„Die Gedanken sind frei“

In ihrer insgesamt sehr bewegenden Rede, für das ihr das Publikum mit stehenden Ovationen dankte, erzählte Taslima Nasrin von ihrem Leben in Bangladesch: „Als Muslimin geboren und aufgewachsen – zur Atheistin und Feministin geworden“. Nasrin setzt sich vor allem für Frauenrechte ein. Über die Hälfte der Bevölkerung werde grundlegender Menschenrechte beraubt, weil sie Frauen seien. Das Schicksal einer Frau bestehe darin, als Mädchen von ihrem Vater, als Erwachsene von ihrem Mann und als Alte von ihrem Sohn beherrscht zu werden. Gewalt gegen Frauen wird nicht als Verbrechen angesehen, also werden Männer nicht belangt, die ihre Augen blenden, sie vergewaltigen, ihre Nase brechen.

Zum Glück für Nasrin war ihr Vater ein säkularer Arzt – auch wenn ihre Mutter gläubig war und sie entsprechend instruierte –, so dass er ihr erlaubte, sich zu bilden, bevor sie heiraten sollte. Sie studierte Medizin. Nachdem sie den Koran komplett gelesen hatte, wurde sie Atheistin. Schon als Achtjährige überprüfte sie den logischen Sinn des Korans und stellte in Frage: „Wenn Allah alles weiß, warum kann er kein Bengali?“, da es die Schrift nur auf Arabisch gab. Auch fiel ihre Zunge nicht ab, als sie, eingeschlossen im Badezimmer, Allah schmähte. Ihr wurde klar, dass Mohammed den Koran aus purem Eigeninteresse und für seinen eigenen Spaß geschrieben hatte, indem er beispielsweise seinen eifersüchtigen Impulsen bezüglich seiner Ehefrauen freien Lauf ließ.

Als Nasrin begann, sich öffentlich für Frauenrechte und gegen religiöse Gesetze zu engagieren, wurde gegen sie eine Fatwa ausgesprochen, in das Büro ihres Herausgebers wurde eingebrochen und die Regierung klagte sie wegen Blasphemie an. Sie flüchtete 1994 aus Bangladesch. Über 30 Bücher hat sie inzwischen geschrieben, die bis heute in ihrem Heimatland verboten sind. Sie selbst durfte bis heute nicht wieder nach Bangladesch einreisen und Indien, wo sie vorübergehend lebte, verwies sie des Landes, um den öffentlichen Frieden nicht zu stören.

Der Islam wird überwiegend ausgenommen von der kritischen Überprüfung, der andere Religionen ausgesetzt sind. Muslimische Minderheiten, die nun wachsen, werden unterstützt. Es scheint, als nehme die Intoleranz weltweit zu. Man hat Angst, Moslems zu beleidigen. Auch moderate Muslime hätten sich bislang nicht zu Wort gemeldet, um den Opfern des islamischen Fundamentalismus beizustehen.

Nasrin meinte, es sei nicht leicht, Religionen zu überwinden, aber wir sollten es versuchen. Der Konflikt laufe zwischen der Vernunft, Säkularismus, Humanismus und der Bewegung nach vorne gegenüber Irrationalismus, Fundamentalismus und Rückwärtsbewegung. Menschen zu bilden sei ein wirksamer Weg. Wir müssten islamischen Gesellschaften zur Aufklärung verhelfen. Und Frauen, die keine Feministinnen seien, seien Masochistinnen. (Bereits 2009 interviewte der hpd Taslima Nasrin.)
 

Der Philosoph und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs), Michael Schmidt-Salomon, meinte, die kulturelle Matrix, in der wir aufwachsen, sei der Grund dafür, dass Politiker mit religiotischen Vorstellungen herrschen. Doch „Willkommen in der Matrix – auch Dummheit will gelernt sein“ thematisierte nicht nur die Politik, sondern diverse Bereiche des menschlichen Daseins. Ein biologischer Grund dafür, dass sich der Mensch – anders als der Schimpanse – vom Jäger und Sammler zum Großstadtneurotiker entwickelt habe, bestehe darin, dass der Mensch der Affe sei, der am besten nachäffen könne.

Um diese umstrittene These zu belegen, zeigte Schmidt-Salomon ein Video, in welchem Schimpansen und Menschenkinder äußerst unterschiedlich handelten, um eine Süßigkeit zu erlangen: Eine Black Box enthält eine Süßigkeit, an die man angeblich nur gelangen kann, wenn man komplizierte Klopf- und Schiebevorgänge beachtet. Die Schimpansen äffen diese Vorgänge eher schlampig nach und erhalten ihr Bonbon, die Kinder dagegen äffen die Vorgänge haargenau nach und erhalten ihr Gummibärchen. Interessant wird es, als dieselbe Box nicht mehr black, sondern durchsichtig ist: Die Schimpansen schauen kurz hin, verzichten auf die komplizierten Vorgänge, sondern schnappen sich sofort ihr Bonbon. Die Kinder dagegen nehmen weiterhin den umständlichen Klopf-und-Schiebe-Umweg, bis sie endlich ihr Gummibärchen in den Händen (bzw. im Mund) halten.

Dieses Nachäffen sei die Basis jeglicher Traditionsbildung, des Sprechens, Lesens, Schreibens, Rechnens. Die Fähigkeit zu perfekter Imitation sei mithin die Wurzel aller menschlichen Kulturleistungen, allerdings auch die Wurzel aller menschlichen Dummheit. Die kulturelle Matrix sei ein Programm zur gesellschaftlichen Normierung individueller Denk-, Empfindungs- und Handlungsgewohnheiten. Je unrealistischer, je grotesker, je gefährlicher eine kulturelle Vorstellung sei, desto höher sei der Aufwand, der betrieben werde, um sie in die Köpfe der Jüngsten einzupflanzen. Dies treffe besonders auf die Religionen zu, deutlich daran zu erkennen, dass in den öffentlichen deutschen Schulen zuerst Kreationismus (biblische Schöpfungsgeschichte) und erst später Evolution (Biologie) gelehrt werde. Insofern werde insgesamt zur Denkverödung erzogen.

Würden Kinder dagegen von Anfang an lernen, Vorgegebenes kritisch zu hinterfragen, hätten religiotische Hirnwürmer in ihren Köpfen keine großen Überlebenschancen.

Zum Thema „Atheismus an sich“ meinte Schmidt-Salomon, dieser habe keine Zukunft. Ein Negativprogramm könne Menschen keine Orientierung bieten, sondern könne gesellschaftlich nur wirkmächtig werden, wenn er Verbindungen mit anderen Programmen der kulturellen Matrix eingehe. Stattdessen solle es uns also eher um die positiven Inhalte von Humanismus und Aufklärung, statt um die Nachteile des Glaubens um die Vorzüge des selbstbestimmten Lebens gehen. Evolution zu verstehen sei notwendig, um zu begreifen, wer oder was der Mensch ist. Was bislang fehle, sei die Übersetzung in eine kindgerechte Sprache, woraufhin Schmidt-Salomon das neue gbs-Projekt „EvoKids“ vorstellte, mit dem das Urmel Evolution in die Grundschule bringen soll. Auch solle das Aushandeln von Werten im Mittelpunkt des schulischen Werteunterrichts stehen. Der Philosoph schloss mit den Worten: „Nicht nur Dummheit, auch Klugheit will gelernt sein.“

Fiona Lorenz / Carsten Frerk

 

Tagungsbericht, Teil 1: „I’m your neighborhood atheist"