Säkulare Simultan-Botschaft

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Sepp Rothwangl im Interview / Fotos: Monika Zacher, Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien

WIEN. (hpd) Österreichs säkulare Szene hat am Wochenende mit zwei zeitgleichen Aktionen auf sich aufmerksam gemacht. So viel wie lange nicht. Ein Zeichen neuen Selbstbewusstseins. Es ging um das „Papstkreuz“ und Versuche von Fundis, die Regenbogenparade zu stören, scheiterten kläglich.

Es war ein kaum verhohlener Griff nach dem öffentlichen Raum, den die katholische Kirche in den Augen einiger Kritiker am Samstag in Wien versucht hat. Kardinal Christoph Schönborn weihte das so genannte Papstkreuz ein und proklamierte es zum „Zeichen der Hoffnung“ für „unsere Stadt und darüber hinaus.“ Fast zeitgleich versuchte der rechte Flügel der katholischen Anhängerschar die Regenbogenparade zu stören. Die Fundis von gloria.tv marschierten auf und verteilten Flugzettel gegen den drohenden Sittenverfall, angeblich kranke Homosexuelle und vermutlich das Ende der Welt oder gar des katholischen Österreich überhaupt. Offenes Ziel der Funditruppe: Menschen, die nicht ihrer Sexualmoral entsprechen, aus dem öffentlichen Raum zu drängen. Vermutlich zum ersten Mal in Österreich versuchte die säkulare Szene, zwei katholischen Veranstaltungen am gleichen Tag jeweils eigene Aktionen im öffentlichen Raum entgegenzusetzen.

Bei der Aktion gegen die Fundis von gloria.tv dürfte das besser funktioniert haben, als erwartet, berichtet Michael Pürmayr von gottlos.at. Die Rabiat-Christen brachten seiner Darstellung zufolge nicht mehr als 20 Menschen auf die Straße. Und sie scheuten sich nicht, ihre Kinder für die höhere Ehre Gottes oder zumindest von gloria.tv zu instrumentalisieren. Die Gegendemo, die maßgeblich von gottlos.at mitgetragen wurde, war größer als die Fundi-Veranstaltung, schreibt er: „etwa 100 Menschen verschiedenster Organisationen sowie PassantInnen hatten sie bereits eingekreist. Wir gesellten uns dazu und die knarzenden Lautsprecher der FundamentalistInnen hatten in Folge keine Chance gegen das Pfeifkonzert der Menge. Etwa um 17:30 trafen weitere PolizistInnen ein und trennten nach und nach Demo und Gegendemo mehr schlecht als Recht auf.

Alle Fotos Regenbogendemo: gottlos.at, Die Helga.

Schließlich zogen die KatholikInnen in Richtung Oper ab, gefolgt von der mittlerweile auf etwa 150 Menschen angewachsenen Gegendemonstration. Auch wenn am Weg zur Oper ein paar GegendemonstrantInnen verloren gingen (…) kamen wir letztlich alle vor dem Operngebäude wieder zusammen. Auch hier gingen die Ave Marias der homophoben FundamentalistInnen in Buh-Rufen und Pfiffen unter und die Gegendemonstration hielt trotz beißender Hitze bis zum Abzug des Grüppchens von Gloria.tv tapfer aus.“

Etwas ungünstiger war das Zahlenverhältnis bei der praktisch zeitgleichen Aktion gegen die Segnung des Papstkreuzes. Die Plattform Betroffene Kirchlicher Gewalt und das Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien hatten zu einem Schweige-Protest gegen die Zeremonie aufgerufen, die aus ihrer Sicht eine katholischen Machtdemonstration war. Zumal die Gemeinde Wien bei der Feldmesse offiziell vertreten war. Etwa zehn säkulare Aktivistinnen und Aktivisten standen zwischen 150 und 200 Teilnehmern auf katholischer Seite gegenüber. Letztere deutlich weniger als erwartet.

