In etwa der Hälfte der Zoos sind die Haltungsbedingungen als mangelhaft zu bewerten, sie weisen allerdings Verbesserungspotential hin zu ausreichender Haltung auf. Die Haltungsbedingungen im verbleibenden Drittel der Zoos – sprich: in 13 Einrichtungen - sind gänzlich ungenügend, um nicht zu sagen katastrophal, Verbesserungspotential ist nicht ersichtlich. Die etwa 120 in diesen Zoos gehaltenen Großen Menschenaffen weisen durchwegs Symptome schwerer psychischer Störungen auf und müssten umgehend an einen angemesseneren Ort verbracht werden.
Da eine Rückverbringung von in Zoos gehaltenen Menschenaffen in ihre natürlichen Heimaten gänzlich unmöglich ist - ungeachtet der Frage, ob es diese Heimaten überhaupt noch gibt -, werden sie den Rest ihres Lebens in menschlicher Obhut zubringen müssen: ein Leben in Freiheit wird es für sie realistischerweise nie mehr geben. Sie bedürfen insofern eines gesicherten Schutzraumes. Die Erkämpfung von Grundrechten für Menschenaffen hilft gar nichts, wenn die Tiere zwar aus Pharmalaboren, Zirkussen oder schlechten Zoos herausgeklagt oder beschlagnahmt werden könnten, wenn es aber keinen Ort gibt, an dem sie anständig untergebracht werden können.
In den USA gibt es mehrere solcher Sanctuaries, in Florida etwa „Save The Chimps“ für ausrangierte Schimpansen der NASA oder in Louisiana „ChimpHaven“, ein gesichertes Schutzgebiet für Menschenaffen aus Pharmalaboren. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe weiterer vergleichbarer Einrichtungen in Nord- und Südamerika. Die einzige Auffangstelle Europas für Menschenaffen und andere Exoten, die „Stichting AAP“ in Holland, hat nur begrenzte Aufnahmekapazität, so dass die meisten Affen, die aus schlechter Haltung heraus beschlagnahmt, herausgekauft oder freiwillig abgegeben und nach „Stichting AAP“ verbracht wurden, lediglich in Zoos mit relativ besserer Haltung umverteilt werden,. „Monkey World“ in Dorset, Südengland, wo Zirkus- oder Laboraffen aufgenommen werden, ist nichts anderes als eine Art „Tierschutzzoo“, was in ähnlicher Form auch für das „Affenrefugium“ in Gänserndorf bei Wien gilt, wo HIV- und Hepatitis-infizierte Schimpansen aus einem aufgelassenen Pharmalabor leben: das „Affenrefugium“ ist längst Teil des von Gut Aiderbichl hochprofessionell betriebenen Tierschutztourismus geworden.
Die Vision des Great Ape Project besteht in der Schaffung eines Schutzraumes für Große Menschenaffen aus europäischen Zoos, Zirkussen, Pharmabetrieben und privater Haltung nach dem Vorbild etwa von „ChimpHaven“.Solcher Schutzraum müsste sinnfälligerweise im Mittelmeerraum angesiedelt sein (ihn hierzulande einzurichten wäre allein aus klimatischen Gründen unsinnig, da die Affen extrem energie- und damit kostenintensive Warmhäuser bräuchten): eine Insel in Kroatien oder Griechenland wäre optimal, da könnten sie das ganze Jahr relativ kostengünstig und weitgehend selbstbestimmt im Freien leben.
Bislang ist solche Vision nichts als Traumgebilde. Allerdings haben auch „ChimpHaven“ und andere Sanctuaries sich aus solchen Träumen heraus entwickelt. Die Idee eines Schutzgebietes für Große Menschenaffen, die unter unwürdigen Bedingungen in europäischen Zoos, Zirkussen und Pharmalaboren zu leben genötigt sind, könnte insofern durchaus Realität werden.
Die Forderung nach einer elementarer Gleichstellung der Menschenaffen setzt einen Entwicklungsverlauf fort, der allgemein in der Menschheitsgeschichte erkennbar ist: Anfangs bezogen sich ethische Empfindungen fast ausschließlich auf die eigene Sippe, danach auf gesellschaftliche Teilgruppen, später auf die Mitglieder einer Gesellschaft, schließlich (mit der UN-Menschenrechtserklärung) auf alle Menschen. Warum sollten wir hier haltmachen und die Interessen leidens- und freudefähiger Primaten ignorieren, bloß weil sie keine Menschen sind? Der historische Moment ist gekommen, um nach Nationalismus, Rassismus und Sexismus auch die Schranke des „Speziesismus“ zu überwinden, der die Diskriminierung von Lebewesen aufgrund ihrer Artzugehörigkeit rechtfertigt.
