Kirche als Arbeitgeber

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Podium: Georg Güttner-Meyer, Moderatorin Gudrun Müller, Ingrid Matthäus-Maier / Fotos bo-alternativ.de

BOCHUM. (hpd/rir) „Katholisch operieren – evangelisch Fenster putzen“ – unter diesem Motto fand am vergangenen Freitag zum ersten Mal eine gemeinsame Veranstaltung von ver.di und Religionsfrei im Revier statt. Trotz der im Vorfeld starken Bedenken seitens ver.di, sich auf eine Zusammenarbeit mit "Atheisten" einzulassen, zeichnete sich für die bevorstehende Veranstaltung ein erfolgreicher Verlauf ab.

Der Vortragsraum im ver.di-Gebäude in Bochum war gut gefüllt. Interessierte waren gekommen, um den Vorträgen von Ingrid Matthäus-Maier als Sprecherin der GerDiA-Kampagne und ver.di-Gewerkschaftssekretär Georg Güttner-Meyer zuzuhören. Die Organisationen eint der Wunsch, nicht länger hinzunehmen, dass Arbeitnehmer in Einrichtungen der beiden großen Kirchen in Deutschland Einschränkungen des Arbeitsrechts und ihrer Grundrechte ausgesetzt sind.

Ingrid Matthäus-Maier referierte als erste. Rund 1,3 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland in kirchlichen Einrichtungen, bei Caritas und Diakonie. Für sie gilt das kirchliche Arbeitsrecht, der sogenannte dritte Weg. Das bedeutet, dass im Unterschied zum bundesweit üblichen zweiten Weg, in dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam über die Arbeitsbedingungen verhandeln und in dem auch Streiks als Mittel im Arbeitskampf eingesetzt werden dürfen, die Rechte der Arbeitnehmer zugunsten des Einflusses der Kirchen beschnitten werden. Die Kirchen nehmen sich das Recht heraus, eigene Bedingungen aufzustellen, teils geringere Löhne zu zahlen und Einfluss auf das Privatleben ihrer aktuellen oder zukünftigen Mitarbeitenden auszuüben.

Konfessionsfreie oder andersgläubige Menschen bekommen in Einrichtungen beider Kirchen keinen Job, wie eine zu Beginn der Veranstaltung gezeigte Panorama-Reportage anhand mehrerer Beispiele aufzeigt. In dieser Sendung kommt eine besondere Perfidie dadurch zum Ausdruck, dass eine andersgläubige Frau zunächst als Ein-Euro-Jobberin in einer diakonischen Einrichtung putzen darf. Als es aber um eine Festanstellung geht, heißt es, das sei nicht möglich, weil alle Mitarbeiter die Werte und Ziele des Unternehmens zu teilen hätten.

Brisant wird es auch, wenn sich im Dienst der Kirchen Arbeitende im privaten Leben anders verhalten, als es die Kirchen gerne sähen. Wenn ein Arbeitnehmer der Diakonie sein grundgesetzlich verankertes Recht auf Religionsfreiheit geltend macht und aus der evangelischen Kirche austritt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er seinen Arbeitsplatz verliert.

Die katholische Kirche geht bei der Kontrolle der bei ihr angestellten Menschen noch darüber hinaus. So führen dort beispielsweise das Bekennen zur eigenen Homosexualität oder das Zusammenziehen mit einem neuen Partner nach gescheiterter Ehe zur Kündigung.

In der Veranstaltung wurde aufgezeigt, dass die arbeitsbezogenen Sonderrechte der Kirchen auf einer Fehlinterpretation des Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137, Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung beruhen. Die Kirchen leiten aus diesem Artikel ein Selbstbestimmungsrecht  ab, was aber nur ein Selbstverwaltungs- und Selbstordnungsrecht ist, das sich überdies an die Schranken der für alle geltenden Gesetze zu halten hat.

Ingrid Matthäus-Maier wies in ihrem Vortrag auf einen besonderen Widerspruch zwischen dem Machtanspruch der Kirchen und deren geringen finanziellen Investitionen in die von ihnen betriebenen Einrichtungen hin: Konfessionelle Kindergärten werden nur zu fünf bis zehn Prozent von den Kirchen finanziert. Zum laufenden Betrieb von Seniorenheimen und Krankenhäusern steuern die Kirchen überhaupt kein eigenes Geld bei. Trotzdem beharren sie auf Sonderrechten, die ihnen bislang auch gewährt werden.

Angesichts der geringen finanziellen Beteiligung der Kirchen ist die Diskriminierung von Mitarbeitenden und potenziellen Nutzern, wie beispielsweise konfessionslosen Kindern, denen die Nutzung der kirchlich getragenen Einrichtungen teilweise verwehrt wird, erst recht nicht hinzunehmen.

Georg Güttner-Meyer referierte zu den aktuellen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zum Streikrecht bei Kirche, Caritas und Diakonie. Er verdeutlichte, dass die Frage, wer diese Prozesse gewonnen habe, derzeit nicht klar zu beantworten sei. Gewonnen sei jedenfalls Zeit, um mit dem Thema an die Öffentlichkeit zu gehen, bevor die Kirchen sich so anpassten, dass für sie wieder alles stimmig ist und sie im Endeffekt nichts wirklich zu verändern brauchen.

Für eine endgültige Bewertung muss die schriftliche Urteilsbegründung abgewartet werden. Derweil ist es wichtig, Arbeitnehmer in christlichen Einrichtungen für das Thema zu sensibilisieren und sie ggf. bei Protestaktionen zu unterstützen.

Im Anschluss an die Vorträge gab es die Möglichkeit zu Fragen und Wortmeldungen, sodass sich eine lebhafte Diskussion entspann.

Es wäre wünschenswert, wenn diese Veranstaltung der Auftakt zu weiteren gemeinsamen Veranstaltungen von RiR und ver.di gewesen wäre.

  • 33 % der Schulen in NRW sind Konfessionsschulen, in denen Anders- und Nichtgläubige an entsprechenden Kulthandlungen teilnehmen sollen.
  • 31 Millionen Menschen in Deutschland sind konfessionsfrei – wäre diese Gruppe eine Konfession, wäre sie die größte bundesweit.
  • Trennung von Kirche und Staat ist in Deutschland nicht voll durchgesetzt.
  • Bischöfe werden aus Steuergeldern bezahlt.
  • Als Grund dient Entschädigung für Enteignung im Jahr 1803! (keine Rücksicht darauf, wie die Güter in die Hand der Kirche gekommen sind).

C.O.