Kirche mal wieder beleidigt

„Wenn die den Holocaust leugnen, dann verleugnen wir eben das Christentum", sagte der Komiker Jair Schlein in seiner Sendung im israelischen Fernsehen. Das mochte der Vatikan nicht: Er forderte den Komiker auf, sich für die Beleidigung religiöser Gefühle zu entschuldigen. Außerdem: Vereinte Nationen wollen Religionskritik verbieten.

 

Ein Kommentar von Andreas Müller

Vorgeschichte

Und so hat alles angefangen: Der Vatikan möchte sich mit Katholiken vom rechten Rand versöhnen, die Juden für Christusmörder halten und von denen manche den Holocaust leugnen. Die israelische Regierung droht mit dem Abruch diplomatischer Beziehungen. Salomon Korn, der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, bezeichnet die Rehabilitierung des Holocaustleugners Bischof Williamson als „unverzeihlich". Der Vatikan fordert Williamson dazu auf, seine Leugnung zurückzunehmen. Doch Williamson möchte zunächst die erste Klasse Geschichte wiederholen und die Fakten checken, bevor er noch etwas Unwissenschaftliches von sich gibt. Am 26. Februar 2009 hat er sich dann endlich entschuldigt, allerdings ohne klarzustellen, ob er nun an den Holocaust mit seinen sechs Millionen Opfern glaubt oder nicht. Stattdessen sagt er, dass er sich „in Anbetracht dieser Folgen" entschuldige und nicht etwa, weil er im Unrecht war. Am 27. Februar 2009 hat der Zentralrat der Juden schließlich vor Antisemitismus in den deutschen Kirchen gewarnt.

Hat sich Jesus überfressen?

Noch vor Williamsons Entschuldigung macht sich Komiker Jair Schlein im israelischen Fernsehen über katholische Glaubensdogmen lustig. Er zeigt ein Video, in dem wir erfahren, dass Jesus im Alter von 40 Jahren an Fettsucht gestorben sei und dass die Jungfrau Maria mit 15 Jahren von einem Schulkameraden geschwängert wurde. Angesichts der nicht vorhandenen außerbiblischen Quellen über das Leben und die bloße Existenz von Jesus Christus und seiner Mutter erscheint dieses Szenario ebenso glaubwürdig wie Marias Jungferngeburt und Jesu Himmelfahrt - obwohl, eigentlich klingt es sehr viel glaubwürdiger. Schließlich wird in der Schlein-Version nicht gegen Naturgesetze verstoßen und wie der Philosoph David Hume anmerkte, sind Halluzinationen und leichtfertig akzeptierte Gerüchte immer die wahrscheinlichere Erklärung für Wunder, als die Aufhebung von Naturgesetzen. Gegen das Schlein-Evangelium spricht allenfalls, dass es weniger amüsant ist als die Originale.

Beleidigte Katholiken

An dieser Stelle setzt eine dramatische Wendung ein:

„Die Versammlung der katholischen Bischöfe im Heiligen Land erklärte, die Sendung beleidige Tausende christlicher Bürger in Israel sowie Millionen Gläubige weltweit", erfährt man in der dpa-Meldung zum Thema. Angesichts der Ereignisse der jüngsten Geschichte ist es zwar kolossal unverschämt von katholischen Bischöfen, sich über die jüdische Kritik ihrer Unsinnigkeiten zu beschweren, aber dabei steht man wenigstens in einer gewissen Tradition.

Israelische Regierung bereut Sünden

Was jetzt kommt, das geht allerdings auf keine Kippa mehr:

„Die israelischen Behörden hätten versprochen, sich um die baldige Unterbrechung des Programms zu kümmern und wollten zudem eine öffentliche Entschuldigung fordern."

Wie bitte!? Am besten, Sie lesen es gleich noch einmal. Ich habe beim ersten Mal auch geglaubt, mir diesen Satz nur einzubilden, weil mir jemand seinen Drogenvorrat in den Kaffee geschüttet hat. Aber nein, das steht da wirklich! Die israelischen Behörden entschuldigen sich beim Vatikan für das Programm eines privaten Fernsehsenders - und das, während die Williamson-Affäre noch nicht einmal vorrüber ist.