Zur insofern viel und kontrovers diskutierten Frage, was den Einsatz gerade für Menschenaffen rechtfertigt, durch deren allfälligen Einbezug in die Rechtsgemeinschaft der Menschen sich nur die Grenzlinie verschöbe und nun Menschen und Menschenaffen auf der einen von allen anderen Tieren auf der anderen Seite trennte, woraus letztere -Elefanten, Delphine, Kühe, Schweine, Hühner etc. - keinerlei Nutzen bezögen, ist in aller Pragmatik zu sagen: irgendwo muß man anfangen. Zudem - und das ist das Entscheidende - stellen Menschenaffen den Dreh- und Angelpunkt des Verhältnisses Mensch-Natur dar, sie definieren wie nichts und niemand sonst die sakrosankte Grenzlinie zwischen Mensch und Tier: sind sie festgeschrieben „auf der anderen Seite“, sind das alle anderen Tiere mit ihnen. Würde die Grenze durchlässig, könnte das eine Art „Türöffner“ sein, der letztlich allen Tieren –den menschlichen wie den nicht-menschlichen - zugute käme. Im besten Fall könnte es zu einem radikalen Wandel des gesellschaftlichen Konsenses über das bisherige Verhältnis Mensch-Tier.“
Der Jurist und Tierrechtler Eisenhart von Loeper (Menschen für Tierrechte) unterstrich, das Great Ape Project sei ein "hervorragendes Beispiel wissenschaftlichen Pionierdenkens. Es wird den Menschenaffen gerecht, weil ihr wissenschaftlich erhärtetes Selbstbewusstsein und die Fähigkeit, intelligent und altruistisch zu handeln und in die Zukunft zu denken, also die hohe Bewusstseinsfähigkeit den Rechts- und Personenstatus begründet. Und es wird der auf die außermenschliche Tierwelt übertragenen Gleichheitsidee gerecht Gleiches gleich und Verschiedenes verschieden zu behandeln. Da die Menschenaffen elementar gleiche persönliche und soziale Bedürfnisse nach Freiheit, Leben und sozialer Daseinsgestaltung, frei von Tierversuchen, schwerem Leid, Tod und Folter wie Menschen haben, steht es dem Menschen gut an, treuhänderisch für deren gleiches Recht zu sorgen."
Der Philosoph Dieter Birnbacher (Giordano Bruno-Stiftung) erinnerte daran, dass es Bestrebungen, Tieren bestimmte Rechte zuzugestehen, bereits seit Jahrhunderten gebe. Mit Blick auf die Großen Menschenaffen, die über weitergehende Fähigkeiten verfügten als andere Tiere, sei die Zuerkennung von Grundrechten, wie das Great Ape Project sie fordere, unverzichtbar. (Aufgrund des dichtgedrängten Zeitplanes der Veranstaltung konnten interessante rechtsphilosophische Anmerkungen des Juristen Christian Ströbele [MdB Grüne] nicht weiter diskutiert werden.)
Christophe Boesch, Primatologe am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig (das mit dem Zoo Leipzig affiliiert ist) wies darauf hin, dass es in der Bewertung der genetischen Ähnlichkeit zwischen Menschenaffen und Menschen in der Fachwissenschaft ebensowenig Konsens gebe wie in der Bewertung der kognitiven und sonstigen Fähigkeiten der Menschenaffen. Er sprach sich für einen verbesserten Schutz der natürlichen Lebensräume der Menschenaffen aus und regte insofern die Schaffung eines Great Ape Conservation Fund nach US-Vorbild an. Die Problematik in Zoos gehaltener Menschenaffen relativierte er mit Verweis darauf, Zoos böten ein wertvolles Genreservoire zur Belebung freilebender Populationen.
Die Wildtierbiologin Sandra Altherr (Pro Wildlife) widersprach Boesch mit Hinweis darauf, dass es sich bei den in Zoos gehaltenen bzw. "nachgezüchteten" Menschenaffen in aller Regel um genetische Hybride handle, die zur Arterhaltung nichts beitrügen. Auch Tierrechtlerin Laura Zimprich (Animal Public) wandte sich gegen das Boeschsche Argument, Zoos stellten eine Art genetischer "Arche Noah" dar. Mit Hinweis auf die katastrophale Haltung Großer Menschenaffen beispielsweise in den Zoos von Duisburg, Magdeburg oder Wuppertal stellte sie die Notwendigkeit heraus, den Menschenaffen bestimmte Grundrechte zuzugestehen, die eine rechtliche Handhabe darstellten, wirksam gegen derartige Missstände vorzugehen. Das gegenwärtige Tierschutzrecht reiche nicht einmal hin, entwürdigendste Zurschaustellung von Schimpansen in Zirkussen und Freizeitparks wie etwa dem "Schwabenpark" bei Stuttgart zu unterbinden.
Sandra Altherr und Julia Cissewski (Orang Utans in Not) beschrieben die rapide fortschreitende Zerstörung der natürlichen Heimaten der Großen Menschenaffen in Zentralafrika und Indonesien und zeigten die Notwendigkeiten der Entwicklungszusammenarbeit auf politischer Ebene auf. Sandra Altherr sprach sich für die Beibehaltung des entsprechenden Bundesministeriums aus, das, nach der nächsten Wahl möglicherweise grün besetzt, sinnvolle Arbeit leisten könne.
Ob und inwieweit das Expertengespräch einen Impuls in die Fraktion der Grünen hineinzutragen vermag zu verstärkter Auseinandersetzung mit der Forderung nach Grundrechten für Menschenaffen, wird sich zeigen. Der Umstand, dass das Gespräch überhaupt stattfand, gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus.
Chris Snowflake