Zentral für die Anthroposophie ist auch Steiners esoterische Rassenlehre. Der amerikanische Historiker Peter Staudenmaier (siehe „Credits“) erläutert: „Ausgehend von Blavatskys (19) entwicklungstheoretischem Ansatz baute Steiner eine Evolutionslehre der Völker- und Rassengruppen auf, wonach die menschliche Seele durch aufeinanderfolgende Verkörperungen in immer 'höheren' Rassen geistig wie leiblich fortschreitet. Diese Stufenleiter der Rassen steht im Mittelpunkt von Steiners esoterischem Verständnis der Gesamtentwicklung der Menschheit, vom Verhaftetsein in der Materie hin zur geistigen Vervollkommnung.“(20)
Endpunkt und Ziel der „Menschheitsentwickelung“ ist für Steiner die „weiße Rasse“. Folgende Aussage Steiners hat programmatischen Charakter: „Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geiste schaffende Rasse.“(21) Steiner lehnte die Demokratie als Herrschaftsform ab, stattdessen sollten Hierarchie und Autorität „spirituell“ begründet sein.
Schulte-Strathaus hebt in seinem Ersuch für die Waldorfschulen hervor, dass die Erziehung der Waldorfschulen „gegen materialistisches Denken und bloßen Intellektualismus“ gerichtet sei. Schon das „25-Punkte-Programm“, das Parteiprogramm der NSDAP vom 24. Februar 1920, wendet sich gegen den vermeintlichen Feind „Materialismus“. In „Punkt 24“, wird dieser Feind als „jüdisch“ identifiziert: „(…) Sie [die NSDAP] bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns. (…)“
Auch hier waren Rudolf Steiner, seine Anthroposophie – und damit die Waldorfschulen – an die NS-Ideologie anschlussfähig: „Für Steiner war das Judentum ein spiritueller wie evolutionärer Anachronismus; das jüdische Volk hätte sich schon längst auflösen sollen.“(22) So sagt Rudolf Steiner: „Das Judentum als solches hat sich aber längst ausgelebt, hat keine Berechtigung des modernen Völkerlebens, und dass es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der Weltgeschichte, dessen Folgen nicht ausbleiben konnten. Wir meinen hier nicht die Formen der jüdischen Religion alleine, wir meinen vorzüglich den Geist des Judentums, die jüdische Denkweise.“(23)
„In anthroposophischen Schriften wurden die Juden als Verkörperung von Materialismus, Intellektualismus, Egoismus, Rationalismus, Abstraktion, Zersetzung und Dekadenz dargestellt. Der Herausgeber der Zeitschrift ‚Anthroposophie‘ schrieb 1925: ‚Aber das Judentum wird heute täglich nervöser, auch geistig immer nervöser und aktiver; denn es fühlt sehr wohl, dass seine für die Weltlage unheilschwere Rolle ausgespielt ist und das Blatt sich zu wenden beginnt. (…) Das Judentum begräbt sich selbst als bestimmender Exponent der Zivilisation, der es viel zu lange gewesen ist. Zionismus und ähnliche Verstiegenheiten, an die kein vernünftiger Mensch glaubt, sind nur als Ausgeburten eines perniziösen Fieberzustandes zu verstehen, der sich aus allen Kräften gegen die andringende Vernichtung sträubt, ohne sie aufhalten zu können.‘(24)
Richard Karutz (25) erklärte 1929: 'Der Jude im Menschen ist der Feind' und verurteilte 'den gruppengebundenen, engherzigen, vergangenheitsstarren, totem Begriffswissen und totem Stoffe opfernden, weltmachthungrigen Geist des Judentums, der eben in jedem Menschen steckt'(26).“(27)
Dies ist nur eine kleine Auswahl an antisemitischen Positionen der Anthroposophie. Grundsätzliches stellte der italienische, auch noch im heutigen Deutschland verehrte Vorzeige-Anthroposoph Massimo Scaligero (28) (1906 – 1980) fest: Juden verkörpern „untermenschliche ahrimanische Kräfte“. „Ahriman“ steht in der Anthroposophie für „das Böse“, insbesondere ist Ahriman für den vernichtenden Einfluss des „Materialismus“ verantwortlich.
Mit dem Flug des „Stellvertreter des Führers“ Rudolf Heß nach England am 10. Mai 1941 verlor die Anthroposophie einen ihrer wichtigsten nationalsozialistischen Förderer. In der Folge musste auch die ‚von Rudolf Heß gedeckte‘ (29) Waldorfschule Dresden als letzte damals noch existierende Waldorfschule 1941 ihren Betrieb einstellen.
