(hpd) Wieder einmal wird der Humanismus zu einem ausgelaufenen Projekt erklärt, diesmal durch Florian Baab. Sein kürzlich erschienenes Buch "Was ist Humanismus?" ist die gedruckte Dissertationsschrift mit einigen Fehlern, grundsätzlichen und ganz bedauerlichen, aber einer lehrreichen Analyse.
Vielleicht hielt der Mentor Eberhard Tiefensee (Erfurt) Humanismus von vornherein für eine Marginalie gegenüber dem Katholizismus, dass er einem jungen Theologen den Auftrag gab, mal flott zu sagen, worum es sich beim Humanismus handelt. Heraus kam ein zumindest für die "säkulare Szene" wichtiges Buch von 300 Seiten. Deren Denkergebnisse werden kräftig kritisiert. Der hpd bringt im Folgenden einen Auszug aus einem längeren Kommentar "Am Ende einer 'großen Erzählung'"? von Horst Groschopp, der in voller Länge bei "humanismus aktuell online" eingestellt ist.
Florian Baab schreibt, der Humanismus sei als "große Erzählung" ans Ende gekommen. Er gibt in seinem Buch "Was ist Humanismus?" allen am Thema Interessierten zum Beleg dieser These Lern- und Kritikstoff. Der Autor studierte Philosophie und Katholische Theologie in Tübingen und Dublin und ist seit 2009 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt. Mit der seit Sommer 2013 als Buch gedruckt vorliegenden Arbeit wurde er im Wintersemester 2012/13 promoviert. Es handelt sich um ein belesenes, materialreiches Buch.
Der Autor erhebt darin den "Humanistischen Verband Deutschlands" (HVD) und andere säkulare Bewegungen, hervorgehoben die "Giordano-Bruno-Stiftung" (gbs), in den Forschungsstand. Baab hat sich gründlich in die Gedankenwelt und Druckwerke derer eingearbeitet, die sich selbst als "säkulare Szene" beschreiben. Er will einen Einblick geben, was ihm gelingt. Sein besonderes Augenmerk gilt dabei dem Verständnis von Humanismus, das er historisch zurückverfolgt. Vor allem analysiert er umfänglich das "Humanistische Selbstverständnis" des HVD, was für diesen Verband eine Chance zur Selbstprüfung ist.
Eberhard Tiefensee, katholischer Theologieprofessor in Erfurt, gibt dem Text Baabs in seinem Geleitwort eine zuspitzende Lesart. Er hält als ein Ergebnis fest, dass sich der säkulare Humanismus, wie er dort vorgestellt wird, historisch wie philosophisch erledigt hat mit der Folge, man müsse nun "vorsichtiger sein, sich des Ausdrucks 'christlicher Humanismus' zu bedienen". Doktorvater Tiefensee verrät in seinem Vorspruch den Auftrag, mit dem Baab seine Dissertation schrieb und den er nicht ganz so konsequent wie gewünscht erfüllte: Der Marxismus-Leninismus "setzt ... offensichtlich einen Teil seiner DDR-Geschichte unter dem werbewirksamen Markenzeichen 'Humanismus' fort."
Er schildert das Zustandekommen und die Hauptaussagen des "Humanistischen Selbstverständnisses" des HVD von 2001. Die Traditionsthese, dass der HVD die geistige Fortsetzung eines dogmatischen Marxismus mit den Mitteln eines weichgespülten Humanismus pflegt, wird immer wieder, so auch bei Baab, mit einer behaupteten organisatorischen Kontinuität unterlegt. Doch es gelingt auch Baab nicht, die organisationsgeschichtliche Kontinuität DDR-Freidenker/HVD zu belegen.
Humanismus bei Baab
Die Grundannahme von Baab, Humanismus sei eine Philosophie, führt ihn in die falsche Spur und unter anderem zu nahezu verreißenden Urteilen am Projekt von Jörn Rüsen und dem von Nida-Rümelin. Nur Hubert Cancik erhält einen Ablass. Bei der Lektüre von Cancik hätte ihm aber dessen umfängliche Begriffsgeschichte und die Folgerung auffallen und zur Replik führen müssen: Humanismus "ist keine Philosophie, kein geschlossenes, nur mit sich selbst kompatibles System aus Anthropologie und Ethik, sondern die Lehre, 'eine unvollendete Weltanschauung zu ertragen'."
