Eines fernen Tages
Dr. Stefan Ruppert, Parlamentarischer Geschäftsführer (und bis 2013 Kirchenpolitischer Sprecher) der FDP-Bundestagsfraktion, schildert zwar als einziger die historische Begründung und die Funktionen der verschiedenen Staatsleistungen in aller Kürze sachgerecht, dreht dann aber doch an einer falschen Darstellung, wenn er sagt: „ (….) hat man sich damals bewusst auf den nicht einklagbaren, eher deklaratorischen und eine Absicht bekundenden Kompromiss geeinigt, dass man eines – fernen – Tages die Staatsleistungen ablösen werde.“
Aber Hallo! Bereits 1921 gibt es einen Vorentwurf für ein entsprechendes Reichsgesetz und der Reichsminister des Innern schreibt am 25. Mai 1921 an seine Länderkollegen: „Mehrere Landesregierungen wünschen dringend, daß das zur Ausführung des Artikels 138 Absatz 1 Satz 2 der Reichsverfassung erforderliche Reichsgesetz alsbald verabschiedet werde. Mit Rücksicht hierauf bitte ich mir Abänderungs- oder Ergänzungsvorschläge baldigst zukommen zu lassen.“ Und er weist darauf hin, dass dieser Vorentwurf kirchlichen Stellen nicht übermittelt werden solle: „Zur Erreichung dieses Zieles halte ich es nicht für zweckmäßig, den Vorentwurf jetzt außer den Reichsressorts, den Landesregierungen und den Bevollmächtigten zum Reichsrat auch noch anderen Stellen mitzuteilen.“
Konsensuale Gespräche
Dazu Stefan Ruppert: „„Wir können nicht einfach deklaratorisch sagen: Wir lösen die Staatsleistungen jetzt zu einem gewissen Satz ab. – Vielmehr geht es darum, mit den Kirchen konsensuale Gespräche zu führen und darüber nachzudenken, wie man in nicht allzu ferner Zukunft einen Kompromiss finden kann.“
Aber Hallo! Das hat die gleiche Logik, als wenn man bei der Diskussion über eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf den deutschen Autobahnen „konsensual“ mit Porsche-Fahrer redet und dann das beschließt, was die Sportwagenfahrer wollen.
Basteleien nach Gutdünken
Auch die kirchenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Kerstin Griese, bastelt sich ihre Zahlen nach Gutdünken zurecht: „Auch das muss einmal gesagt werden: 70 Prozent der Menschen in Deutschland sind Mitglied einer Kirche oder einer Religionsgemeinschaft; etwa ein Drittel ist evangelisch, ein Drittel ist katholisch.“
Aber Hallo! Da werden plötzlich alle Mitglieder einer Religionsgemeinschaft – egal, ob Christen aller Couleur, Muslime aller Couleur und Juden, Buddhisten, etc. – zusammengefasst, obwohl es bei dem behandelnden Gesetzentwurf nur um die Zahlungen die beiden Christlichen Amtskirchen geht?
Und: Nach aktuellsten Zahlen für 2011 sind 29 Prozent der Bevölkerung katholische Kirchenmitglieder und 29 Prozent evangelische Kirchenmitglieder, also zusammen 58 Prozent. Und wie viele von ihnen tatsächlich gläubige Christen sind, das sei zudem dahingestellt.
Nach der dann prompt folgenden (falschen) Zitierung von 1803 und 460 Millionen Euro kommt dann noch eine weitere selbstgebastelte Behauptung: „Es kommt eben auf die Bedingungen der Ablösung an. Sie schreiben selber in Ihrer Gesetzesbegründung: Alle seriösen Vorschläge beziehen sich auf die 18- bis 25-fache Summe der jährlichen Zahlung als Ablösesumme. Insofern ist der in Ihrem Gesetzentwurf gemachte Vorschlag, einmalig die 10-fache Summe zu zahlen, glaube ich, auch ein bisschen provokativ gemeint. Damit machen Sie es sich etwas zu einfach.“
Im Gesetzentwurf der Fraktion DIE Linke steht dagegen nur, nach einer Schilderung verschiedener Ablösevorschläge (S.5.): „(…) Zum Teil wird zur Ermittlung der Entschädigungssumme vorgeschlagen, die Jahresleistung mit dem Faktor 25, als Kehrwert eines Zinssatzes von 4 Prozent, zu kapitalisieren (Germann in BeckOK GG, Artikel 140 GG, Rn. 123). Weitgehend Einigkeit besteht jedenfalls darüber, dass die Gewährung einer „Ewigkeitsrente“ dem in der WRV und dem GG normierten Ablösungsgebot und der damit bezweckten Trennung von Staat und Kirche sowie der Herstellung von staatlicher Neutralität und Parität zuwiderlaufen würde.“
Ewigkeitsrente
Eine Ablöseregelung, die das 25-fache des zuletzt gezahlten Betrages vorsehen würde, wäre diese „Ewigkeitsrente“ und keine Ablösung, da mit diesem Betrag ein Kapitalstock bei den Kirchen geschaffen würde, der bei nur 4 Prozent Verzinsung die Staatsleistungen fortführt.
