„Antideutsche“ in der politischen Linken

(hpd) Der Publizist Anton Stengl will in seinem Buch „Antideutsche! Entstehung und Niedergang einer politischen Richtung“ eine politische Strömung innerhalb der Linken in kritischer Absicht darstellen. So informativ und materialreich das Buch ist, so ist es doch weitgehend ohne Sorgfalt und Stringenz zusammengestoppelt.

Als „Antideutsche“ bezeichnet man eine Strömung innerhalb der politischen Linken, die eine für Außenstehende nur schwer nachvollziehbare Kombination von Positionen vertreten. Der Publizist Anton Stengl hat ihnen eine umfangreiche Darstellung mit dem Titel „Antideutsche! Entstehung und Niedergang einer politischen Richtung“ gewidmet.

Gleich auf der ersten Seite macht er auf das damit gemeine eigenartige Phänomen aufmerksam: „Gruppen treten in der Kluft des Black Bloc auf, die sich selbst als antifaschistisch und sozialrevolutionär bezeichnen, den Kapitalismus als System abschaffen wollen, aber von den USA die Bombardierung und Vernichtung angeblich ‚islamistisch’ orientierter Staaten fordern und sich mit Israel- und USA-Fahnen in der Hand mit Linken prügeln. In vielen deutschen Großstädten gibt es Vertreter dieser sogenannten ‚antideutschen’ Richtung. ‚Bedingungslose Solidarität’ mit Israel ist ihr Kernanliegen“ (S. 9). Stengl will Entstehung, Entwicklung und Positionen der Strömung behandeln und dabei affirmative und kritische Stimmen dokumentieren.

Zunächst geht es aber um den Prozess bis hin zur Gründung des Staates Israel, wobei am Beginn die Darstellung und Kritik des Zionismus steht. Erst danach geht der Autor auf den Gründungsakt des Staates im engeren Sinne ein. Bei seiner Darstellung stützt er sich auf unterschiedliche Abhandlungen der Sekundärliteratur, die aber meist die Gründung primär als einen imperialen Akt sehen. Bevor es dann um das Verhältnis von Bundesrepublik Deutschland und Israel geht bemerkt Stengl zur Perspektive der Antideutschen bezogen auf die Judenfeindschaft: „Warum nennen sich diese Leute eigentlich ‚Antideutsche’? Weil Antisemitismus und Deutschsein einfach zusammengehören. Die Geschichte des nicht-deutschen Antisemitismus wird im Vergleich mit dem fürchterlichen Holocaust ... ohne Zögern ad acta gelegt. Die historische Entwicklung des Antisemitismus und seine soziale wie politische Basis ist genauso wenig interessant. Judenhass ist den Deutschen eingeimpft, er gehört zum deutschen Charakter. Das ist die These“ (S. 85).

Danach behandelt der Autor mit den Publizisten Eike Geisel, Gerhard Hanloser, Moshe Postone und Wolfgang Pohrt und mit den Zeitschriften „Bahamas“ und „Konkret“ die wichtigsten Protagonisten der „Antideutschen“. Dem folgend zeichnet er die historisch-politische Entwicklung der Strömung direkt nach 1989 mit der Kampagne gegen die Wiedervereinigung und dem Plädoyer für den ersten Golfkriegs bis zur Unterstützung der israelischen und US-amerikanischen Politik nach den Anschlägen vom 11. September 2001 nach. Besondere Aufmerksamkeit findet hierbei auch der Arbeitskreis „Bak Shalom“ in der Partei „Die Linke“, welchem „Araberhass“ unterstellt wird. Wie wenig die Auffassungen der Antideutschen aber allen Israelis entsprechen, soll danach anhand von kritischen Stimmen aus dem Land zur Politik der eigenen Regierung aufgezeigt werden. Im Schlusswort fragt Stengl danach, ob die Antideutschen überhaupt ein Teil der Linken seien. Die direkte Kooperation mit Konservativen und Neoliberalen spreche gegen diese Auffassung.

Da der Autor eine Fülle von affirmativen wie kritischen Stimmen mit längeren Zitaten zusammengetragen hat, handelt es sich tatsächlich – wie angekündigt – um eine Art „Reader“ (S. 9) zum Thema. Insofern kann der Informationsgehalt positiv hervorgehoben werden.

Ansonsten enttäuscht das Werk indessen über weite Strecken, was als Einschätzung nichts mit einer Ablehnung oder Zustimmung zu den Positionen des Autors zu tun hat. Es wurden doch allzu sehr einzelne Daten und Zitate aneinander gereiht, ohne sorgfältig zu prüfen. Da gibt es dann eine Aussage über eine angebliche Kooperation von „Faschisten und ... Zionisten“ mit dem schlichten Hinweis „Quelle: wikipedia“ (vgl. z.B. S. 31, Fußnote 25). Genaue Belege für Zitate bleibt der Autor seinen Lesern nicht selten schuldig (vgl. z.B. S. 37, Fußnote 29 und 30). Micha Brumlik und Dan Diner sind auch keine „Journalisten“ (S. 105), sondern im ersten Fall ein Erziehungswissenschaftler und im zweiten Fall ein Historiker. Auch darüber hinaus fehlt es dem Band an Klarheit und Stringenz. Ein wichtiges Thema ist verschenkt worden!

Armin Pfahl-Traughber

Anton Stengl, Antideutsche! Entstehung und Niedergang einer politischen Richtung, Frankfurt/M. 2012 (Zambon-Verlag), 335 Seiten, ISBN: 978-3-88975-198-0, 12 €.