WIEN. (hpd) Der elftägige Besuch des Dalai Lama in Österreich beschäftigt praktisch alle österreichischen Medien. Die atheistische Szene des Landes versucht, mit der wohl prominentesten Gegenstimme ein wenig Distanz zur Jubel-Berichterstattung zu schaffen. Colin Goldner blickte in Wien hinter das Lächeln des Dalai Lama.
Eine kleine Gruppe Studenten zeigt sich etwas überrascht. Sie kommen zu spät in den Hörsaal I des Neuen Institutsgebäudes der Universität Wien. Die akademische Viertelstunde ist diesmal ausgefallen. Colin Goldner ist mitten im Vortrag. Er schildert die Foltermethoden in tibetischen Klöstern, die bis zum Einmarsch der chinesischen Volksarmee praktiziert wurden. „Unbotmäßigen wurde die Haut abgezogen.“ Ein leichter Kontrast zur Jubelstimmung, die Österreichs Medien um den prominentesten Vertreter der tibetischen Gelbmützen-Sekte verbreiten. Einzig der ORF hält sich für seine Verhältnisse etwas zurück. Das dürfte weniger daran liegen, dass man recherchiert. Nur, die große Dalai-Lama-Show am Sonntagabend hat sich die private Konkurrenz „Servus TV“ gesichert.
Dass sich die Lebenserwartung der Tibeter seit dem chinesischen Einmarsch fast verdoppelt hat, hört oder liest man eher nicht in diesen Tagen. Ebenso wenig, dass tibetische Kinder in der autonomen Region Tibet selbstverständlich tibetisch lernen. „Und das in Schulen, die es vor dem Einmarsch der Chinesen nicht gegeben hat – außerhalb der tibetischen Klöster gab es kein Bildungswesen“, schildert Goldner. „Auch die einfachen Menschen dürfen ihre Religion offen praktizieren. Einschränkungen gibt es nur bei Mönchen, die Oppositionspolitik machen.“ Auch der „kulturelle Genozid“ hält näheren Überprüfungen nicht stand. „86 Prozent der Einwohner Tibets sind Tibeter.“
Goldner überrascht der Medientrubel wenig. Österreich habe immer wieder eine wichtige Rolle in der Karriere des Gottkönigs gespielt. „Da geht es nicht nur um Heinrich Harrer.“ In den 80ern wurde er in Alpbach den damals führenden Köpfen der Esoterik-Szene vorgestellt. „Die waren ganz hin und weg von ihm. Der ganze esoterische Quatsch war in einer Person gebündelt.“ Ein wichtiger Schritt zur weltweiten Prominenz. Auch politisch spielte Österreich eine Rolle – wenn auch eine indirekte. Miguel Cerrano ist ein guter Freund des Dalai Lama und ehemaliger Botschafter seines Landes Chile in Österreich. Der Chef der Nationalsozialistischen Partei Chiles gilt als Erfinder des esoterischen Hitlerismus. „Hitler ist dort nicht tot, er lebt unter dem Südpol und soll von dort aus die Weltherrschaft antreten.“ Unter anderem mithilfe von UFOs, die seine Getreuen lenken. „In den UFOs, die Nina Hagen sieht, sind keine Außerirdischen. Es sind Nazis auf Testflug.“ Die Pointe sitzt, das Publikum lacht. Eine notwendige Auflockerung nach den wenig schmeichelhaften Enthüllungen Goldners.