Es tut den israelischen Behörden ungeheuer leid, dass ein Komiker von seinem Recht auf freie Rede Gebrauch gemacht hat. Falls Sie es noch nicht wussten: Israel ist die einzige moderne Demokratie im ganzen Mittleren Osten. Das Land ist von Verrückten umstellt, die es von der Landkarte fegen wollen, weil es ihnen nicht intolerant und fanatisch genug ist. Und in dieser Situation kommt die israelische Regierung auf die glorreiche Idee, sich bei einem patriarchalen Kult dafür zu entschuldigen, dass sie ihren Bürgern ein demokratisches Grundrecht garantiert!

Schlimm

Die Bischofskonferenz Israel empört sich über die „widerlichen Angriffe auf Jesus Christus und die Jungfrau Maria". Dabei greifen Aufklärer das Christentum schon seit über 250 Jahren auf widerliche Weise an. Haben die das etwa gar nicht mitbekommen, dass sie heute noch beleidigt sind, wenn jemand ein paar harmlose Witzchen reißt? Voltaire stellte bereits im frühen 18. Jahrhundert fest: „Dies ist der Gipfel des Monströsen und Lächerlichen, Gott als einen kleinlichen, unsinnigen und barbarischen Despoten zu verkünden, der einigen seiner Favoriten heimlich ein unverständliches Gesetz mitteilt und die übrigen des Volkes umbringt, weil sie dieses Gesetz nicht gekannt haben." Friedrich Schiller meinte dazu: „Die Geistlichkeit war von jeher eine Stütze der königlichen Macht und mußte es sein. Ihre goldene Zeit fiel immer in die Gefangenschaft des menschlichen Geistes, und wie jene sehen wir sie vom Blödsinn und von der Sinnlosigkeit ernten."

Und so weiter. Aber die Katholiken lässt das kalt, die sind immernoch sofort beleidigt - bis sie eine angenehme Temperatur erreichen, müssen wir sie noch ein paar Jahre weichkochen. Es ist fast so, als hätte sich im Mittelalter ein Portal geöffnet, das den katholischen Klerus einsaugte, um ihn hier im 21. Jahrhundert wieder auszuspucken. Schleins Sendung beleidige „Millionen Christen weltweit", beschweren sie sich. Na und? Die beständigen Dummheiten des Christentums beleidigen die Gefühle von Atheisten schon seit es erfunden wurde, und wen kümmert das? Niemanden, also braucht sich auch niemand für die Gefühle von Gottes wolligen Paarhufern zu interessieren.

Schlimmer

Der Exekutivrat des Orthodoxen Kongresses in Nazareth beschwerte sich sogar noch früher bei dem Sender als die katholischen Bischöfe. Die Minderheit der religiösen Juden (75% der israelischen Juden sind säkular - besser kann eine Religion gar nicht mehr werden), vor allem die konservative Version davon, findet es nicht gut, wenn religiöse Gefühle verletzt werden, selbst wenn es nicht die eigenen sind. „Gemäß dem christlichen Glauben wurde der Messias durch den Heiligen Geist gezeugt und nicht infolge von Geschlechtsverkehr", heißt in ihrem Brief an den Sender. Das glauben die doch selbst nicht! Trotzdem halten sie ein derart peinliches Glaubensbekenntis für schützenswert.

Am schlimmsten

Die Süddeutsche Zeitung spart sich das wahre Grauen fürs Ende auf:

"Inzwischen haben [...] sowohl der Sender als auch der Komiker um Verzeihung gebeten. Schlein sagte, er hoffe, dass man seine ‚aufrichtige Entschuldigung‘ annähme. ‚Keiner von uns wollte die Gefühle der christlichen Gemeinschaft in Israel verletzen.‘
Bei der katholischen Kirche scheint man von der Entschuldigung wenig zu halten: Die heftige Reaktion der katholischen Bischöfe erfolgte erst, nachdem Sender und Schlein öffentlich Abbitte geleistet hatten."

Der Komiker hat sich also bereits entschuldigt, bevor ihn die Katholiken dazu aufforderten, sich zu entschuldigen. Aber wieso? Und warum fordern sie eine Entschuldigung, wenn es schon eine gegeben hat? Das verletzt meine logischen Gefühle. In der Welt der Religion leider ein alltägliches Phänomen.

Freie Rede im „Heiligen Land"?

