Ist die Existenz von Gruppen, die kreationistische Überzeugungen verbreiten, aus Ihrer Sicht ein echtes Problem?
Es ist definitiv ein Problem! Kreationistische Ideen sind wissenschaftlich vollkommen unhaltbar, also müssen Kreationisten wissenschaftliche Fakten umdeuten, verdrehen oder gleich ganz ausblenden, damit diese in ein Schöpfungsszenario passen. Sie sind wissenschafts- und aufklärungsfeindlich, wenngleich sie selber dies vehement abstreiten. Für eine Industrienation wie Deutschland könnte diese Haltung langfristig fatal sein. In der heutigen Zeit gibt es viele Probleme – z.B. den Klimawandel –, zu deren Lösung die wissenschaftliche Denkweise ein essentielles Werkzeug ist, welches allerdings erlernt werden muss.
Auch aus diesem Grund sollte besonders der Einfluss auf die Bildung und auf Heranwachsende nicht unterschätzt werden. Fundamentalreligiöse Gruppen bieten Jugendlichen oft ein Gefühl von Gemeinschaft bzw. Geborgenheit, welches diese eventuell nur dort bekommen. Diese Jugendlichen erfahren dann eine kreationistische Prägung, oft ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein.
Die Erkenntnisse, welche die Evolutionstheorie stützen bzw. die Annahmen, welche eine Evolution voraussetzt, widersprechen in zahlreichen Punkten weitverbreiteten Formen des religiösen Glaubens, die mit Fakten der Kosmologie und anderer Wissenschaften kaum zu vereinbaren sind. Ich denke hier an die Tiefenzeit im Sinne Stephen J. Goulds oder die Tatsache, dass unser Planet nur einen Partikel in einem mindestens 80 Milliarden Lichtjahre durchmessenden Universum darstellt, was ja mit Vorstellungen von göttlichen Schöpfungen, in denen das irdische Leben eine besondere Rolle spielen soll, kollidiert. Wurzelt der Kreationismus in Deutschland Ihrer Einschätzung nach auch in der großen Angst vor einer Vergegenwärtigung dieser Tatsachen?
Zweifellos. Die fortschreitende wissenschaftliche Erfassung unserer Welt lässt immer weniger Platz für einen Gott, der aktiv ins Weltgeschehen eingreift und führt somit zu der Sorge vor einem wachsenden Atheismus. Der Schöpfungsglaube hingegen bindet die Wissenschaft wieder zurück an ein transzendentes Wesen und somit verweisen innerhalb dieses Konstrukts alle Evidenzen auf Gott. Um den Kreationismus zu verstehen, ist es höchstwahrscheinlich wichtig, zu beachten, dass Furcht, Unterwerfung und eine vermeintliche religiöse Kränkung hier auch eine entscheidende Rolle spielen. Für viele Menschen ist ihre Einzigartigkeit durch eine göttliche Herkunft essentiell für ihr Wohlbefinden. Ich denke deshalb, dass häufig gar nicht erst so weit gedacht wird, wie in Ihrer Frage angedeutet, sondern dass wissenschaftliche Fakten stattdessen schlichtweg ignoriert werden. So ist es durchaus möglich, dass eine Reflexion der eigenen Weltanschauung gänzlich ausbleibt.
Wie stehen die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland ansonsten zu diesem Thema? Wird die Evolution akzeptiert oder stößt sie irgendwo auf Widerstände? Ich frage das auch mit Blick auf die Ankündigung zur Tagung, wo es heißt, „dass vor-aufklärerische Positionen wie der Kreationismus und seine moderne Variante, das Intelligent Design, keine angemessene wissenschaftliche wie theologische Antwort sein können.“
Die Volkskirchen haben kein Problem mit der Evolution. Aber auch hier muss man genauer hinschauen: Wie bereits erwähnt, gibt es auch in der römisch-katholischen Kirche immer noch konservative Kreise, die mit dem Kreationismus oder seiner modernen Variante „Intelligent Design“ sympathisieren, wie auch die Schönborn-Affäre gezeigt hat.
Darüber hinaus sind alle Gläubigen – wie bereits erwähnt – natürlich in irgendeinem, mehr oder weniger weiten oder konkreten Sinne, auch schöpfungsgläubig. Die theologischen Interpretationen des Begriffs „Schöpfung“ sind dabei aber derart vielfältig, dass man sie nicht alle in eine Schublade stecken kann und nur ein Teil derer ist tatsächlich mehr oder weniger kreationistisch.
Können Sie Beispiele nennen, wo der christliche Glaube und die Akzeptanz der Evolution widerspruchsfrei miteinander vereinbart wurden oder werden?
Das passiert täglich in Tausenden Köpfen. Natürlich gibt es die streng naturalistische Auffassung, dass ein gläubiger Mensch per se an irgendeiner Stelle dem Naturalismus den Rücken zuwenden muss und damit sich selbst bei derartigen Fragen disqualifiziert. Allerdings bin ich der Meinung, dass man an dieser Stelle ganz klar trennen sollte zwischen einer persönlichen Glaubensauffassung und der Akzeptanz von wissenschaftlichen Erkenntnissen bzw. der Fähigkeit Wissenschaft in aller Konsequenz zu betreiben. Unsere AG ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass es funktioniert, immerhin zählen einige Christen zu uns, die gleichzeitig problemlos und engagiert Wissenschaft betreiben.
Frau Beniermann, vielen Dank für das Interview!
Die Fragen stellte Arik Platzek