Staatsanwälte müssen Weisungen befolgen
Von einem Verfassungsbruch Heilmanns, wie in den letzten Tagen bisweilen zu vernehmen war, kann freilich – trotz aller Kritik – so umstandslos keine Rede sein. Das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) regelt in seinen Paragraphen 146 und 147 eindeutig, dass Staatsanwälte Weisungen ihrer Vorgesetzten Folge zu leisten haben und dass das Recht zur Aufsicht und Leitung in einem Bundesland der Landesjustizverwaltung zusteht. Weisungen dürfen somit erteilt werden – auch dann, wenn damit verhindert wird, dass unabhängige Richter über eine Straftat entscheiden. Eine Unabhängigkeit des Staatsanwalts vor staatlichen Anordnungen zur Strafverfolgung existiert in Deutschland nicht. Zu Recht fordert etwa der Deutsche Richterbund (DRB) seit vielen Jahren die Abschaffung des Weisungsrechts der Justizminister und sieht aufgrund dieser Weisungsgebundenheit das Vertrauen der Bevölkerung in die Staatsanwaltschaft als beeinträchtigt an. Aufgrund der Zulässigkeit einer Weisung der Justizverwaltung an die Staatsanwaltschaft, selbst im konkreten Einzelfall ein Verfahren einzustellen und keine Anklage zum Gericht zu erheben, ist zugleich auch eine Einflussnahme auf die unabhängige Justiz gegeben, deren Unabhängig jedoch verfassungsmäßig garantiert ist.
„Der 1. Kleinen Strafkammer (des Landgerichts Köln) sei Dank.“ schrieb Ende August Winfried Hassemer in einem Beitrag für die Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP); er bezog dies auf deren klare Analyse der Strafbarkeit von Knabenbeschneidungen. Darüber hinaus zeigen sich jetzt schon weitergehende Auswirkungen: eine Kinderrechtsdebatte ist entbrannt. Und vielleicht wird sich eines Tages zeigen, dass dieses Kölner Urteil noch mehr bewirkt haben wird, vielleicht sogar die Abschaffung der Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte von den Landesjustizverwaltungen und die Herstellung einer – politischen – Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften.
Walter Otte
Nachtrag 1:
Eine Anfrage des HPD bei der Pressestelle des Generalstaatsanwaltschaft bezüglich des in der Staatsanwaltschaft erstellten und der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemachten Eigengutachtens (nach den politischen Vorgaben) ist unbeantwortet geblieben. Offenbar hält man Geheimhaltung für erforderlich. Vielleicht wird ein Proteststurm gefürchtet, falls das Eigengutachten veröffentlicht und dessen Inhalt bekannt würde? Fragen über Fragen tun sich auf.
Zum Funktionieren des Rechtsstaats gehört nicht nur auch sondern vor allem Transparenz des Handelns staatlicher Organe – zumal in dieser brisanten Angelegenheit. Gibt es etwas zu verbergen?
Nachtrag 2:
Die Groteske geht weiter
Nach der maßlosen Kritik der Religionsvertreter an Heilmanns Vorgehen, will sich der Justizsenator erneut mit ihnen treffen. Er bedauert „Missverständnisse“, sagt aber nicht, welche es gegeben haben soll. Ob es „Übermittlungsfehler“ auf dem Weg von der Exekutive zur Judikative gegeben hat, wissen wir nicht; eben so wenig, ob die Staatsanwälte bei der Abfassung des Eigengutachtens doch nicht lediglich nur die politische Vorgabe umgesetzt, sondern eigenmächtig Standards, die für jeden medizinischen Eingriff zwingend zu beachten sind, mit hineingeschrieben haben. Will der Senator jetzt die oben erwähnten drei Kriterien für eine Straflosstellung beseitigen und ein entsprechend umgeschriebenes Gutachten fertigen lassen?
Es ist höchste Zeit, die Politik der Gespräche im „Hinterzimmer“ zu beenden und alles, was abgesprochen wurde, worin die angeblichen „Missverständnisse“ liegen sollen ebenso in die Öffentlichkeit zu bringen wie das Eigengutachten der Staatsanwaltschaft.
Senator Heilmann darf nicht länger Geheimgespräche führen; dies würde das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat weiter erschüttern.
Und es stellt sich die Frage: Ist Herr Heilmann überhaupt willens oder auch nur fähig, in dieser brisanten Angelegenheit angemessen vorzugehen?
W.O.