Gehorsam, Unterordnung, elitäres Denken

Und was spricht gegen die sonstigen alternativmedizinischen Angebote anthroposophisch orientierter Firmen?

Irene Wagner: Wie man im Internet sehen kann, beruft sich die Firma Weleda ganz auf Rudolf Steiner. Sie fühlt sich sogar bemüßigt, die drei bzw. vier Leiber oder Wesensglieder, von denen Steiner ständig redet, zu erläutern, da diese ja die Grundlage für all ihre Therapieangebote sind.

Aus anthroposophischer Sicht stehen Krankheiten im Zusammenhang mit dem Karma. Sie sind also entweder eine Chance zur Höherentwicklung oder die Folge von Fehlverhalten in diesem oder in vorherigen Erdenleben. Geradezu abenteuerlich ist die anthroposophische Auffassung über Masern. Von dieser hochansteckenden, lebensbedrohlichen Kinderkrankheit versprechen sich viele Anthros einen Entwicklungsschub, weshalb sie ihre Kinder nicht gegen diese Krankheit impfen lassen und dadurch dazu beitragen, dass in anthroposophischen Kindergärten und in Waldorfschulen immer wieder mal Masernepidemien auftreten. In diesem Punkt kann man nicht mehr von harmloser Spinnerei reden, es handelt sich um Fahrlässigkeit.

Was Steiner in Zusammenarbeit mit Ita Wegmann als Grundlagen für die anthroposophische Heilkunst zusammengestellt hat, gilt anscheinend heute noch. Ich habe es an zwei Beispielen überprüft. Das erste ist „Scleron“, das aus Blei, Honig und Zucker besteht. Wie schon Laien wissen, ist Blei hochgiftig. Die Firma Weleda bietet das Mittel gegen Sklerose an, wie Steiner. Da das Mittel zusätzlich Weizenstärke und Lactose enthält, wird Patienten, die gegenüber diesen beiden Stoffen überempfindlich sind, von der Einnahme abgeraten. Eine Warnung wegen des Bleis sucht man vergebens.

Das zweite Mittel ist „Biodoron“ gegen Migräne. Es besteht aus Eisen, Schwefel und Quarz. Weleda weist darauf hin, dass das Mittel rezeptfrei in Apotheken erhältlich sei.

Wird sowas eigentlich von den gesetzlichen Krankenkassen gezahlt?

Irene Wagner: Wenn die anthroposophisch orientierte Medizin sich nach wie vor auf Steiner beruft, dann heißt das ganz einfach, dass nicht die normalen wissenschaftlichen Kriterien zur Anwendung kommen. Deshalb haben die Anthroposophen eine Kampagne gestartet und mit Unterstützung anderer alternativer Anbieter eine Ausnahmeregelung durchgesetzt. Das heißt, die alternativen Medikamente müssen nicht eine Testreihe wie andere Medikamente durchlaufen und auf ihren therapeutischen Wert hin überprüft werden. Die Beweislast wurde umgekehrt. Die Zulassungsstelle müsste den Beweis erbringen, dass ein bestimmtes Medikament nicht den angegebenen therapeutischen Nutzen hat. Das ist jedoch nicht möglich, weil auch Placebos einen gewissen Erfolg bringen können. Also wird der Verbraucher nicht vor fragwürdigen Arzneimitteln geschützt, was eigentlich der Sinn von Prüfverfahren ist.

Besonders perfide ist der Umgang mit Krebspatienten, denen Mistelpräparate verordnet werden, weil Steiner davon ausging, dass Krebs den Menschen befällt wie die Schmarotzerpflanze Mistel den Wirtsbaum. Dieses Analogiedenken entspricht nicht wissenschaftlichen Kriterien und braucht es auch nicht wegen der Ausnahmeregelung.

Auch die gesetzlichen Krankenkassen müssen die Behandlung bezahlen. Ein Gericht hat entschieden, dass aufgrund der Häufigkeit der Verordnung das Medikament bezahlt werden muss. Außerdem hat es bestätigt, dass es nicht nach dem normalen Standard beurteilt werden darf.

Ihre landwirtschaftliche Methode nennen die Anthroposophen „biologisch-dynamisch“. Gibt es in der Produktionsweise wesentliche Unterschiede zu dem Gemüse, das in normalen Bioläden oder Reformhäusern zu kaufen ist?

