VERSMOLD. (hpd) Im ostwestfälischen Versmold soll eine neue Schule entstehen. Geht der Plan auf, wird das Christliche Jugenddorfwerk Deutschland (CJD) künftig alleiniger Träger aller Schulen der Sekundarstufe in der Stadt sein. Beobachter befürchten, dass dabei Grundrechte auf der Strecke bleiben, denn Alternativen zum Religionsunterricht sind nicht vorgesehen.
Ab dem Schuljahr 2013/2014 wird es voraussichtlich so weit sein. Sämtliche Regelschulen oberhalb der Primarstufe in Versmold werden sich in der Hand des CJD befinden, welches in der Kleinstadt bereits ein Gymnasium, eine Realschule sowie eine Hauptschule mit besonderem pädagogischem Auftrag betreibt.
Rund 1.500 Schülerinnen und Schüler besuchen diese drei CJD-Schulen. Auch ein Internat ist an den Verbund angeschlossen. Als Schulträger ist der Verein damit ein echter Platzhirsch im städtischen Bildungswesen, denn kommunale oder nicht-christliche Regelschulen oberhalb der Primarstufe gibt es keine mehr. Versmold wird eine Stadt, in der sich das Schulsystem fest in einer Hand befindet.
So viel Verantwortung gegenüber dem Bildungsbereich wie möglich an kirchliche Träger zu delegieren – darum hat sich der Stadtrat in der Vergangenheit verdient gemacht. Um das Paket zu komplettieren, soll bis zum nächsten Jahr auch die städtische Hauptschule gemeinsam mit der CJD-Realschule in einer neuen Sekundarschule in Trägerschaft des CJD aufgehen.
Als Motive für die Entscheidung zur Zusammenlegung wurden abnehmende Schülerzahlen an der städtischen Hauptschule genannt, die der demografischen Entwicklung mit sinkenden Geburtenzahlen sowie einer „Flucht von der Hauptschule“ geschuldet seien. Das Motto der künftigen Schule wird lauten: „Keiner soll verloren gehen“.
„Wir befürworten die Sekundarschule und finden es gut, dass sich das CJD dort engagiert“, meint Maximilian Koch zu den Plänen. Nichtsdestotrotz hat der 17-jährige Schülersprecher an der städtischen Hauptschule gemeinsam mit Mitschülern in den vergangenen Wochen dafür getrommelt, gegen das Konzept zu protestieren.
Es ist wirklich ein bizarrer Fall, der sich in Versmold abspielt: Da gibt die rund 21.000 Einwohner zählende Gemeinde umfassend Hoheiten im örtlichen Bildungswesen an einen konfessionellen Träger ab. Doch obwohl die Einrichtungen fast vollständig aus der öffentlichen Kasse finanziert werden, werden Grundrechte der Schülerinnen und Schüler durch das so gewachsene Monopol praktisch abgeschafft.
Denn spätestens wenn die geplante CJD-Schule ihren Betrieb aufnimmt, wird es für die rund 2.000 Schüler der Sekundarstufe an den Versmolder Schulen wohl eines ganz sicher nicht mehr geben: Das Recht, nicht am Religionsunterricht teilzunehmen. Schachmatt, Atheisten.
Koch, der von sich selbst sagt, römisch-katholisch zu sein, wird dann zwar schon seinen Abschluss in der Tasche haben. Trotzdem sorgt er sich um die Religionsfreiheit kommender Schülergenerationen, sollte dem CJD dieser Coup wie geplant gelingen. Vom Verein ist nicht vorgesehen, dass es an CJD-Schulen eine Alternative zum Religionsunterricht geben kann.
Klipp und klar heißt es im Schulvertrag der Versmolder CJD-Schulen: „An den CJD Christophorusschulen besteht für alle SchülerInnen die Verpflichtung zur Teilnahme am Religionsunterricht. Die Teilnahme am Religionsunterricht ist versetzungsrelevant. Eine Abmeldung ist auch bei Religionsmündigkeit der Schülerin/des Schülers nicht möglich.“
Gegen den Zwang zur Teilnahme am Religionsunterricht stellte sich bereits der örtliche Verband der Linkspartei und beurteilte das vom CJD angestrebte Vorhaben als verfassungswidrig. „Wir fordern als Alternative zum Religionsunterricht an allen Schulen einen Ethik- oder Philosophieunterricht“, verlangte der örtliche Linke-Politiker Marco Lehmann.
