„I’m your neighborhood atheist“

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René Hartmann, Erster Vorsitzender des IBKA / Alle Fotos © Evelin Frerk

KÖLN. (hpd) Am vergangenen Wochenende fand in Köln die diesjährige Atheist Convention statt. Eingeladen hatten die Atheist Alliance International (AAI) und der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) in Kooperation mit der Giordano Bruno Stiftung (gbs). Der hpd war dabei und berichtet in drei Teilen über die Veranstaltung; heute von Tanya Smith bis Lukas Mihr.

Das Motto der Tagung war „Die Atheistische Perspektive: national, regional, global”. René Hartmann, Erster Vorsitzender des IBKA, begrüßte zunächst die internationalen Gäste im Comedia-Theater Köln. Die Vorträge wurden auf Deutsch und Englisch gehalten und überwiegend in die jeweilig andere Sprache übersetzt.

Tanya Smith wurde im Juni 2011 zur Präsidentin der Atheist Alliance International gewählt, einem globalen Bund von Atheisten, Freidenker-Gruppen und einzelnen Personen. Mit ihrem Vortrag ging sie auf die Frage ein: „Why we are here – Warum wir hier sind“, da häufig gefragt wird, warum es Atheisten-Tagungen und Versammlungen gibt, die auf Glaubensfreiheit basieren. Ihre Antwort lautete, dass wir aktiv sind, da uns die Welt, in der wir leben, wichtig ist. Durch unsere Zusammenarbeit mit lokalen atheistischen Gruppen, Projekten in anderen Ländern und den formalen Status des AAI in überregionalen Organisationen, können wir positiven Einfluss nehmen. Und der Spaß kommt dabei auch nicht zu kurz.

Als Nächste stellte die Diplom-Politologin Corinna Gekeler ihre „Studie zu Loyalitätsobliegenheiten von Dienstnehmern in kirchlichen Einrichtungen“ vor. Sie ist noch weiterhin auf der Suche nach Menschen, die ihr Auskunft geben würden über ihre direkte Erfahrung aus dem beruflichen Alltag oder aus juristischen, politischen, gewerkschaftlichen und humanistischen Zusammenhängen. Diese können auf Wunsch vertraulich und anonym eingebracht werden.

Die Studie soll untersuchen, ob kirchliche Dienstgeber ein viel zu großes Maß an Tendenzschutz genießen, denn das Grundrecht auf Nichteinmischung in religiöse Angelegenheiten kollidiert in weiten Bereichen mit den Grundrechten auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, freie Entfaltung der Persönlichkeit, Freiheit der Berufswahl und Schutz vor Diskriminierung. Wer sich von den hpd-LeserInnen an der Studie beteiligen möchte, kann sich per Mail (gekeler@gerdia.de) an Frau Gekeler wenden.

 

Der Biologie-Professor und Autor des Blogs „Pharyngula“, P.Z. Myers, referierte anschließend darüber: „Warum sprechen wir über Wissenschaft auf atheistischen Konferenzen?“ Damit sprach er das sonderbare Phänomen an, dass atheistische Tagungen oft beachtliche Diskussionen über wissenschaftliche Aspekte einschließen. In Bezug auf eine soziale/philosophische/politische Perspektive sei dies doch ein eigenartiger Trend. Dann legte er dar, dass dies tatsächlich die Konsequenz einer zutiefst rationalen Art ist, unseren Platz in der Welt zu betrachten, die empirische Daten respektiert und eine grundsätzlich moderne Art des modernen Denkens repräsentiert. In der Diskussion gab Myers an, gelegentlich mit Christen zusammenzuarbeiten, um eine bessere Welt zu bauen. Als eines der wichtigsten Ziele nannte er als erster, doch nicht als einziger, Bildung, vor allem die mathematische Bildung, um rationales Denken begreifen zu können.