„Teures Kruzifix - Aber Missbrauch macht nix?“

Der Slogan „Teures Kruzifix – Aber Missbrauch macht nix?“ dürfte etliche Teilnehmer der katholischen Messe irritiert haben, schildert Betroffenen-Sprecher Sepp Rothwangl. „Das vollkommen friedliche Auftreten wollten sogleich einige erregte Kirchenangehörige unterbinden und uns weg weisen, was wir durch stille Beharrlichkeit verweigerten. Ein Priester im Talar sagte zu mir, er fühle sich durch unser Logo diskriminiert und wir sollten das Gelände verlassen. Leise entgegnete ich, dass es besser gewesen wäre, mir als 12-Jährigen den Zugang zur Kirche zu verwehren, dann wären mir Missbrauch und Vertuschung durch Kleriker erspart geblieben.“

Rothwangl berichtete von kleineren Übergriffen durch Messeteilnehmer: „Es kam nach einiger Zeit durch eine aggressive Gruppe von Katholiken, die unseren Platz haben wollten, zu Bedrängungen und Rempeleien. Ein lauter Aufschrei meinerseits machte aber diese Versuche zunichte. Durch diese Rempeleien wurde ich in Richtung des zuvor schon erwähnten Priesters gestoßen, der (…) hysterisch ausrief: "Sie haben mich gekörpert! Sie haben mich gekörpert!". (Er) meinte damit wohl, ich hätte seinen Körper berührt. „Über Verletzte wurde nichts bekannt.“

Dass Österreichs Säkulare zwei Demos an einem Tag organisieren können, wenn auch unabhängig von einander, hätte vor wenigen Jahren als undenkbar gegolten. Es ist vermutlich der Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins, das sich seit einigen Monaten manifestiert (siehe auch:
Dalai Lamas Gegenstimme“, „Der Dalai Lama, Dieter und das Wasser“, „Es wachsen die Gräser“, „Ungereimtheiten mit Papstkreuz“). Die Auslöser sind vermutlich in den Aktivitäten der Betroffenen Kirchlicher Gewalt und im Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien zu sehen.

Daneben haben bei allen kleineren Reibungsverlusten die früheren Differenzen in der Szene einem deutlichen Willen zur Kooperation zwischen den diversen säkularen und atheistischen Vereinen Platz gemacht. Man hat mit Differenzen leben gelernt und wer welchem Verein angehört, wird in E-Mail-Diskussionen und Aufrufen zur Unterstützung zunehmend zur Nebensache. Ob Freidenkerbund, AG-ATHE oder AHA, um nur die größeren Organisationen zu nennen, alle betonen, man ziehe am gleichen Strang. Atmosphärisch wichtig war vermutlich auch, dass im Vorjahr Bundespräsident Heinz Fischer als erster Amtsträger der Republik eine Delegation des Zentralrats der Konfessionsfreien empfing.

Auch in die Medien traut man sich zunehmend. Gerhard Engelmayer, Vorsitzender der Freidenker, initiierte vor wenigen Wochen eine Cover-Story im „profil“ (die zwar an etlichen inhaltlichen Fehlern litt, die aber nicht auf Engelmayer oder andere Interviewpartner zurückzuführen sind, Anm.), und man artikuliert sich zunehmend in Leserbriefen oder Online-Foren. Österreichs Säkulare verstecken sich heute nicht mehr. Das zeigen die zwei zeitgleichen Demos.

Nächsten Samstag geht der Reigen der Aktivitäten mit der Tafel-Wanderung weiter, der hpd berichtete im Vorjahr. Und im September feiert der Freidenkerbund sein Jubiläum. Nicht in einem stickigen Vereinslokal sondern am Campus des Alten AKH in Wien. Samt großem Show-Programm. Auch das ist als Ausdruck des neuen Selbstbewusstseins von Österreichs Säkularen zu werten.

Christoph Baumgarten