Das Elend des derzeitigen Liberalismus

Kirchenpapier von 1974

Die „Entstehung und Wirkung des Kirchenpapiers von 1974“, für die aktuelle Diskussion naheliegend, wurde dann von der Kirchenhistorikerin und Pfarrerin zur Anstellung, Dr. Tabea Esch, vorgetragen. In einer Präambel und 13 Thesen wurde (Anmerkung: in der Tradition Friedrich Naumanns) die Trennung von Staat und Kirche gefordert.

In diesem so genannten Kirchenpapier „Freie Kirche im Freien Staat“ (Beschlossen auf dem Bundesparteitag in Hamburg vom 30. September - 2. Oktober 1974) waren fünf Thesen besonders umstritten, die These 2. („Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist für religiös und weltanschaulich gebundene Gruppen wie die Kirchen nicht geeignet, da diese ihre Aufgaben nicht aus staatlichem Auftrag herleiten….“), die These 5. („Die bisherige Kirchensteuer ist durch ein kircheneigenes Beitragssystem zu ersetzen…“) die Nummer 8. („Die auf Gesetz, Vertrag oder Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Kirchen sind abzulösen. Soweit Kirchen und Religionsgemeinschaften gegenüber anderen gemeinnützigen Institutionen steuer-und gebührenrechtliche Sondervorteile besitzen, sind diese aufzuheben.“), 9. („Bildung, Krankenpflege und soziale Versorgung sind öffentliche Aufgaben. Das Recht der freien Träger, in diesen Bereichen tätig zu sein, muß gewahrt werden -allerdings ohne Vorrangstellung. (….) Soweit Einrichtungen der freien Träger öffentlich gefördert werden, müssen sie allgemein zugänglich sein; Andersdenkende dürfen keinerlei Benachteiligungen oder Zwängen ausgesetzt sein.“) sowie die These 10 („Die religiös und weltanschaulich neutrale Gemeinschaftsschule soll im gesamten Bundesgebiet die staatliche Regelschule sein. Der Religionsunterricht ist nach der Verfassungslage ordentliches Lehrfach. Alternativ wird ein Religionskundeunterricht angeboten.“).

Diesem Papier, so die Referentin, schlug Ablehnung entgegen, auch parteiintern. Es erfolgten auch keinerlei politische Umsetzungen oder daraus abgeleitete Gesetzesinitiativen. Es muss, so die Referentin, als gescheitert betrachtet werden. Allerdings habe dieses Papier („Neuer Kulturkampf!“) der FDP den Ruf einer kirchenkritischen Partei eingebracht.

Bevor jedoch jemand auf die Idee kommen konnte, zu fragen, ob denn die FDP damals von Sinnen gewesen sei, wusste die Referentin gleich die Schuldigen zu benennen: es war von außen an die Partei herangetragen worden, von den Jungdemokarten. (Eine Darstellung, der der anwesende Wolfgang Lüder, FDP und Bürgermeister a.D. in Berlin, anschließend eindeutig widersprach, denn die Jungdemokraten seien integraler Bestandteil der Partei gewesen.) In ihrem Papier „Liberalismus und Christentum“ (1973) hatten sie 17 Forderungen aufgestellt und eine Präambel, in der es heißt: „Zwischen Liberalismus und Religion besteht ein Widerspruch.“ Diese antikirchliche und antireligiöse Ansichten seien als Ausdruck des Zeitgeistes und „Ruck nach links“ der Parteijugend zu ideologiekritischen Forderungen zu verstehen. Religion und Kirchen wurden als Ausdruck der Fremdbestimmung angesehen.

Wieso das? Die Jungdemokarten hatten mit der kirchenkritischen Humanistischen Union zusammengearbeitet, denen es allerdings eher um die Begrenzung des kirchlichen Einflusses ging und nicht um die Ideologiekritik, die eher aus zeitgenössischen Quellen wie den Schriften Joachim Kahls gespeist wurde. Es drohte die Annahme des Papiers durch den Landesparteitag NRW.