Auch Philipp Möller beschäftigte sich in seinem Vortrag „Religiös bedingte Konflikte unter Grundschulkindern in sozialen Brennpunkten“ mit dem Thema Bildung und zeigte katastrophale Zustände in deutschen Grundschulen auf. Er las einige Passagen aus seinem im kommenden September erscheinenden Buch „Isch geh Schulhof“, in welchem er seine Erfahrungen als Grundschullehrer an einer Berliner Grundschule mit pädagogischen, politischen und philosophischen Reflexionen anreichert.

Seine These lautete, dass sich die Bildungskatastrophe zur sozialen Katastrophe ausweiten wird, denn religiös motivierter Kreationismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie seien an sozialen Brennpunktschulen an der Tagesordnung. Die Kinder bildungsferner Eltern – ob mit oder ohne Migrationshintergrund – zeigten eine extreme Gewaltbereitschaft sowie kognitive und psychosoziale Defizite. Zum Glück für Berliner ruft der § 1 ihres Schulgesetzes zu Humanismus auf (die Schulgesetze anderer Bundesländer wie Rheinland-Pfalz, Saarland, NRW rufen in ihrem jeweiligen § 1 zur Ehrfurcht vor Gott auf).

Mit kabarettreif dargebotenen Auszügen aus dem Manuskript gab Möller aberwitzige Einblicke in den unglaublichen Alltag eines ungläubigen Lehrers, die mit einem halb lachenden, halb weinenden Auge aufgenommen wurden.

 

Vollends in die Welt der Absurditäten wurde das Publikum geführt, als der Psychologe und Autor Colin Goldner über tibetischen Buddhismus referierte: „Das Phallusgefährt“ zeigte die vor allem sexuellen Besonderheiten des tibetischen Buddhismus à la Dalai Lama auf. Dieser Vajrayana-Buddhismus hat – bis auf die Begrifflichkeiten – mit anderen Formen des Buddhismus nichts zu tun, ist zum Teil gar in deren Gegenteil verkehrt.

Die Phallus-Variante verspricht der Kaste der Lamapriester die Möglichkeit, innerhalb eines einzigen Lebens Erleuchtung zu erlangen und aus dem leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten auszusteigen. Und zwar durch rituelle Sexualpraktiken mit realen Frauen unter (Pseudo-) Beibehaltung des Zölibats. Wie ist das nur möglich? Für die geheimen Praktiken, die den Vajrayana-Mönchen nicht einmal bekannt sind – diese müssen masturbieren und sich Frauen dabei nur vorstellen – werden Frauen benötigt, denen weisgemacht wird, sie könnten durch Sex mit einem Lama positives Karma erwerben und dann vielleicht in einem späteren Leben als Mann, vielleicht gar als Lama, wiedergeboren zu werden. Ihre Verwandten werden durch Einschüchterung und Höllendrohungen gefügig gemacht. Die Rituale beinhalten körperliche Ausscheidungen jeder Art (Sperma, Menstruationsblut, Kot) sowie Fleisch (Elefanten, Hunde, Menschen), die verspeist werden. Ziel der Übungen ist es, nicht zu ejakulieren, sondern die weibliche Energie mit dem Penis aus deren Körpern auszusaugen und diese im Lama-Gehirn aufzunehmen, auf dass er ein Übermensch werde. Da inzwischen auch amerikanische Frauen missbraucht wurden, die Verfahren gegen Lamas anstrengten, wurden diese Praktiken bekannt. (Wer sich etwas ausführlicher mit dem Thema befassen möchte, kann dies hier tun).

 

Dan Barker freute sich, dass gegenwärtig überall auf der Welt Kongresse von Atheisten stattfinden, er sei bereits auf den Philippinen und in Mexiko gewesen, wo dieses Jahr die jeweils ersten Kongresse dieser Art durchgeführt wurden. Barker war früher einmal evangelikaler Priester und beschrieb in seinem Vortrag „Losing Faith In Faith“ – vom Prediger zum Atheisten“, wie er zum Atheisten wurde. Heute ist er mit seiner Frau Annie Laurie Gaylor Co-Präsident der Freedom From Religion Foundation (FFRF), der größten Vereinigung von Atheisten und Agnostikern in den USA.

