich selbst schwul war, so ist es möglicherweise nicht nur ein religiöses Motiv, sondern tatsächlich eine Homophobie, die unter unseresgleichen nicht selten ist. Seit Jahren verdrängen die schwul-lesbischen Organisationen die Tatsache, dass nicht alle ihre Mitglieder Frieden mit sich und der homosexuellen Gemeinschaft gefunden haben. Das Bild, wonach jeder Homosexuelle mit sich und seiner Orientierung glücklich ist, ist ein ebenso verlogenes und unehrliches Märchen wie das einer allseits toleranten Gesellschaft.
Schwulsein, Lesbischsein – das bedeutet ganz oft, auch mit der eigenen Persönlichkeit zu ringen. Daran sind nicht immer die Anderen schuld, die mobben und lachen. Viel eher sind wir es selbst, die dann doppelt gefordert werden: Wir müssen nicht nur unser Selbstbewusstsein finden, sondern daraus auch die Kraft zur Standfestigkeit, zu einem erfüllten Ich und einer überzeugten, aber maßvollen Selbstliebe finden. Diese Aufgabe ist nicht leicht – und sie ist bei weitem schwieriger als bei denen, die es leicht haben, sich als Teil der Gesamtheit zu fühlen. Deshalb bringt Homosexualität immer wieder Einsamkeit mit sich, der Schwulenclub wird dabei meist nur der Befriedigung des Oberflächlichen gerecht. Denn die Szene taugt letztlich nur zum Abbild für diese Show des Plakativen. Sie zeichnet eine Welt, die unwirklich erscheint. Und die jene Homosexuelle zurücklässt, die so nicht sein wollen.
Überdenken wir als Gesellschaft unseren Eindruck omnipräsenter Homophilie – und hinterfragen wir uns als schwul-lesbische Community, wenn wir nach innen und auch nach außen eine Ausstrahlung zelebrieren, die durch ihre Künstlichkeit so unnahbar wirkt. Gestehen wir uns ein, dass Homosexualität nicht immer einfach ist – ohne dabei Andere dafür zu beschuldigen. Und lassen wir es zu, dass wir mit unseren Gefühlen, mit unseren Sorgen und Nöten kämpfen, Meinungen und Fragen äußern dürfen, wenn wir nicht wissen, wo wir stehen und manch "queeres" Verhalten nicht begreifen. Öffnen wir uns gerade auch für die, die den Kopf schütteln – ob innerhalb oder außerhalb der Szene. Denn nur Verständnis eröffnet den Weg zum Dialog, der dringend nötig ist. Der Einsatz für Aufklärung, für eine liberale Exegese und eine Fokussierung auf Botschaften, die sich nicht deuten lassen, muss an Dynamik gewinnen – gerade dort, wo Liebe gepredigt und Ausgrenzung gelebt wird, ob christlich, islamisch oder einfach nur religiös.
5 Kommentare
Kommentare
Norbert Schnitzler am Permanenter Link
Ist es nicht auch etwas heuchlerisch, den Islam immer einzubetten in die Erwähnung anderer Religionen?
Aber: Nur beim Islam finden sich nach einer solchen Tat Relativierer, die um nur nicht "Beifall von der falschen Seite" zu bekommen, gleich die Religionsfreiheit verteidigen, und dass nicht alle in einen Topf geworfen werden sollen. Wäre es nicht besser, eine Aufklärungskampagne über die Homosexuellenfeindlichkeit (die nebenbei meist keine Phobie ist) zu starten, die sich an MuslimInnen richtet? Da könnten sich liberale MuslimInnen beteiligen, schwule MuslimInnen auch, und die würden dann auch nicht in den falschen Topf kommen.