Die Österreich-Connection endet nicht hier. Der später verstorbene Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider sorgte dafür, dass im kärntnerischen Hüttelberg ein Zentrum für tibetische Medizin errichtet wurde. Sein Nachfolger Gerhard Dörfler (BZÖ) versuchte, etwas vom Ruhm abzubekommen und hofierte den Dalai Lama auf seinem aktuellen Besuch. Er überreichte ihm sogar den „Landesorden in Gold“. „Die Frage, warum er den bekommt, ist völlig ungeklärt.“ Am Sonntag folgte die Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller (SPÖ), als „Seine Heiligkeit“ in ihrem Bundesland ankam. Elf Tage soll die Visite dauern. „Das ist der längste Besuch des Dalai Lama in einem europäischen Land und soweit ich mich erinnern kann, der längste, den er jemals überhaupt irgendwo gemacht hat.“
Dafür hält sich das Medieninteresse aus Goldners Sicht in Grenzen. „Wenn man das mit dem Zirkus vor sieben Jahren vergleicht, wo er seinen 70sten Geburtstag feierte, nimmt ihn heute in Deutschland und Österreich niemand mehr wahr. Damals wurden ganze Bildbände und sogar zwei Filme produziert. Heute ist es eine elfteilige Serie im Kurier, das ist schon ein Unterschied.“ Aus seiner Sicht liegt das vor allem am angeschlagenen Gesundheitszustand „Seiner Heiligkeit“. „Sein Stern ist im Sinken“, sagt Goldner. Einigen Zuhörern ist der Medientrubel auch so zu viel. „Ich habe heute mein Standard-Abo gekündigt“, schildert eine Zuhörerin. „Das war ja nur mehr Dalai-Lama-Lobhudelei.“
Auch die Besucher-Zahlen zeigen, dass kritische Analyse weniger gut ankommt als das restlos bewunderte Produkt Dalai Lama. 4.000 Menschen sind zu einer Veranstaltung in Klagenfurt gekommen. Zu Goldner kommen 130. Was es zur größten Veranstaltung der atheistischen Szene der vergangenen Jahre macht. Nur die „Lange Nacht des Missbrauch“ war besser besucht – aber dort hatten Betroffenen-Organisationen mitgetrommelt. Dieter Ratz von gottlos.at zeigt sich zufrieden. „Das ist ganz ordentlich für den Aufwand, den wir betrieben haben.“
Vor allem über die Facebook-Seite wurde der Auftritt beworben, den die Organisation mit finanzieller Unterstützung des Freidenkerbundes eingefädelt hatte. Auch Flyer wurden unters Volk gebracht. Entsprechend jung das Publikum an diesem Freitagabend. Der Großteil ist im Studentenalter. Science Busters Heinz Oberhummer und Martin Puntigam (rechts im Bild) heben den Altersschnitt merklich, ebenso Niko Alm, Vorsitzender des Zentralrats der Konfessionsfreien. Von den dreien ist allerdings nur Oberhummer im pensionsfähigen Alter.
Der Großteil der Zuhörer scheint von Goldners Kenntnissen beeindruckt. Sein Buch „Der Fall eines Gottkönigs“ wird nachher mehrfach verkauft. Freidenker-Vorsitzender Gerhard Engelmayer muss sich um ein Autogramm anstellen. Goldner ist gefragter Gesprächspartner. Qualitativ wie quantitativ. Der Portier muss länger bleiben als geplant, um die letzten 30 oder 40 Zuhörer hinauszulassen. Einzig Karl Linek von gottlos.at zeigt sich nicht restlos zufrieden. „Vor einigen Jahren, als ich noch bei der AHA war, haben wir Colin nach Linz eingeladen. Wir hatten einen Saal mit 200 Sesseln und mussten noch welche hineintragen. Es haben aber nicht alle einen Sitzplatz gefunden“, schwelgt er ein wenig in Erinnerungen.
Am nächsten Freitag werden sich die Säkularen vermutlich wieder in der Minderheitenposition finden. Exil-Tibeter wollen gegen ihre angebliche Unterdrückung protestieren. Die Säkularen trommeln zu einer Gegendemo. Dass sie den Tibetern und ihren Unterstützern zahlenmäßig überlegen sein werden, darf bezweifelt werden. Mit dem Dalai Lama als Zugpferd müssen die sich keine Sorgen machen. Wohl eher um den Slogan „Free Tibet from the Lamas.“ Das dürfte den Unterstützern des früheren klerikalen Feudalstaats eher wenig Freude machen.
Christoph Baumgarten