Als er des Flügels ansichtig wurde, der in Bühnennähe stand, begab er sich daran und präsentierte, zum ersten von mehreren Malen während der Convention, seine musikalischen Künste: „Beware of dogma... there’s no excuse for ignorance“ und „I’m your neighborhood atheist“. Etliche Lieder schrieb er selbst, auch Musicals. Früher war es christliche Musik, heute sind es starke, atheistisch-naturalistisch geprägte Lieder, und letztlich war es die Musik, die ihn vom binären evangelikalen Denken zum Atheismus brachte.

Richard Dawkins bescheinigte Barker im Vorwort zu seinem Buch „Godless: How an Evangelical Preacher Became one of America’s leading Atheists“, er sei der eloquenteste Zeuge des Wahns, den er kenne. Barker erzählt, er habe wirklich gefühlt und geglaubt, das Ende der Welt sei nah. Fundamentalisten, wie er einer gewesen sei, hätten binäre Gehirne, die nicht in der Lage seien, differenziert wahrzunehmen, sondern ausschließlich schwarz/weiß, gut/böse, richtig/falsch dächten, also polarisiert. Da er 200 christliche Lieder und Musicals schrieb, wurde er in andere, weniger polarisierte Kirchen eingeladen, mit anderen Sichtweisen konfrontiert. Im Laufe der Zeit merkte er, dass diese Menschen auch nett waren und der Glaube verwässerte sich. Dann beschloss er, „Feindesliteratur“ zu lesen und beschaffte sich Bücher über die Evolution, die er nachvollziehbar fand. Die zuvor wörtlich genommene Bibel nahm er allmählich als ein Werk voller Parabeln und Metaphern wahr und er hörte auf zu glauben – als sei sein Gehirn endlich erwachsen geworden. (In der Beschreibung der Tagung auf den Philippinen gibt es ein Video von Dan Barker)

 

Der Geschichtsstudent Lukas Mihr belegte das Gegenteil, als er die Frage beantwortete: „Ohne Gott ist alles erlaubt?“ Denn immer wieder wird behauptet, der Atheismus führe systematisch zum millionenfachen Morden, da er die göttliche Schöpfungsordnung und damit die Heiligkeit des Lebens verleugne. Dagegen seien Kreuzzüge, Dschihad, Juden- oder Hexenverfolgungen bedauerliche Einzelfälle. Doch lehnten Diktatoren wie Hitler, Stalin und Mao den Glauben wirklich ab, war der Kommunismus womöglich doch flexibler im Umgang mit organisierter Religion, wie auch westliche Regierungen sich als flexibel im Umgang mit „atheistischen“ Diktatoren zeigten?

Mihr konnte an etlichen Beispielen prägnant aufzeigen, dass sich die Grenzen zwischen angeblichen Atheisten und Christen verwischten, dass selbst Kim Jong Il aus Nordkorea religiöse Tendenzen aufwies. In Südvietnam gab es eine katholische Oberschicht, die die Buddhisten im Lande unterdrückte. Immer wieder kam es zur Zusammenarbeit zwischen christlichen Staaten und der Sowjetunion. Nixon hoffte später, die Sowjetunion zu schwächen und freundet sich mit dem zweiten kommunistischen Block, also China unter Mao Zedong, an. Und Pol Pot, der in vier Jahren Herrschaft ein Viertel der Bevölkerung Kambodschas ausrottete, arbeitete mit den USA zusammen. (Zu diesem Thema gab es auf hpd bereits eine Artikelreihe: Teil 1, Teil 2, Teil 3.)

Morgen geht es weiter mit den Vorträgen von Rolf Bergmeier über „Armes Europa...“ bis Michael Schmidt-Salomons „Auch Dummheit will gelernt sein“.

Fiona Lorenz