Eine zweite Enteignung
Bei den schriftlich zu Protokoll gegebenen betont Dr. Maria Flachsbart (CDU/CSU): „Mit der Union wird es eine einseitige Ablösung ohne solide Rechnungsbasis, ohne Einbeziehung der Länder und der Kirchen, die damit in Wahrheit ein zweites Mal enteignet würden, nicht geben. Wenn es eine Ablösung gibt, müsste sie in dem Sinne erfolgen, wie die Staatsleistungen gedacht sind: Als faire Entschädigung für enteignete Kirchengüter, die ja die wirtschaftliche Grundlage der Kirchen gesichert haben.“
Aber Hallo! Die enteigneten Dispositionsgüter der Bischöfe waren nicht die wirtschaftliche Grundlage der Kirche. Im Reichsdeputationshauptschluss 1803 (und später) wurden Kirchengemeinden und Wohlfahrtseinrichtungen nicht berührt. Nur die Bischöfe als die Kirche zu bezeichnen ist anscheinend sehr katholisch.
Auch künftig im gleichen Ausmaß wie bisher
Der Abgeordnete Norbert Geis (CDU/CSU) vertritt mit seiner Darstellung bayerisches Landrecht: „Voraussetzung für die Ablösung der Staatsleistungen ist deshalb, dass die Kirchen auch künftig im gleichen Maße wie bisher ihren Aufwand finanzieren können. Eine solche Ablösung hat in der Atmosphäre der Freundschaft zu erfolgen.“ Das entspricht der (verfassungswidrigen) Regelung des Bayern-Konkordats von 1924, in dem es in Artikel X heißt, dass bei einer Ablöseregelung durch das Reich, Bayern alles bisherige, plus Geldwertausgleich, weiterhin in voller Höhe bezahlt. Vefassungswidrig, weil das Land einer Reichsregelung vorgreift.
Reichskonkordat 1933
Dem Ganzen setzt dann Beatrix Philipp (CDU/CSU) die Krone auf. Es wird nicht nur wieder der unsägliche Reichsdeputationshauptschluss benannt, sondern sie hat die Stirn, den Ablöseauftrag aus dem Art. 18 Satz 3 des Reichskonkordat von 1933 zu zitieren, in dem heißt: „Die Ablösung muss den Ablösungsberechtigten einen angemessenen Ausgleich für den Wegfall der bisherigen staatlichen Leistungen gewähren.“
Aber Hallo: Dieses Konkordat, das ja nicht ohne Grund auch „Hitler-Konkordat“ genannt - weil der den Verhandlungsführer Franz von Papen angewiesen hatte, den kirchlichen Forderungen weitestgehend entgegenzukommen, damit man das Konkordat baldmöglichst abschließen könne -, als heutiges Argument zu verwenden zeigt eine gewissen Geschmacklosigkeit. Ebenso wie der weitere Verweis auf dieses Konkordat, in dem von einem „freundschaftlichen Einvernehmen“ die Rede ist.
115 Milliarden Euro
Aber man sollte nicht meinen, dass da keine Steigerungen möglich seien. Nach einer Skizzierung der verschiedenen Größenordnungen von Ablösesummen, schreibt Beatrix Phillip: „Andere Meinungen gehen von einem 25-Fachen des zeitlichen Jahreswertes aus. Wieder andere halten es für angemessen, die Zahlungen komplett einzustellen, da in den vergangenen Jahren umfangreiche Zahlungen bereits erfolgt seien. Zurzeit belaufen sich die jährlichen Zahlungen auf circa 460 Millionen Euro. Das bedeutet, das Spektrum der im Zweifelsfall erforderlichen Mittel reicht von 0 über 4,6 Milliarden bis hin zu 115 Milliarden Euro.“
Aber Hallo! Im Mathematikunterricht in der Schule nicht aufgepasst und auch keinerlei Plausibilitätsprüfung? 115 Milliarden wären das 250-Fache. So werden anscheinend Träume formuliert.
Der Gesetzentwurf wurde abschließend an den Innenausschuss und nicht an den Rechtsausschuss überwiesen, wo er von der Sache her hingehört hätte.
Die Meldung des SPIEGELs von gestern („Eine fraktionsübergreifende Mehrheit im Bundestag möchte die Zahlungen des Staates an die Kirchen neu regeln“) entbehrt meines Erachtens jeglicher Grundlage.