Die Reaktion der FDP-Parteispitze waren „Unangemessen!“ und „Unzeitgemäß!“. Der FDP-Generalsekretär sagte, diese Thesen seien „uralt“ und kritisierten eine Kirche, die es nicht mehr gibt. Entsprechend gab es insgesamt zehn „Kirchenkommissionen“ der FDP, die sich u.a. aus Jungdemokraten und Kirchenvertretern zusammensetzten und Schritt für Schritt die ursprüngliche Thesen umformulierten. Entfernt wurde u.a. die Forderung nach Abschaffung des Religionsunterrichts und der Theologischen Fakultäten. Die Präambel des FDP-Papers „Freie Kirche im Freien Staat“ wurde schließlich von einem katholischen Moraltheologen formuliert. Dennoch ließ die FDP das Papier in der Schublade der unbequemen Parteitagsbeschlüsse verschwinden, obwohl seine Wirkung als Kirchenkritik erhalten blieb.

„Geschichte ist immer das, was man über sie erzählt“

Die Zusammensetzung des abschließenden Podiums war eigentlich vielversprechend: Dr. Tabea Esch (die zur Vertreterin der Evangelischen Kirche mutierte), Dr. Stefan Ruppert (MdB, Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der FDP-Bundestagsfraktion), Dr. Karl Jüsten (Katholisches Büro des Kommissariats der deutschen Bischöfe), Wolfgang Lüder (FDP und ehemaliger Bürgermeister von Berlin), sowie Dr. Horst Groschopp (Direktor der Humanistischen Akademie Deutschland).

Gérard Bökenkamp vom Liberalen Institut leitete die Abfrage der auf dem Podium Sitzenden, wobei schon die Positionierung der beiden Humanisten - Lüder und Groschopp saßen rechts und links außen - und der Kirchenvertreter -beide saßen innen neben dem zentralen Fragesteller -, die inhaltliche Positionierung verdeutlichte. Diskussion? Von wegen. Einzelne, relativ unverbundene Antworten auf Fragen. Auf die Frage an die evangelische Vertreterin, wie sie das Verhältnis Staat und Kirche in Deutschland betrachte, antworte sie „Gut“ und der Vertreter der katholischen Kirche, Prälat Jüsten, meinte zur Forderung der Trennung von Staat und Kirche: „Längst realisiert“.

Die Versuche von Wolfgang Lüder auf die immer noch fehlende Trennung von Staat und Kirche zu verweisen, auf die immer noch gezahlten abzulösenden Staatsleistungen, u.a.m. fanden kein allzu großes Interesse.

Und Horst Groschopp, der zu den Referaten ironisch anmerkend meinte: „Geschichte  ist immer das, was man über sie erzählt“, brachte es mit einer Anmerkung auf den Punkt: „Als der Humanistische Verband 1997 seine Humanistische Akademie gründete und wir bei der Senatsverwaltung um vergleichbare finanzielle Beihilfen wie für die katholische und evangelische Akademie anfragten, bekamen wir als Antwort: Da kommen sie zweihundert Jahre zu spät. Das wurde bereits in der Nachfolge 1803 entschieden.“ Und: Das politische Problem, das immer relevant war und ist, lautet: „Wie gehe ich mit den Konfessionslosen um?“

Beispielbild
Podium: (v.l.n.r.) Dr. Horst Groschopp, Dr. Stefan Ruppert, Dr. Tabea Esch, Dr. Gérard Bökenkamp, Dr. Karl Jüsten, Wolfgang Lüder

 

 

 

 

 

 

 

Diese Tagung hat wieder einmal gezeigt, dass in der FDP - und in der Friedrich-Naumann-Stiftung -, seit einiger Zeit Politiker das Sagen haben, die das liberale Erbe von Friedrich Naumann und Theodor Heuß entweder nicht mehr kennen oder es missachten und die anscheinend keine Vorstellung mehr davon haben, was eine „freie Kirche in einem freien Staat“ für die Religion bedeutet, sondern die einem verkapptem Staatskirchentum anhängen. Es sind offensichtlich Politiker, Kirchenfunktionäre und Nachwuchskarrieristen denen der Ausruf Friedrich Naumanns in der Nationalversammlung 1918 völlig fremd geworden ist: „Was wir aber als Mitglieder der Kirche nicht mehr haben wollen, ist die Bezahlung der kirchlichen Oberbeamten durch den Staat. Die Kirche muß sagen können: Wir wollen uns unsere Konsistorialräte selbst bezahlen.“

Dieser Stolz einer selbstbestimmten Kirche und einer Partei, die früher das Prinzip der Selbstbestimmung des Einzelnen vertrat und dadurch ein klares, wählbares  Profil hatte, ist mittlerweile, an den ‚staatlichen Fleischtöpfen‘ sitzend, anscheinend verloren gegangen.

Carsten Frerk.