(hpd) Die Politikerin Sahra Wagenknecht formuliert in ihrem Buch einerseits eine Kritik am gegenwärtigen Kapitalismus und andererseits die Grundzüge eines „kreativen Sozialismus“. Während sie für den erstgenannten Gesichtspunkt gut belegte Argumente vorbringen kann, bleibt das propagierte Alternativmodell doch überaus diffus.
„Freiheit statt Sozialismus“ lautete eine Wahlkampfparole der Unionsparteien, die in den 1970er Jahren gegen die seinerzeitige SPD-Regierung gerichtet war. „Freiheit statt Kapitalismus“ betitelt nun Sahra Wagenknecht ein Buch, das einerseits den unproduktiven Kapitalismus kritisieren und andererseits den kreativen Sozialismus begründen will. Es erschien bereits 2011 und liegt nun in einer aktualisierten Neuausgabe vor. In dem erweiterten Teil geht es um eine Kommentierung der aktuellen Euro- und Griechenlandkrise.
Die bekannte Politikerin, stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei „Die Linke“ und Vize-Vorsitzende der Bundestagsfraktion, konfrontiert darin die gegenwärtige Entwicklung des Kapitalismus mit den gebrochenen Versprechungen der sozialen Marktwirtschaft. So ist man etwas überrascht, wenn die Aktivistin der „Kommunistischen Plattform“ ihrer Partei zunächst die Politik des Ordoliberalismus der 1950er Jahre beschreibt und lobt. Ludwig Ehrhards Forderung „Wohlstand für Alle“ will sie gar durch einen „kreativen Sozialismus“ erfüllen.
Zunächst nimmt Wagenknecht aber eine Kritik des Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form vor: Dabei geht sie zunächst auf die Entwicklung im Bereich des Finanzkapitals ein, seien doch die Banken zu einem Investitionshemmnis geworden, da sie die Ersparnisse der Gesellschaft nicht mehr einer produktiven Verwendung zuleiteten. Aber auch der Bereich des Realkapitals gerät in den kritischen Blick der Betrachtung, seien die jeweiligen Unternehmensführungen doch mehr am kurzfristigen Shareholder-Value interessiert, was zu produktivitätsfeindlichen Konsequenzen führe.
Darüber hinaus weist die Autorin darauf hin, dass die Auffassung von einer „Leistungsgesellschaft“ als Mythos gelten müsse, sei doch ein beruflicher Aufstieg in der Bundesrepublik Deutschland weit mehr von der sozialen Herkunft abhängig. In der wachsenden Konzentration von Wirtschaftsmacht in den Händen global agierender Großunternehmen sieht Wagenknecht auch eine Gefahr für die Demokratie, mache sie doch Regierungen und Staaten in der Politikgestaltung erpressbar.
Diesen Entwicklungen stellt die Autorin einige Reformvorschläge für unterschiedliche Bereiche der Ökonomie gegenüber: So plädiert sie etwa für ein Streichen von Altschulden der EU-Staaten, für eine armutsfeste Rentenkonzeption, für eine Ausrichtung der Banken an einem gemeinnützigen Geschäftsmodell und für eine Renaissance der staatlichen Zuständigkeit für Grundversorgungsleistungen. Allgemein solle eine solche Politik in einer politischen Alternative münden.
Wagenknecht schreibt: „Kreativer Sozialismus hat sich von der Idee des planwirtschaftlichen Zentralismus verabschiedet. Er will mehr Wettbewerb, nicht weniger. Aber dort, wo lediglich Pseudowettbewerb stattfindet, weil natürliche Monopole oder Oligopole ihre Machtmacht zur Wettbewerbsverhinderung einsetzen, ist die öffentliche Hand gefordert. Es gibt Marktwirtschaft ohne Kapitalismus und Sozialismus ohne Planwirtschaft“ (S. 383). Ein „kreativer Sozialismus“ in diesem Sinne müsse denn auch echte, also innovative Unternehmer fördern und stützen.
Die Erstausgabe des Buchs fand große Aufmerksamkeit und erstaunliches Lob. Zu letzterem gehört das Statement aus dem „Handelsblatt“: „Sahra Wagenknecht zeigt ein tieferes Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge als viele Politiker aus Parteien, denen man gemeinhin Wirtschaftsnähe und -kompetenz zuspricht.“
In der Tat kann den kapitalismuskritischen Ausführungen durchaus zugestimmt werden, stützt die Autorin sich doch auf eine Fülle von Daten und Studien. Manche Kommentare geraten ihr dabei aber zu stammtischartig: „Ackermann killt die IKB“ (S. 87) oder „ ... das Fass ohne Boden wird weiter fleißig mit Jauche gefüllt“ (S. 93). Auch die Gefahren des Kapitalismus für die Demokratie werden zutreffend benannt, wenngleich von einer Politikerin, die es bislang an klaren Worten zur Diktatur in der DDR mangeln ließ. Eher diffus wirkt demgegenüber das Modell des „kreativen Sozialismus“: Was soll damit genau gemeint sein – eine soziale Marktwirtschaft, ein Wohlfahrtsstaat? Dann könnte man das auch so nennen!
Armin Pfahl-Traughber
Sahra Wagenknecht, Freiheit statt Kapitalismus. Über vergessene Ideale, die Eurokrise und unsere Zukunft, Frankfurt/M. 2012 (Campus-Verlag), 406 S., 19,95 €
Konzept eines kreativen Sozialismus (29.06.2011)