Aufstieg und Fall der Wilhelmstraße

titel-berlin.jpg

Berlin 1945, in der Diagonale die Wilhelmstraße / "Topographie des Terrors" / Alle Fotos © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Eine Sonderausstellung im Rahmen der „Topographie des Terrors“ veranschaulicht die baulich umgesetzte Machtergreifung der Nationalsozialisten nach 1933 im Ausbau der Wilhelmstraße mit den Gebäuden der NS-Machtzentrale - und was davon übrig geblieben ist.

Geht man durch europäische Regierungsviertel, sei es in London, Paris, Madrid, etc., so zeigen sich insgesamt geschlossene Ensembles von Regierungsgebäuden, Palais, Ministerien, die auch heute noch etwas von den vergangenen imperialen Bedeutungen vermitteln und politischen Nostalgikern auch die Möglichkeit bieten, ihre imperialen Träume von Großmacht zu träumen. In Berlin als Hauptstadt ist das heute nicht mehr der Fall. Das jetzige Regierungszentrum ist ein zusammenhangloses Durcheinander von verschiedensten Baustilen, vorwiegend Neubauten verschiedener Bauperioden, und immer noch unbebauten Brachflächen in bester Lage.

Zum Verständnis des Erfolgs des Nationalsozialismus in Deutschland gehört auch seine bauliche Inszenierung im bereits vor 1933 bestehenden Regierungsviertel in Berlin, das sich dort seit den Zeiten des Kaiserreichs entwickelt hatte. Das macht eine Sonderausstellung im Ausstellungsgebäude der „Topographie des Terrors“ anschaulich: „Die Wilhelmstraße 1933 - 1945. Aufstieg und Untergang des NS-Regierungsviertels“.

Die Nationalsozialisten prägten umgehend das Regierungsviertel „auf mehrfache Weise: durch die Ansiedlung neuer Behörden, die Umstrukturierung bestehender Behörden, umfangreiche Neu- und Umbauten und durch die Nutzung der Straße selbst als politische Bühne“, heißt es in der Ausstellungsbeschreibung. Die Wilhelmstraße war das bauliche Zentrum deutscher Politik, alle wesentlichen Ministerien und politischen Institutionen hatten an der Wilhelmstraße oder in den Seitenstraßen ihren Dienstsitz.

Beispielbild
Farbig markiert: die NS-Neubauten / Umbauten. Karte: © Topographie des Terrors
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zu  den bereits bestehenden Bauten auf der Westseite der Straße - (von Norden nach Süden) Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Haus des Reichspräsidenten (Präsidialkanzlei), Auswärtiges Amt, Reichsverkehrsministerium - wurden die Neue Reichskanzlei („Führerprinzip“), das Reichsluftfahrtministerium (Kriegsvorbereitungen) und in der früheren Prinz-Albrecht-Straße das SS-Hauptamt (Rassenpolitik und Holocaust) und die Gestapo (politischer Terror) platziert. Auf der Ostseite befanden sich das Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, das Reichsjustizministerium, die Reichsleitung der NSDAP und das Reichsfinanzministerium, die durch das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda ergänzt wurden. Man brauchte sozusagen zur Verständigung nur ein paar Schritte entlang der Straße oder auf die gegenüberlegende Straßenseite zu gehen.

Mit Ausnahme des ehemaligen Reichsluftfahrtministeriums (heute: Bundesfinanzministerium) hat keines der Gebäude die Zerstörungen des Krieges überstanden und ist komplett erhalten geblieben. Damit ist auch diese Machtkonzentration geographisch nicht mehr zu lokalisieren. Entsprechend wird in der Ausstellung diese vergangene Wilhelmstraße in ihrer historischen Dimension begehbar gemacht. Mit meterhohen Fotografien wird die Abfolge der Dienstsitze und Hausnummern nachgestellt. In den jeweiligen Fotografien befinden sich dann Türen, bei denen man darauf kommen muss, das man sie öffnen und in das Haus „hinein sehen“ kann, wobei deutlich wird, welch ‚brauner Geist‘ sich hinter wilhelminischen Fassaden etabliert hatte.

 

Die Ausstellung dokumentiert auch die Zerstörung der Gebäude. Dafür, wie es heute aussieht, braucht man nur die Ausstellung zu verlassen und auf die Straße zu gehen. Damit ist es eindeutig, diese Zeit und ihre historische Inszenierung ist endgültig vorbei.

Wer an aktueller Architektur und politischer Ordnung interessiert ist, dem sei als Beispiel das Areal am Platz der Republik empfohlen - Reichstagsgebäude (Bundestag und Fraktionen), Paul-Löbe-Haus (Abgeordnetenbüros) und Bundeskanzleramt -, um in diesem Dreiklang zu betrachten, wie sich eine deutsche „Kanzlerdemokratie“ in den Gebäuden der Stadtarchitektur darstellt.

C.F.

Voßstraße, 1939, mit (rechts) Neuer Reichskanzlei und (links) Rückseite des (vormals im jüdischen Besitz befindlichen) Kaufhauses Wertheim.

Voßstraße, 2012, (rechts) Wohnbebauung der 1980er Jahre durch die DDR.

Voßstraße, 2012, (links) Baustelle eines neuen Kaufhauses auf dem Areal des früheren "Wertheim" (im Hintergund die Gebäude des Potsdamer Platzes).

Wilhelmplatz, 1939, Massenkundgebung gegenüber der Neuen Reichskanzlei

Wilhelmplatz, 2012, (Südseite) Gebäude der Tschechischen Botschaft

Wilhelmstraße / Ecke Voßstraße, 2012, Brachfläche des ehemaligen Reichsverkehrsministeriums.

Wilhelmstraße, 2012, (Blick nach Norden), links: Bundesfinanzminsterium, rechts: Brachflächen.

Wilhelmstraße, 2012 (Blick nach Süden), rechts: Gelände des Reichsamtes SS und der Gestapo, heute bepflanzte Fläche als Teil der "Topographie des Terrors".

Niederkirchner Straße / Ecke Wilhelmstraße, 2012, Reste der Haftzellen in ehemaligen Kelleräumen des Reichsamtes der SS, heute Teil der "Topographie des Terrors", links (hinter dem Rest der Berliner Mauer) das heutige Bundesfinanzministerium.

_______________

Sonderausstellung im Gebäude der „Topographie des Terrors“: „Die Wilhelmstraße 1933–1945. Aufstieg und Untergang des NS-Regierungsviertels“, 19. Juni bis 25. November 2012. Niederkirchnerstraße 8 (Seitenstraße der Wilhelmstraße), Berlin-Kreuzberg. Täglich 10 bis 20 Uhr. Der Eintritt ist frei. Katalog 12 Euro.