An den Reaktionen könnte man erkennen, wer Freund und Feind ist, so wie die Abgeordneten, die der Armenienresolution zustimmten, das jetzt auch erkennen. Falsche Rücksichtnahme verhindert das, was andere als "Spaltung der Gesellschaft" fürchten, ich aber als Erkennbarmachung der gespaltenen Gesellschaft beurteile. In diesem Sinne war Dennis Riehle viel zu rücksichtsvoll.
Wolfgang am Permanenter Link
Der eine ist schwul, der andere ein Atheist. Beides Privatangelegenheiten und niemand darf deswegen benachteiligt werden. Hört sich wunderbar an aber die Praxis handelt anders.
Fromme Worte sind sinnlos. Beide Gruppen gehören zu Deutschland und anderen Ländern auch wenn das vielen Kirchenanhängern nicht in ihren Kram passt. Teufelnochmal!
Bernd aus B. am Permanenter Link
Zitat: "Schwulsein, Lesbischsein – das bedeutet ganz oft, auch mit der eigenen Persönlichkeit zu ringen."
Aber wann muss ein Mensch mit der eigenen Persönlichkeit ringen. Und warum?
Psychologen, deren therapeutische Praxis nicht allzu unreflektiert auf den verstörenden und oft weltentrückt anmutenden Theorien Freuds baut, haben längst erkannt, dass der Schlüssel einer gefestigten Persönlichkeitsentwicklung im Elternhaus liegt. Besonders entscheidend sind dabei die ersten Tage, Wochen und Monate nach der Geburt des Kindes.
Ist beispielsweise die Mutter selbst als Kind durch ihre eigene Mutter in ihrer Persönlichkeit verformt worden, wird sie diese Verformung an ihr eigenes Kind weitergeben, sofern sie ihre eigene Verformung nicht erkannt, die Ursache klar benannt und die Verantwortung dafür dorthin verlegt hat, wohin sie gehört: in das Verhalten ihrer Mutter.
Erst wenn Menschen diesen Zusammenhang erkennen, ihn benennen und sich der Verletzungen bewusst werden, die ihnen als Kinder von ihren Eltern zugefügt worden sind, können sie in einem gesunden Heilungsprozess darüber trauern sowie Mitleid und Mitgefühl mit dem Kind haben, das sie damals waren. Wer gelernt hat, das Unglück des Kindes mitfühlend zu betrachten, das er damals war, wird das eigene Kind auch eher mitfühlend und liebevoll bei seinem Heranreifen zum Erwachsenen begleiten.
Vielen Menschen ist der Zugang zu den Verletzungen und Traumen der eigenen frühesten Kindheit versperrt. Sie sind daher oft geradezu dazu verurteilt, diese Verletzungen und Traumen am eigenen Kind unbewusst zu wiederholen.
In diese ewige 'Teufelsspirale' fügen sich passgenau religiöse Vorstellungen, wie sie das Christentum seit 2 Jahrtausenden in die Hirne der Menschen auf unserem Kontinent und ihrer geistigen Nachfahren in Amerika, Australien und anderen christlich dominierten Weltgegenden eingeimpft hat.
'Schwarze Pädagogik' nennt sich das Konzept der gepredigten und eingebläuten Gehorsamspflicht gegenüber den übermächtigen und oft auch gewalttätigen Eltern und ihrem gleichermaßen omnipräsenten und gewaltigen Gott.
Was das Kind fühlt, was es begehrt oder auch nur benötigt, spielt in solcher autoritären Erziehung keine Rolle, ja selbst elementare Bedürfnisse können ignoriert oder hinausgezögert werden, denn das Kind (und selbst das neugeborene) soll lernen, dass es nichts bekommt, was es heftig - und damit boshaft - einfordert. So kann man es in alten Handbüchern für die Erziehung der Kinder aus dem 18. und 19. Jahrhundert lesen.
