Allan Karlsson klettert aus dem Fenster

(hpd) Was war das denn? Was las ich denn da? Einen Krimi? Einen Schelmenroman? Oder gar ein belletristisches Geschichtsbuch? Von allem etwas, doch nichts von all dem. Mir fällt wirklich keine Entsprechnung zu diesem erstaunlich amüsanten Buch ein. Einzig der Film "Forrest Gump" kam mir in den Kopf. Denn auch dort trifft der Hauptheld auf historische Persönlichkeiten und auf Orte, an denen Geschichte geschrieben wurde.

Etwas Ähnliches geschieht auch mit der Hauptfigur in diesem Buch. Der Hundertjährige, der gleich im zweiten Absatz des Buches aus dem Fenster klettert und in Latschen die Stiefmütterchenrabatten zertrampelt, heißt Allan Karlsson.

Die sich daraus ergebenen Geschichten umfassen ein ganzes Jahrhundert Geschichte und sind unglaublich gut zu lesen. Oft grinste ich beim Lesen in mich hinein, wenn dem Autoren wieder einmal eine Formulierung oder eine überraschende Wende gelungen ist. Schwarzer Humor in kleinen Dosen ist im gesamten Buch verstreut. Ein Satz wie: "Als Julius fünfundzwanzig war, starb erst seine Mutter an Krebs, und ihr Sohn trauerte sehr um sie. Wenig später ertrank der Vater im Sumpf, bei dem Versuch, eine Kuh zu retten. Auch da trauerte Julius sehr, denn er hatte wirklich an der Kuh gehangen" sagt mehr über eine ganze Kindheit als eine ganze psychologische Studie.

Das aber wirklich schier Unglaubliche, dass Jonas Jonasson in seinem Erstlingswerk (!) gelingt: er verknüpft über den unpolitischen Allen die große Politik des 20 Jahrhunderts miteinander. Und das, obwohl Allen wie auch alle Mitspieler (und Gegenspieler) eigentlich nur Ruhe haben wollen. Wer sich 15 Jahre mit diveren Drinks unter einem Sonnenschirm am Strand von Bali erholen kann, ohne Langeweile zu bekommen, der kann sicherlich auch mal erst die USA, dann die UdSSR und später sogar Indonesien in den Bau der Atombombe einweihen. Aber eher "aus Versehen und nebenher". Wer General Franco das Leben rettete und in der Schuld von Mao steht, der kann auch einen Koffer mit Millionen mitnehmen, die sich dann zwischendurch als Bibeln darstellen.

Überhaupt: Jonasson nimmt Religion wirklich nicht sonderlich ernst. "Was den Glauben anging, war er schon immer der Meinung gewesen, wenn man etwas nicht mit Sicherheit wissen könne, sei es nicht sonderlich sinnvoll, sich aufs Raten zu verlegen."

Allein das Kapitel, in dem die Freunde um den alten Mann dem Staatsanwalt die unglaublichste und unglaubwürdigste Geschichte der gesamten Kriminalliteratur auftischen und dieser sie auslöffelt... allein dieses Kapitel lohnt den Kauf des Buches.

Und dann die Beschreibung des vertrottelten und ziemlich dummen Halbbruders von Albert Einstein... lesen, lesen, lesen!

Trotz des hahnebüchenden Plots der Biographie des überaus sympathischen Helden: er ist ein liebenswerter weil lebenserfahrener (na ja, bei dem Alter) Mensch, der andere dazu bringt, einfach nur sie selbst zu sein. Das Buch kann man so auch als Hohelied auf Freundlichkeit und Menschlichkeit lesen.

Und eines gibt uns der Hundertjährige noch mit auf die Reise. Wie man den Weltfrieden erreicht: "... da unterbrach Allan das Gekabbel der Brüder mit der Bemerkung, er sei weit in der Welt herumgekommen, und eines habe er dabei gelernt, nämlich dass die größten und unmöglichsten aller Konflikte immer auf derselben Grundlage beruhten: »Du bist doof, nein, du bist doof, nein, DU bist doof!« Die Lösung lag oft darin, dass man zusammen eine Flasche Schnaps leerte und nach vorn blickte."

F.N.

Jonas Jonasson: Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und ver­schwand. Roman. Aus dem Schwedischen von Wibke Kuhn. 416 S. Klappenbroschur. Carl’ Books. München 2011. 14,99 Euro. ISBN 978-3-570-58501-6