Mehr Analyse, weniger Polit-Kitsch

(hpd) Michael Hardt und Antonio Negri gelten als Theoretiker der globalisierungskritischen Protestbewegung und wollen in ihrem Buch ein entsprechendes Plädoyer für mehr Partizipation vortragen. Die durchaus zutreffenden gesellschaftskritischen Ausführungen hat man von anderen Autoren schon besser lesen können, die konkreten Forderungen bleiben blass und enden im Polit-Kitsch mit religionsähnlichen Zügen.

Der amerikanische Literaturwissenschaftler Michael Hardt und der italienische Philosoph Antonio Negri gelten seit ihrem gemeinsamen Buch „Empire“ (2000) und dem Folgewerk „Multitude“ (2004) als Theoretiker der globalisierungskritischen Protestbewegung. Mit „Demokratie! Wofür wir kämpfen“ legen sie jetzt ein weiteres Werk vor. Es erklärt bereits im ersten Satz: „Dies ist kein Manifest!“ (S. 7). Denn man befände sich in einer anderen Rahmensituation, hätten doch die sozialen Bewegungen der Gegenwart sowohl Manifeste wie Propheten überflüssig gemacht. Unter dem pathetischen Titel „Gebt die Fackel weiter“ beschwören beide Autoren angesichts der Proteste vom „Arabischen Frühling“ in Nordafrika über Demonstrationen in Israel und Platzbesetzungen in Griechenland bis zu „Occupy Wall Street“ in den USA die politische Chance, „den Schritt von der Verkündigung zur Begründung einer neuen Gesellschaft zu gehen“ (S. 7). Dazu will die für mehr direkte und gegen repräsentative Demokratie gerichtete Schrift einen Beitrag leisten.

Hardt/Negri nehmen zunächst eine Diagnose der Gegenwart vor, welche über „Rollen“ die Grundzüge „der neoliberalen Krise“ (S. 15) verdeutlichen soll: Verschuldung sei zum Normalzustand der Gesellschaft geworden; die Vernetzten erstickten an einem Zuviel an Informationen, Kommunikation und Meinungsäußerung; die Verwahrten lebten in einem permanenten Ausnahmezustand ohne Gewohnheiten der Existenz und gesetzliche Ordnung; die Vertretenen wüssten nur zu gut um den Zusammenbruch der Strukturen der Volksvertretung. Daher bedürfe es einer „Rebellion gegen die Krise“, um unsere „Handlungsfähigkeit wiederzuerlangen“ (S. 39). Entsprechend ruft man den Lesern zu „Verweigert die Schulden!“ (S. 41), „Schafft neue Wahrheiten!“ (S. 45), „Befreit Euch!“ (S. 49) und „Verfasst Euch!“ (S. 53). Es gehe um eine neue Verfassung für das Gemeinsame, wofür man Eckpunkte für die zukünftige neue Ausgestaltung hin zu mehr Partizipation der Bürger zu Ungunsten des Repräsentativprinzips anstrebe.

Hardt/Negri benennen einige überaus bedenkliche Entwicklungen wie die indirekte Aushöhlung der Institutionen der parlamentarischen Demokratien oder die eskalierenden und regelmäßigen Finanz- und Umweltkrisen. Dabei plädieren sie auch für die demokratietheoretisch nachvollziehbare Beibehaltung von Ressourcen wie Banken, Bildung und Wasser als Gemeingut. Derartige Auffassungen und Forderungen kann man indessen auch von anderen Autoren und an anderen Orten besser begründet und differenzierter erörtert lesen.

Hardt/Negri arbeiten nicht selten mit Allgemeinplätzen und Schlagworten, wozu denn auch die „herrschenden Kräfte“ (z.B. S. 58) als diffuse Kategorie gehören müssen. Bei einer eher schwachen Analyse kann es auch um die Reformvorstellungen kaum besser bestellt sein: Durch den ganzen Text zieht sich ein appellierender und leidenschaftlicher Subjektivismus und Voluntarismus, der sogar Formen von religionsähnlichen und romantischen Erlösungsvorstellungen und Mystifizierungen annimmt.

Zunächst artikuliert sich dies nur in der distanzlosen Bejubelung von Protestbewegungen überall auf der Welt: Dabei ignorieren Hardt/Negri einerseits, dass ihnen im „Arabischen Frühling“ mit islamistischen Gruppen auch überaus problematische Akteure angehörten, und andererseits, dass die „Occupy“-Bewegung schon längst an Breitenwirkung und Engagement verloren hat. Gegen Ende formulieren die Autoren gar: „Die neuen sozialen Bewegungen sind nicht etwa so stark, obwohl sie keine Anführer haben, sondern genau deshalb“ (S. 119). Gerade aufgrund des Fehlens von Anführern und Strukturen erlahmen und scheitern solche Protestbewegungen sehr schnell.

Gleichwohl wollen Hardt/Negri „das Modell der repräsentativen Demokratie ... überwinden“ (S. 14) und dabei auch „eine Waffe mitnehmen“ (S. 49). Das Schlusswort enthält als ersten Satz die Formulierung: „Wir können die Stadt auf dem Berg schon sehen ...“ (S. 113). Mit solchen Metaphern beginnt spätestens der Polit-Kitsch. Ihm mögen sich Politiker bedienen, ihm sollten sich Wissenschaftler verweigern.

Armin Pfahl-Traughber

Michael Hardt/Antonio Negri, Demokratie! Wofür wir kämpfen. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer, Frankfurt/M. 2013 (Campus-Verlag), 127 S., EUR 12,90.