Im Falle Israels könnte man ein Auge zudrücken, sagen manche, weil das „Heilige Land" ein Magnet für religiöse Konflikte ist. Wenn dort jemand etwas gegen den Propheten Mohammed oder gegen den Erlöser Jesus sagt, dann fliegen gleich die Molotov-Cocktails. Gerade angesichts dessen sollte man sich allerdings überlegen, wie viel einem der Säkularismus mit seinem Grundbestandteil, der Meinungsfreiheit, wert ist und ob er sich nicht gerade in dieser Situation bewähren sollte - muss?

Religiöses Geheule

In einer grandiosen Diskussion über die Redefreiheit wurde Christopher Hitchens die Frage gestellt, ob ein paar schlechte Mohammed-Karikaturen wirklich Menschenleben wert sind? Zunächst einmal müsste man jedoch die Frage beantworten: Woher sollen wir überhaupt wissen, worüber sich Gottes eifrige Dienerschaft als nächstes aufregt? In England erzürnten sich Muslime zum Beispiel über eine Werbeanzeige der Polizei, die ein niedliches Hündchen zeigte. Ein derartiger Hund, so die betroffenen Muslime, gelte im Islam nämlich als „unreines Tier" und dürfe also nicht abgebildet werden. Die Polizei entschuldigte sich und zog die Anzeige zurück.

Ein weiteres Beispiel für den Schutz religiöser Gefühle findet sich in Deutschland: Frank Müller, Pfarrer der St. Agnes Gemeinde in Köln, gestatte indischen Filmemachern im Jahre 2007, seine Kirche als Schauplatz für ihren Bollywood-Streifen zu verwenden. Die Gemeinde war empört – hat die „Kinder statt Inder"-Kampagne am Ende doch Wirkung gezeigt? Im Kölner Stadtanzeiger erfährt man: „Seine Entscheidung habe ‚Verletzungen‘ bewirkt, ‚mehr als ich mir ausgemalt habe und mehr als ich vielleicht durfte‘." Nicht einmal Pfarrer können also vorhersehen, wann ihre Schäfchen aufmüpfig werden.

Niedliche Hundewelpen, indische Filmemacher, lustige Cartoons - wenn wir alles verbieten würden, worüber sich diese gläubigen Einfallspinsel aufregen, dann bliebe nichts mehr übrig. Und würden wir uns für alles entschuldigen, was ihre „religiösen Gefühle" verletzt, hätten wir nichts anderes mehr zu tun. Also lassen wir doch endlich den Unsinn!

 

Vereinte Nationen gegen Meinungsfreiheit

Aus aktuellem Anlass eine Ergänzung: Die stark von islamischen Ländern beeinflussten Vereinten Nationen wollen nun eine bindende Resolution verabschieden (Abstimmung im März/April), die Religionskritik verbietet. In jedem Mitgliedsland, das sie unterschreibt, wird die freie Rede damit faktisch abgeschafft, um religiöse Gefühle zu schützen - eine Argumentation, die islamische Regime wie das maßgeblich an der Resolution beteiligte Pakistan unlängst für sich entdeckt haben. Sobald sich Deutschland daran beteiligt, werden sich die Parteien Gottes über eine landesweite und zeitlich unbegrenzte Blasphemieparty aufregen dürfen. Viel Spaß.

Freiheit nix gut?

Vielleicht sollte man die Frage so stellen: Sind uns grundlegende Rechte und Freiheiten sogar Menschenleben wert? Vergessen wird dabei gerne, dass die moderne Zivilisation nicht nur das Ergebnis von Enzyklopädien und Universitäten ist, sondern auch von Revolutionen und Kriegen, welche gegen die finsteren Mächte der Gegenaufklärung geführt werden mussten.

Für mich selbst kann ich auf jeden Fall sagen, dass ich lieber tot wäre, als in einem Land wie Saudi Arabien oder Nordkorea zu leben, wo die orwellschen „Gedankenverbrechen" ein strafrechtlich relevantes Konzept sind. Wenn wir uns als Bewohner der zivilisierten Welt nur lange genug bei Tyrannen und Fanatikern für unsere Freiheit entschuldigen, kommen wir bald selbst in den Genuss totalitärer Schmankerl. Unser letzter Selbstversuch ist schließlich schon eine Weile her und wurde bereits aus dem Gedächtnis getilgt (sogar in Israel? Man stelle sich vor!). Anders kann ich mir die jüngsten Reaktionen auf religiöse Gefühlsdusseleien nicht erklären.

 

Andreas Müller

Facebook: Blasphemy Day International 2009