Im Stadtrat unter Vorsitz von Bürgermeister Thorsten Klute (SPD) hat Lehmanns Partei allerdings nichts zu sagen, denn die Politik in Versmold wird von SPD, CDU, Grünen und FPD gemacht.
Maximilian Koch glaubt auch nicht, dass in der Kontroverse auf den Rückhalt des SPD-Bürgermeisters gesetzt werden kann. „Er versucht nur zu beschwichtigen und die Gemüter zu beruhigen“, beschreibt Koch seine Einschätzung nach bisherigen Gesprächsversuchen.
Beim CJD habe man stets unmissverständlich deutlich gemacht, nicht von der Pflicht zum Religionsunterricht abweichen zu wollen. Ein Ersatzangebot von praktischer Philosophie oder Ethik komme nicht in die Frage, weil es der „christlichen Prägung“ entschieden widerspricht.
„Unser Religionsunterricht ist weltoffen”, versuchte zwar der Versmolder CJD-Leiter Knud Schmidt zu relativeren. Dass in den CJD-Einrichtungen nicht nur der Religionsunterricht allgemein verbindlich gemacht wird, hat Maximilian Koch erfahren, als er einige Jahre das Internat des CJD besuchte.
„Es gab zum Beispiel Gebete in der Mensa, vor und nach dem Essen. Die sind Pflicht gewesen“, so Koch. Sich davor zu drücken, war nicht möglich. „Wer nach dem Gebet kam, wurde aufgeschrieben.“
Unterstützung beim Protest gegen die Zwangsunterrichtung auf dem monopolisierten Bildungsmarkt der Kleinstadt haben Koch und seine Mitstreiter bisher von den Schülervertretungen auf Landes- und Bezirksebene erhalten. Einigen Rückhalt für sein Anliegen sieht er auch bei FDP und SPD, aber vor allem die Grünen hätten sich in der Kontroverse um die Religionsfreiheit an den Schulen der Stadt in Kochs Sinne stark gemacht.
Damit der Druck auf die Entscheidungsträger im Stadtparlament vielleicht doch noch groß genug wird, soll nun heute eine Demonstration zwischen städtischer Hauptschule und Rathaus die Versmolder weiter aufrütteln. Mit mindestens 300 Teilnehmern rechnet Demo-Initiator Koch. Und auch eine Onlinepetition unter dem Titel „Religionsfreiheit auch in Versmold“ hat er veröffentlicht, deren Ergebnisse schließlich dem Landrat und dem Bürgermeister übergeben werden soll.
Heute (am 31. Mai 2012) soll es ab 16:00 Uhr von der Hauptschule Versmold aus (Schulstrasse 14) eine Demonstration geben, um auf das Problem aufmerksam zu machen.
Auf dem Bild zu sehen die Initiatoren: von Links Stefan Hagemeier, Christina Mohr, Vladimir Polovkin, Maximilian Koch, Moritz Löffler. SV-Team der Hauptschule Versmold (Foto: privat)
Das fertige Konzept zur Sekundarschule soll bis zum Herbst vorliegen. Dann wird es der CJD bei der Bezirksregierung Detmold einreichen. Doch klar ist, dass nach dem Ende der städtischen Hauptschule Versmold ein neuer Wind wehen wird, das humanistisch geprägte Leitbild von Maximilian Kochs langjährigem Lern- und Lebensort wird jedenfalls keine Chance auf eine Übernahme haben. Und ob die deutsche Verfassung in den Versmolder Schulen gilt oder ob die darin enthaltenen Grundrechte tatsächlich von Stadtrat und Schulträger ausgehandelt werden, bleibt nicht die einzige offene Frage.
Arik Platzek