Irene Wagner: Die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise unterscheidet sich von anderen ökologisch orientierten Betrieben in der Hauptsache durch den Hokuspokus, der dort betrieben wird bezüglich der Düngung und der Schädlingsbekämpfung. Was die Qualität der Produkte betrifft, so kann man feststellen, dass es weder im Nährwert noch im Geschmack wesentliche Unterschiede bei den verschiedenen Produktionsweisen gibt. Der einzige Vorteil der Bio-Produkte ist, dass sie im Allgemeinen weniger Rückstände von Pestiziden enthalten. Im Übrigen bieten Reformhäuser auch konventionell erzeugte Produkte an, sofern sie schadstofffrei sind.

Lässt sich eigentlich sagen, wer die vorrangige Klientel dieser Praxisfelder ist?

Irene Wagner: Mir ist keine spezifische Untersuchung dazu bekannt. Ich kann nur aus dem Material, das mir vorlag, eine gewisse Tendenz herauslesen. Da alle Bereiche mit höheren Kosten, direkt oder indirekt, verbunden sind, können sich eher finanziell besser Gestellte die Teilhabe daran leisten.

Dennoch muss man etwas differenzieren. Bezüglich der Waldorfschule sind es nicht ausschließlich gut Betuchte, das wäre schon vom Gesetz her nicht erlaubt. Aber überwiegend sind es laut einer Waldorf-Studie dennoch eher Leute aus der Mittel- und Oberschicht, die ihre Kinder dort hinschicken. Häufig sind es Akademiker, die ein gewisses Bildungsbewusstsein haben, aber aufgrund ihrer beruflichen Auslastung sich nicht ausreichend um den Nachwuchs kümmern können. Zudem wünschen sie für sich und ihre Kinder eine stressfreie Schulzeit, die ihnen die Waldorfschule verheißt. Nicht wenige alleinerziehende Mütter erhoffen sich von der Waldorfschule eine Unterstützung in der Erziehungsarbeit, die sich in kompletten Familien auf beide Elternteile verteilt.

Bezüglich der Ökoprodukte ist das Konsumverhalten sowohl vom Geldbeutel als auch vom Bildungsstand abhängig. Hier sind es häufig Leute aus der Alternativszene, die meinen, sich damit gesünder zu ernähren. Notfalls schränken sie sich in anderen Bereichen ein. Für Hartz-IV- Empfänger dürfte es indiskutabel sein.

Im medizinischen Bereich sind es ebenfalls die alternativ Ausgerichteten oder solche, die mit der wissenschaftlichen Medizin, die gerne als „Schulmedizin“ negativ apostrophiert wird, nicht den gewünschten Erfolg hatten.

Am Ende Ihres Buches kommen Sie zu dem Fazit, dass die Anthroposophie eine Gefahr für die Demokratie darstellt. Nun sehe auch ich einige antidemokratische Tendenzen bei den Anthroposophen, vor allem was ihren Umgang mit Kritik angeht, aber hieße es nicht, ihre Möglichkeiten überschätzen, wenn sie als Bedrohung gesehen werden?

Irene Wagner: Dass Anthroposophen dazu neigen, aufgrund ihrer Unfähigkeit, mit Kritik angemessen umzugehen, die Meinungsfreiheit einschränken zu lassen, z.B. durch entsprechende Gerichtsurteile, ist die eine Sache. Eine andere Sache ist ihr zunehmender Einfluss auf die Politik, sogar auf die Europapolitik. Auch versuchen sie, soziale Bewegungen für ihre Zwecke zu nutzen und treiben die Privatisierung der gesundheitlichen Versorgung voran. Aber das Entscheidende ist das Bildungswesen, auf das sie schon sehr viel Einfluss genommen haben. Da in ihren Einrichtungen aber ein elitäres Denken vorherrscht und nicht zur Demokratiefähigkeit erzogen wird, sehe ich darin eine reale Gefahr, zumal sie enge Beziehungen zum Geldadel und zur Politik haben und häufig im Verborgenen agieren.

Ich danke für das Gespräch.

Die Fragen stellte Martin Bauer.

 

Irene Wagner: Rudolf Steiners langer Schatten. Die okkulten Hintergründe von Waldorf & Co. Aschaffenburg: Alibri 2012. 405 Seiten, kartoniert, Euro 24.-, ISBN 978-3-86569-069-2

Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.