Besondere Sorgfalt legte man auf die Überwachung der sexuellen Regungen beim Heranwachsenden. Die schädlichen und schrecklichen Folgen der Masturbation wurden dem Jugendlichen in den schwärzesten Farben ausgemalt und er wurde durch manipulatives Ausfragen und peinliches Befragen über seine 'unreine Gewohnheit' ausgehorcht. Es galt, den sündigen Leib zu züchtigen, ihn in Schach zu halten und für Gott heilig und rein zu erhalten - vordergründig.
In Wahrheit gaben auch in diesem Fall traumatisierte und ihrer grundlegenden Rechte beraubte Eltern die einst selbst erlebten und erlittenen Demütigungen an ihre Kinder weiter. Und diese, sofern sie nichts von der Manipulation wussten, reichten diese Verformung ebenfalls unbewusst, weil unreflektiert, weiter.
Zu dem Kanon der verbotenen Unzucht gehörte neben der Masturbation selbstredend das Verbot der gleichgeschlechtlichen Unzucht, die, wie es die heiligen Texte ja hergeben, "in Gottes Augen ein Greuel" ist.
Dieses tonnenschwere Erbe aus religiöser Bigotterie und elterlich ausgeübter Gewalt (übrigens kein christliches Alleinstellungsmerkmal - die beiden anderen monotheistisch geprägten Weltgegenden weisen dieselben Merkmale auf) tragen wir alle mehr oder weniger in uns.
Auch heute "erziehen" Eltern ihre Kinder, drücken ihnen gegenüber ihren Willen durch, traumatisieren selbst schon die Kleinsten, bspw. indem sie sie zum Schlafen in separierte Räume legen, weit weg vom sanften Schaukeln der Mutter oder des Vaters, das ihnen - den 'Traglingen', Erbe unser tierischen Verwandten - das unabdingbare Gefühl von Schutz und Geborgenheit gibt. Auch heute sollen Kinder möglichst geräuschlos sich dem Willen der Eltern fügen, schon allein aus Zeitgründen.
All die Verformungen, Entbehrungen - besonders an lebensnotwendiger elterlicher Zuwendung und Liebe - verunsichern den heranwachsenden Menschen, und hemmen seine natürliche Entwicklung zum selbstbewussten Erwachsenen.
Hetero oder Homo - wer derart in seiner Entwicklung beeinträchtigt wurde, wie soll ein solcher Mensch die oben eingeforderte Kraft zu selbstbewusster Standfestigkeit finden? Kommen dann von außen auf den moralisch abgewerteten, gleichgeschlechtlich Empfindenden auch noch tatsächliche Bedrohungen durch homophobe Schläger (oft die eigenen Väter) hinzu, so ist die Forderung nach der eigenen Selbstsicherheit wohlfeil. Ein ängstlich gemachtes Kind wird ihr jedenfalls nicht nachkommen können. Ein solcher Mensch ist auf das Wohlwollen und den Respekt seiner Umgebung angewiesen, erst dann mag sich ein wachsendes Selbstbewusstsein allmählich heranbilden.
In Verbindung mit den Beileidsbekundungen war mir besonders unangenehm jene aus Russland aufgestoßen. Wer im Sicherheitsrat dagegen kämpft, den Grund für die barbarische Tat (Homophobie) erwähnt zu sehen, der mag sich jeglicher Beileidsbekundungen an die Hinterbliebenen der Opfer enthalten. Sie müssen in deren Augen wie blanker Hohn erscheinen.
Andreas Kermann am Permanenter Link
Wenn wir wirklich etwas ändern wollen wird es notwendig sein die Kirchen und Religionen grundgesetzlich so weit zurück zu drängen das ein Beitritt zu einer Glaubensgemeinschaft erst ab 18 zulässig ist.
Glauben war gestern - wissen ist heute!
Wolfgang am Permanenter Link
Es ist notwendiger, die Kirchen und Religionsgemeinschaften in ihre Grenzen zurückzuweisen: es handelt sich ausschließlich um private Angelegenheiten und ich habe das Recht, mir mein eigenes Leben zu gestalten.