„Nicht wissen“ heißt nicht „glauben“!

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Philipp Möller / Foto: Martin Hauswald

JENA. (hpd) Mit einem streitbaren Vortrag setzte Philipp Möller, Pressereferent der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), am vergangenen Dienstag das erste Ausrufezeichen im Rahmen der Arbeit der noch jungen gbs-Hochschulgruppe in Jena. Das Thema: „Religion des Atheismus? Oder: die Kunst des Nicht-Briefmarkensammelns“.

Ein gelungener erster Schritt

Erst im Januar hatte sich die gbs Jena formiert. Angesichts der ausgesprochen zahlreichen, insbesondere religiösen Hochschulgruppen in der Stadt, war es an der Zeit, endlich auch Säkularen eine Plattform zu bieten.

Um in der ersten öffentlichen Veranstaltung über eine einfache Vorstellungsrunde hinauszugehen, bot es sich an, eine kritische Selbstprüfung anzulegen: Was ist dran an dem Vorwurf, als bewusst auftretender Religionskritiker vertrete man ja auch „Absolutheitsansprüche“, man „missioniere“ sogar und sei letztlich – selbst „irgendwie religiös“?

Dass dieses Problem etwa dreißig Gäste – womit der Veranstaltungsraum gut gefüllt war – augenscheinlich beschäftigt hat, war für die Organisatoren die erste angenehme Überraschung des Abends.

Evolutionärer Humanismus in der Praxis

Philipp Möller näherte sich der Fragestellung von der praktischen, mitunter persönlichen Seite. Weshalb die gbs zuallererst keineswegs auf Atheismus zu reduzieren sei, zeige sich schnell anhand der Bereiche, in denen sie aktiv ist: in Fragen der Naturwissenschaft, der Ethik, des Naturschutzes, der Politik, des Arbeitsmarktes, der Kunst und vielen weiteren.

Verbreitete Vorwürfe konnte er präzise entkräften. Die gbs missioniere nicht – sie kläre auf und biete Alternativen an. Sie brüste sich nicht, im Besitz einer unantastbaren Wahrheit zu sein, sondern betone gerade die Falsifizierbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnis. Und ihre berühmten Polemiken entstünden nicht aus Überheblichkeit, sondern um vor allem Menschen zu erreichen, die den unzähligen problematischen Verflechtungen von Religion und Gesellschaft allzu gleichgültig gegenüberstehen.

Religiöser Glaube und wissenschaftliches Denken

Ein schwerwiegendes Missverständnis sieht Möller darin, dass Hypothesen und Unvollständigkeiten wissenschaftlicher Theorien umgangssprachlich häufig mit dem Begriff „Glauben“, manchmal auch konkret „Wissenschaftsgläubigkeit“ versehen werden. Er betonte daher, es bestehe ein grundlegender Gegensatz zum religiösen Glauben, der ausgerechnet unbeweisbare Aussagen für wahr halte.

Auch das unter Gläubigen beliebte Gegenteilargument („Zeig mir doch, dass es keinen Gott gibt!“) wies er klar zurück. Zum einen müsse begriffen werden, dass die Beweislast für Behauptungen bei demjenigen liege, der sie aufstelle. Zum anderen lasse sich sehr wohl Kritik aller Art an konkreten Gottesvorstellungen der Menschen üben. Auf den Punkt brachte Möller es mit einem Zitat von Christopher Hitchens: „Was ohne Belege behauptet wird, kann auch ohne Belege verworfen werden.“

Allerdings mahnte er zugleich, den feinen Unterschied zwischen „Ich glaube, dass es keinen Gott gibt“ und „Ich glaube nicht, dass es einen Gott gibt“ zu beachten. Nur letztere Aussage könne als wissenschaftlich gelten – und damit als Gegenteil von Glauben.

Was es hieße, Atheismus als Religion zu bezeichnen, konnte Möller in drei lebhaften Beispielen an dieser Stelle bereits abschließend beantworten: Es sei wie eine Glatze zur Haarfarbe, einen ausgeschalteten Fernseher zu einem Sender – oder eben Nicht-Briefmarksammeln zu einem Hobby zu erklären.

Kirchenrepublik Deutschland

Den Abschluss des Vortrages bildeten die gegenwärtigen Verquickungen von Staat und Kirche, vor allem in finanzieller Hinsicht. Was dem geneigten Humanisten seit geraumer Zeit bekannt sein dürfte, sorgte hingegen bei so manchem der Gäste für große Augen. Sogar eine Theologiestudentin meinte im Nachhinein, sie würde es begrüßen, auf politischer Ebene eine stärkere und vor allem transparentere Trennung jener Parteien durchzusetzen.

Anregungen

In der anschließenden Diskussion zahlte es sich aus, dass das Publikum bunt durchmischt war: von Freunden der gbs über interessierte Skeptiker bis hin zu bekennenden Christen. In entsprechend verschiedene Richtungen gingen Fragen und Kritik.

Unter anderem warnte Möller davor, schleichende Tendenzen kreationistischen Einflusses zu unterschätzen, da sie möglicherweise stärker als gedacht in Bildung und Erziehung Einzug halten könnten.

Als durchaus berechtigt kann der Einwand gelten, Möller selbst und Religionskritiker im Allgemeinen würden sich, bezogen auf weltanschauliche Fragen, häufig über selbstkonstruierte und homogenisierte Bilder von Religion auslassen. Das hat in der Tat oft zur Folge, dass sich Gläubige nicht persönlich angesprochen fühlen, weil sie sich nicht mit der kritisierten Anschauung identifizieren können.

Philipp Möller hatte versprochen, er wolle „anstößig“ sein. Das ist ihm in jedem Fall gelungen. An Anstößen hat es an diesem Abend nicht gefehlt – sowohl für die Teilnehmer als auch für die Zukunft der gbs Jena.
 

Tom Bioly