„Die Gedanken sind frei“

 

Paul Schulz stellte in einem ersten Überblick sein neues Projekt vor: ATHEODOC, ein, wie er sagt: „Internetportal für moderne Aufklärung“. Zwei Jahre habe er mit Daniel Schneider intensiv daran gearbeitet und nun, pünktlich zur Atheist Convention, wurde es frei geschaltet.  Leider war es technisch nicht möglich, eine Internetverbindung auf den Beamer zu legen und so illustrierte er mit ein paar Screenshots, worum es ihm dabei geht.

Atheodoc sei das Zusammenspiel von alt und neu, denn alles Geistesgeschichtliche brauche seine Bewährung in der Gegenwart. Insofern sei das Portal eine neue Ebene, die auf dem „Alten“ beruhe. Die Religion hatte ihre Zeit, u.a. als geistige Vorstufe in der Menschheitsgeschichte. Wir können heute aber darüber hinausgehen. So, wie es in der Präambel heißt: „Es ist eine befreiende Freude, ohne Verpflichtung gegenüber alten Religionsvorstellungen über das Leben und seine vielen Möglichkeiten neu nachzudenken. Befreit von theologischen Dogmen offene Perspektiven der Wirklichkeit zu entwickeln. Sich ohne Glaubenszwänge die Chancen und Dimensionen des Menschlichen noch einmal ganz neu bewusst zu machen.“

Das Vorbild ist die Enzyklopädie der Aufklärung von Diderot, der seinerzeit mit 13 Artikeln begann, und schließlich waren es 40 Bände mit hunderten Autoren. Atheodoc ist für 16 Bücher konzipiert. Es geht dabei um die Abgrenzung gegen die Religion, die Entwicklung eines „Magnus Consensus“ - denn Atheismus sei keine Beliebigkeit verschiedenster Meinungen -, und schließlich ist die Basis stets das (naturwissenschaftliche) Vernunftdenken.

Es soll und wird Diskurse geben, in einem Diskursforum. Und von der Bühne lud Paul Schulz den im Publikum anwesenden Michael Schmidt-Salomon zu einem ersten „Erkenntnis-Duell“ über die Frage des Freien Willens ein, was der annahm.
 

Joachim Kahl referierte anschließend über Atheismus in der Kunst und widmete sich dabei einem Gemälde und einem Gedicht.

Das Bild von Max Ernst: „Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen", Öl auf Leinwand (1926), befindet sich heute im Museum Ludwig in Köln, in der Nähe des Kölner Doms und ist, zu Recht, eine der Attraktionen des Museums.

Wesentliches Element ist der herabgefallene Heiligenschein des Jesuskindes, der, unten rechts im Bild, auf dem Boden liegt und die Namenssignatur des Künstlers einfasst. Das wurde auch historisch richtig als „Entweihung“ angesehen. Seinerzeit wurde die Ausstellung des Bildes in Köln verboten und Max Ernst wegen „Blasphemie“ exkommuniziert.

Der Bildaufbau zeigt u.a. die klassische Bildkomposition von Madonnenbildern, in denen die Madonna in einem Dreieck steht. Allerdings wird dieses Dreieck hier durch die daraus herausragenden Beine und den gestreckten linken Arm des Jesuskindes durchbrochen. Die wegen ihrer Mildtätigkeit verehrte Gottesmutter wird hier allerdings anders dargestellt, denn dass sie das Kind bereits mehrmals geschlagen hat, zeigen die bereits geröteten Gesäßbacken des Kindes.

Max Ernst verwendet auch weitere Details, die, abgesehen von dem Heiligenschein, die Körperlichkeit und Menschlichkeit Marias betonen, so wie ihre kräftige Brust und das Dekolleté. Auch wenn der Künstler traditionelle Elemente der Marienbilder beibehält, das Rot und Blau der Himmelskönigin, ist das Bild nicht geeignet, um es innerlich anzubeten, sondern Max Ernst verweist eher auf die dem Christentum innewohnende Gewalt.