Bereits im November 1935 war die „Anthroposophische Gesellschaft“ von der Gestapo verboten worden, was aber wie oben ersichtlich keinesfalls ein Ende der erfolgreichen Zusammenarbeit von Anthroposophen mit nationalsozialistischen Organisationen bedeutete. Die Gründe für das Verbot waren vielfältig, ganz allgemein lässt sich feststellen, dass der anti-esoterische Flügel der NSDAP alle okkulten Gruppen, nicht nur die Anthroposophie, als staatsfeindlich einstufte.
Einen spezifisch anthroposophischen Hauptgrund nennt Peter Staudenmaier: „(…) das 'Deutschtum' [der Anthroposophie] (…), war ein Faktor, der besonders die anti-okkulte Interessengruppe in den Nazi-Geheimdiensten irritierte, die manchmal die Anthroposophie gerade wegen ihrer ostentativ germanozentrischen Ansprüche verurteilte.“(30)
Wie wahnhaft das anthroposophische „Deutschtum“ war, wird beispielsweise im von der „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ (BPjM) als „zum Rassenhass anreizend bzw. als Rassen diskriminierend“ eingestuften Buch von Rudolf Steiner „Die Mission einzelner Volksseelen – im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie“ deutlich, der Titel ist Programm.
Kontinuität bis in die Gegenwart: Atlantis und die Rassen
„Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus, schrieb Karutz 1934, 'gewinnt man auch die positive Einstellung zur Rasse wieder, die unter dem wissenschaftlichen Materialismus verlorengegangen war'(31): 'Die nationalsozialistische Völker- und Rassenpolitik ist in der geistigen Wirklichkeit verankert.' (32)
Um die Zusammengehörigkeit von anthroposophischer und nationalsozialistischer Rassenlehre zu dokumentieren, zitierte er Steiner und Hitler nebeneinander als Beweis, 'dass sich hierin die auf Blut, Boden und Vererbung aufgebaute Weltanschauung des Dritten Deutschen Reiches und die Geisteswissenschaft nicht widersprechen‘(33).
Karutz erklärte: 'Der Nationalsozialismus ist, vielen unbewusst, tatsächlich eine geistige Bewegung, Rassenbildung und Rassenschichtung in Europa gehen tatsächlich bis in jene atlantischen Zeiten zurück, von denen Rudolf Steiner spricht.'(34)“(35) – und von denen auch noch in der Gegenwart „gesprochen“ wird, in Waldorfschulen, wenn „Atlantis“ und die darauf folgenden anthroposophischen „Kulturepochen“(36) unterrichtet werden. Die Kultusministerien und Schulaufsichten scheinen sich nicht dafür zu interessieren, wenn damit in Waldorfschulen Rassismus in „kindgerechter Form“ vermittelt wird – und die Eltern?
O-Ton aus dem 45-minütigen TV-Feature des SWR, „Betrifft: Wie gut sind Waldorfschulen?“:
„Mutter: 'Also ich bin noch nie über irgendwelche Inhalte gestolpert, die mich irritiert hätten, ist mir nicht passiert.'
SWR: 'Aber uns. Als wir in Julias alten Epochenheften graben, finden wir ein Geschichtsheft, das doch tatsächlich mit der Beschreibung von Atlantis beginnt …'“
Credits: Die Darstellung der Geschichte der Anthroposophie im Verhältnis zum Nationalsozialismus ist eine Kurzzusammenfassung der Forschung von Peter Staudenmaier, seit August 2011 Professor für „Modern German History“ an der Marquette University.
Haupt-Quelle ist Peter Staudenmaiers Beitrag: „Der deutsche Geist am Scheideweg: Anthroposophen in Auseinandersetzung mit völkischer Bewegung und Nationalsozialismus“, in: Uwe Puschner/Clemens Vollnhals (Hrsg.), „Die völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus. Eine Beziehungs- und Konfliktgeschichte“, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2012.
Die Darstellung wurde von Peter Staudenmaier durchgesehen.
Erstveröffentlichung bei den Ruhrbaronen.
Weiterführende Artikel der Ruhrbarone:
Hitler, Steiner, Mussolini – Anthroposophie und Faschismus, gestern und heute
3 Jahre Rudolf Steiner ist „zum Rassenhass anreizend bzw. als Rassen diskriminierend anzusehen“ – die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ (BPjM) entschied, dass Bücher Rudolf Steiners rassistischen Inhalt haben.
Waldorfschule: Dr. Detlef Hardorp verkauft Rudolf Steiners Rassismus als Multikulti
Waldiwissenschaft: Lorenzo Ravagli an der Privatuniversität Witten/Herdecke – über die Umdeutung von Rudolf Steiners Rassismus in Humanismus
Kann Celia Schönstedt kein Französisch? Französisch und die Waldorfschule …– die Pressesprecherin beim „Bund der Freien Waldorfschulen“ wurde nach einer Stellungnahme zu Rudolf Steiners Frankophobie und Rassismus gefragt.