BERLIN. (hpd/hub) Auch im hohen Lebensalter scheinen Menschen in der Lage zu sein, sich selbst in einem positiven Licht zu sehen und dementsprechend zu bewerten – dies ungeachtet zahlreicher Herausforderungen und Einbußen, die ein hohes Lebensalter mit sich bringt.
Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die Wissenschaftler des Instituts für Psychologie der Humboldt-Universität Berlin gemeinsam mit Wissenschaftlern der University of British Columbia, Kanada und der Flinders University, Australien kürzlich im Journal of Personality and Social Psychology veröffentlicht haben.
„Menschen haben ein grundlegendes Bedürfnis die eigene Person positiv zu betrachten. Dieses Konstrukt wird in der psychologischen Forschung als Selbstwert bezeichnet“, erklärt Jenny Wagner, Wissenschaftlerin am Fachbereich Psychologische Methodenlehre der HU und eine der Autorinnen der Studie. So haben Studien beispielsweise gezeigt, dass amerikanische Studenten lieber einen Anstieg ihres Selbstwertes erleben als ihr Lieblingsessen zu essen oder einen besten Freund zu treffen. Zudem zeigen neuere Studien, dass ein geringer Selbstwert weitreichende Konsequenzen zu haben scheint, etwa für den Anstieg von Depressionen oder weniger Zufriedenheit mit dem Leben allgemein. Was bislang weniger bekannt war, ist, wie sich Selbstwert im höheren Lebensalter entwickelt. Diese Lücke konnte die Studie nun schließen.
Das höhere Lebensalter ist gemeinhin durch zahlreiche Einbußen gekennzeichnet, etwa auf körperlicher Ebene durch Krankheiten, auf kognitiver Ebene mit abnehmendem Erinnerungsvermögen oder auch auf sozialer Ebene etwa durch den Verlust vom Ehepartner oder engen Freunden. „Die bisherige Forschung hat gezeigt, dass Menschen sich in der Regel an diese Herausforderungen sehr gut anpassen können, jedoch im sehr hohem Lebensalter und insbesondere in den letzten Jahren vor dem Tod das System Mensch immer stärker an seine Grenzen der Anpassungsfähigkeit kommt“, sagt Denis Gerstorf, Professor für Entwicklungs- und Pädagogische Psychologie an der HU.
So konnten Studien zur Lebenszufriedenheit verdeutlichen, dass nicht das Alter an sich zu einer Abnahme der Anpassungsfähigkeit führt, sondern die Nähe zum Tod mit einer solchen verbunden ist. Es wird angenommen, dass in den letzten Jahren vor dem Tod der Mensch mit so vielen Herausforderungen konfrontiert ist, dass ein Ausgleich nicht mehr möglich und eine Abnahme der Zufriedenheit demnach unausweichlich ist. Die Frage war: Gilt dies auch für die Bewertung und Zufriedenheit mit der eigenen Person?
Um diese zu beantworten, haben die Forscher mit der Australischen Längsschnittstudie des Alterns gearbeitet, für die 1.215 Personen zwischen 65 und 103 Jahren über eine Dauer von bis zu 18 Jahren unter anderem zu ihrem Selbstwert befragt wurden. Etwas ungewohnt an den Daten ist, dass alle Personen der Stichprobe zum Zeitpunkt der Datenauswertung verstorben sein mussten. „Das war wichtig, um Entwicklung nicht nur aus Altersperspektive zu betrachten, sondern um auch die Nähe zum Tod einbeziehen zu können“, erklärt Gerstorf. „Sowohl in Bezug auf das biologische Alter als auch die Nähe zum Tod fanden wir einen leichten Abfall des Selbstwertes, dieser ist jedoch so gering, dass man eher von einer Selbstwertstabilität reden kann.“ Insbesondere im Vergleich zur Lebenszufriedenheit oder den kognitiven Fähigkeiten zeigt der Selbstwert einen viel geringeren Abfall.
Zudem zeigten die Daten ganz deutlich, dass sich Personen stark in ihrer Selbstwertveränderung unterscheiden: manche erleben Stabilität, andere einen Abfall und einige sogar einen Anstieg. Bedingt wurden solche Veränderungen in der Stichprobe insbesondere durch zwei Faktoren: kognitive Fähigkeiten und die Wahrnehmung von Kontrolle. „Höhere kognitive Leistungsfähigkeiten und die Wahrnehmung, dass man sein Leben und Verhalten bis zu einem gewissen Grad kontrollieren kann, gingen mit höherem Selbstwert einher“, betont Jenny Wagner. Überraschenderweise konnten die Wissenschaftler hingegen keinen Einfluss der Gesundheit auf den Selbstwert finden.
Weitere Forschung soll sich nun der Frage widmen, welche Prozesse diese Anpassung ermöglichen und welche Quellen, über kognitive Leistungsfähigkeit und Kontrolle hinaus, die Adaptation an das Alter(n) positiv beeinflussen.
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