An dem Text von Bert Brecht „Gegen Verführung“ illustrierte Joachim Kahl dann die Warnungen Brechts gegen jegliche Religion oder andere Ideologien. Die drei thematischen Linien des Gedichts „Lasst euch nicht verführen!“, „Lasst euch nicht betrügen!“ und „Lasst euch nicht vertrösten!“ ermutigen uns, Nein zu sagen, und es vereint die Widersprüche, „“Das Leben ist am größten“ mit „Das Leben wenig ist“. Das Gedicht kommentiere die Lebenslust ohne Illusionen. Es ermahne uns, das Leben zu genießen, ohne dabei Ernsthaftigkeit und Melancholie zu verleugnen. Wir sollten es, so Joachim Kahl, auswendig lernen.

 

Beispielbild
Fotografie: Reza

 

 

 

 

 

Annie Laurie Gaylor ließ zur Einstimmung auf ihren Vortrag „God Fixation Will Fix No Nation“ Dan Barker (mit dem sie seit 25 Jahren verheiratet ist) „Die Gedanken sind frei“ anstimmen. Gaylor stellte die Freedom From Religion Foundation (FFRF) vor, die sie mit ihrer Mutter Anne Gaylor zusammen gründete, während sie noch auf dem College war. Gaylor ging auf die historische Entwicklung der (deutschstämmigen) Freidenker in Wisconsin ein, die 1848 bereits 33 Freidenker-Hallen errichtet hatten. Eine von ihnen steht noch. Die Freidenker sprachen sich öffentlich gegen Sklaverei und die Todesstrafe aus. Gaylor selbst wurde nie religiös erzogen und gründete mit ihrer Mutter die FFRF, als sie feststellten, dass die Bibel, das Christentum und Religion die größten Hemmschuhe bezüglich Frauenrechte darstellen.

Die Aufgaben der FFRF bestehen darin, Bücher und Broschüren zu veröffentlichen, Filme und Musik zu produzieren, Stipendien zu vergeben und mit ihren inzwischen vier Anwälten gegen Verstöße in Bezug auf die Trennung von Staat und Kirche vorzugehen – häufig mit Erfolg. Ihr letzter Erfolg war, den Gouverneur von Colorado davon abzuhalten, einen Tag des Gebets (inkl. wofür man beten solle) auszurufen und die humorvolle Kampagne mit dem Bild eines Betenden anzugehen: „Get off your knees and get to work!“ („Erhebe dich von deinen Knien und geh arbeiten!“) Die FFRF hat Gebete in Kindergärten, in Mathematikklassen und Kruzifixe in Klassenzimmern gestoppt.

Allerdings sind sechs von neun Richtern des Obersten Gerichtshofs katholisch, was bedeutet, dass die katholische Kirche sehr mächtig ist. 25 Prozent der US-Bevölkerung sind katholisch, gegenüber der ähnlich großen Gruppe der Protestanten, die allerdings in viele, oftmals fundamentalistische Sekten aufgeteilt sind. Daher hat die FFRF eine neue Kampagne gestartet, die sich an liberale und lediglich „symbolische“ Katholiken wendet. In einer ganzseitigen Zeitungsannonce in der Washington Post rief die FFRF kürzlich dazu auf, die katholische Kirche wegen ihres Krieges gegen die Verhütung zu verlassen. Provokant wird gefragt: „Wird es reproduktive Freiheit sein oder zurück ins Mittelalter? Werden Sie Frauen und deren Rechte wählen oder Bischöfe und deren Verfehlungen?“

Als eine weitere Kampagne stellte Gaylor die „Out of the Closet“-Kampagne vor, in der sich Atheisten und Humanisten öffentlich als solche präsentieren. Denn viele Menschen in den USA haben noch nie wissentlich einen Atheisten kennengelernt, weshalb diese – im Gegensatz zu Schwulen und Farbigen, die in den vergangenen Jahrzehnten in der öffentlichen Gunst gestiegen sind – am unteren Ende der öffentlichen Wertschätzung stehen. Wer sich mit Foto und klugem Spruch outen will, kann das hier tun.