Wohl des Kindes und Diskriminierung

kueng-kindeswohl_0.gif

Abb. screenshot ots.at

WIEN. (hpd) Unmittelbar nachdem es der katholischen Kirche gelungen ist, in die Reform des Gleichbehandlungsgesetzes einzugreifen, plädiert ein Bischof für die Beibehaltung der familienrechtlichen Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Paaren. Zu diesem Zweck missbraucht er den Begriff „Kindeswohl“ –  eine Errungenschaft der säkularen Gesellschaft.

Selten begegnet man in einer seriösen Tageszeitung einem (von der kirchlichen „Kathpress“ obendrein gepushten) Kommentar, der wie DDr. Klaus Küngs „Stiefkindadoption durch Homosexuelle? Bitte noch innehalten!“ dazu geeignet ist, schlicht und einfach zu empören.

Dass Küng, der selbst innerhalb der katholischen Kirche als konservativ gilt, ein Plädoyer für die Benachteiligung gleichgeschlechtlicher Paare liefert, ist natürlich wenig überraschend –  Ändert wohl ein Neger seine Hautfarbe oder ein Leopard seine Flecken? (Jer 13, 23) – doch die (Un-)Art der Verkündigung dieser gar nicht so frohen Diskriminierungsbotschaft hat es in sich. Sie kann beim besten Willen nicht so stehen gelassen werden.

Eine Beweisführung, die keine ist

Dass Küng seinen Appell gegen die Gleichberechtigung homosexueller Paare bei der Kinderadoption mit Sachargumenten nicht untermauern kann, ist offensichtlich: Wessen nicht näher quantifizierte bzw. qualifizierte „Erfahrung“ zieht denn der dem Zölibat selbstverpflichtete Bischof so selbstbewusst heran, um eine vom EGMR verurteilte familienrechtliche Diskriminierung zu rechtfertigen? Und wessen „gesunden Menschenverstand“ – in Wahrheit handelt es sich hier, natürlich, um eine misologische Anbiederung Küngs beim intellektuell überforderten Flügel seiner Leserschaft – zieht der Kirchenmann heran als Unterstützung für seine Behauptung, dass Kinder das „Spannungsverhältnis zwischen Männlichem und Weiblichem brauchen (…) um froh und stark aufzuwachsen und den Start ins Leben gut zu meistern“?

Lediglich bei den „Studien“ (Plural) spricht Akademiker Küng Klartext und klammert sich ausschließlich an die Pseudostudie (Singular) „How different are the adult children of parents who have same-sex relationships? Findings from the New Family Structures Study“. Dass dieses „Werk“ vom christlich-fundamentalistischen think-tank “Witherspoon Institute” finanziert wurde und unmittelbar nach seiner Veröffentlichung auf breiter wissenschaftlicher Front in der Luft zerrissen wurde, stört Küng wenig. Er denkt auch nicht daran, sich von seriösen Studien aus unseren Breitengraden beirren zu lassen.

Küngs Festhalten an besagter Nichtstudie lenkt allerdings von einem wichtigen Punkt ab: Seine gesamte Argumentationslinie findet man fast 1:1 in einem ganz anderen Dokument, nämlich in den „Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen“ (vgl. insbes. Punkt 7), herausgegeben im Jahr 2003 von der katholischen Kongregation für die Glaubenslehre. Unter der Regie des Präfekten Joseph Ratzinger, um genau zu sein.

Der Missbrauch des 4. Juni

Doch richtig empörend wird Küngs Polemik erst dann, wenn man seiner Berufung auf den „Tag des Kindes“ als würdigen Veröffentlichungszeitpunkt einen Gedanken schenkt.  Besagter „Internationaler Tag der Kinder, die unschuldig zu Aggressionsopfern geworden sind“ (warum kürzt eigentlich Küng die offizielle Bezeichnung?) wurde nicht, wie behauptet, auf Anregung der UNICEF und aus Sorge um das Wohl der Kinder weltweit beschlossen. Vielmehr segelte die UN-Vollversammlung zum Zeitpunkt der Beschlussfassung im Jahr 1982 unter der falschen Flagge des Kinderschutzes, um ein ganz anderes politisches Ziel zu erreichen. Damals ging es nämlich um eine einseitige politische Resolution vor dem Hintergrund des Israelisch-Palästinensischen Konflikts, Küngs Wortspende, dreißig Jahre danach, bezweckt primär die Durchsetzung eines religiös motivierten homophoben Dogmas. In beiden Fällen wurden Kinder lediglich als Aufhänger missbraucht; Küng hätte also, sarkastisch betrachtet, für die Veröffentlichung  seiner Hetzschrift kaum einen besseren Termin finden können.

Die katholische Relativitätstheorie der Kinderrechte

Empörend ist Küngs vorgegaukelte Sorge um das Kindeswohl bzw. die Kinderrechte aber auch vor dem Hintergrund der Haltung jener Organisation, dessen hochrangiger Vertreter er ist, in ebendiesen Fragen. Es war nämlich die katholische Kirche, die sich reflexartig auf die Seite der IKG und IGGiÖ geworfen hat, um gemeinsam zu verhindern, dass muslimische und jüdische Kinder ihr Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit gemäß Artikel 3 der Grundrechtcharta der Europäischen Union verwirklichen können. Selbst gegen den theologisch nicht begründeten Brauch, Kindern die Penisvorhaut partout bei vollem Bewusstsein und ohne jegliche Betäubung wegzuschneiden, hat sich bisher kein Kirchenvertreter, geschweige denn Kinderfreund und Arzt Küng, je geäußert.

Ebenso wortkarg zeigen sich Küng und Co. gegenüber der jahrhundertealten und selbst heutzutage im öffentlichen Bildungssektor noch lebendigen christlichen Tradition, Kindergarten- und Volksschulkindern mit dem Gift eines fremdinduzierten Schuldgefühls psychisch zu manipulieren. Für Küngs Organisation dürften auch dem Kindesrecht auf Bildung ziemlich schnell Grenzen gesetzt werden, wenn die Glaubensvermittlung bezweckt werden soll. Anders lässt sich nämlich nicht erklären, wieso die Kirche sich derart leidenschaftlich gegen einen für alle Kinder verpflichtenden Ethikunterricht , der im 21. Jahrhundert fest verankert ist, einsetzt, während sie auf ihr Recht pocht, den „eigenen“ Sechs- und Siebenjährigen allen Ernstes weiß zu machen, dass die Welt in sechs Tagen erschaffen wurde. Oder dass es Engel gibt. Oder dass es weltweit einen einzigen Mann gibt, freilich aus den eigenen Reihen, der unfehlbar ist.

Es ist schlimm genug, wenn Herr Küng, ohne auch nur ein einziges stichhaltiges Argument in seinem Köcher zu haben, gegen die Gleichberechtigung jener Mitmenschen eintritt, deren sexuelle Orientierung nicht mit seiner Weltanschauung vereinbar ist. Den Bogen überspannt er jedoch gewaltig, wenn er – als Mensch und insbesondere als Vertreter der katholischen Kirche – die Begriffe „Kindeswohl“ und „Kinderrechte“ missbraucht, um die österreichische Gesetzgebung mit homophobem Gedankengut zu kontaminieren.

Eytan Reif