Diese Aussage und der Kontext, in dem sie steht, ist in dreifacher Hinsicht von Belang, weil Humanismus nicht definierbar ist ohne dessen Abhängigkeiten zur "Humanität", was Baab unterlässt. Während Cancik die Offenheit des Systems Humanismus betont, führt Baab immer wieder in Variationen an, das Manko des Humanismus sei dessen fehlende Einheit und Geschlossenheit. Er kritisiert die Variabilität, den Essentialismus und des Anthropozentrismus. Bei Baab kursiv: "Der Humanismus als homogene Weltanschauung bleibt eine Illusion."
Leider entschloss sich der Autor, nur diejenigen Denker zu beachten, die sich des Wortes "Humanismus" tatsächlich bedienten. Damit sind Pico della Mirandola, Wilhelm von Humboldt und andere wesentliche humanistische Autoren aus dem Rennen. Er begründet sein Vorgehen mit seinem Schwerpunkt Begriffsgeschichte, unterbreitet aber keine philologische Analyse, sondern eine konzeptionsgeschichtliche. Das hätte dann allerdings die Berücksichtigung dessen erfordert, was unter Humanismus gefasst werden kann, auch wenn jemand den Begriff nicht benutzt oder kennt. Baab durchbricht selbst mehrfach seine Methode.
Baab misslingt seine Beweisführung, weil Humanismus viel mehr ist als das, was er über ihn berichtet. Der Autor stößt immer wieder an die objektive Grenze der historischen Faktizität des Humanismus. Sein Mentor Tiefensee formuliert dies freundlich kritisierend im Geleitwort in Form einer Frage, ob nämlich die "von Baab herausgearbeiteten neuen Konnotationen des Humanismus-Begriffs inzwischen auch dessen historisierende Verwendung ('Renaissance-Humanismus') affizieren" – zugespitzt gesagt, ob Baabs Ergebnissen so zu vertrauen ist, den Humanismus gänzlich wegen marxistischer Infizierung als untauglich zu befinden, eine honorige Weltsicht und mit Recht eine "große Erzählung" zu nennende Kulturbewegung zu sein. Das Urteil ist aber nur möglich, weil der Autor Humanismus eng führt und nahezu schicksalhaft an humanistische Organisationen wie den HVD bindet.
Baab arbeitet nicht immer historisch korrekt, nicht in der Abfolge und nicht, wer sich tatsächlich auf wen bezog bzw. beziehen konnte. Er versteht sich durchgängig als Philosoph mit theologischem Hintergrund. Ludwig Marcuse kommt bei Baab nicht vor, er verwechselt ihn mit Herbert Marcuse.
Baab benutzt allerdings die Exil-Debatten von 1935, um seine zentrale These einzuführen, nämlich die "Allianz zwischen Humanismus und Sozialismus, die im Westen von Denkern wie Erich Fromm vertieft wurde und in den Ländern des Warschauer Paktes Niederschlag in der Selbstbezeichnung des eigenen Denksystems als 'sozialistischer Humanismus' fand".
Alter und neuer, harter und weicher Humanismus
Baab unterteilt sein Werk in zwei etwa gleich große Abschnitte: I. Humanismus, historisch betrachtet und II. Humanismus heute. Eine Bilanz schließt die Ausführungen ab. Der Autor entwickelt seine Darlegung zunächst in drei Schritten, die den Abschnitt I.A. teilen:
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Semantik, 2. Pragmatik I, 19. Jahrhundert: Niethammer, Wachler, Hagen, Voigt, um dann gleich zu kommen auf Ruge, Marx, Stirner, mit den Gegenprogrammen Schopenhauer, Nietzsche, eingeschoben wird Paulsen.
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Pragmatik II, 20. Jahrhundert: Spranger, Plessner, Herbert (diesmal richtig) Marcuse, Maritain, Sartre, Rahner, Szczesny, Fromm, Foucault.
Das alles endet in der Einschätzung, damit sei das "Ende der harten Humanismen" gekommen.
Baab unterscheidet, bevor er auf die heutigen Humanisten stößt, einen Humanismus alt (der traditionelle gilt ihm als der "harte", auf Gemeinschaftlichkeit setzende Humanismus) und einen neuen, denjenigen, den diese Bewegungen haben, jedenfalls wie er es deutet. Dieser gilt ihm als "weicher" Humanismus, weil er auf Individualität statt auf Gesellschaft setze. Die Unterscheidung des Schwerpunktes alt = hart = Gesellschaftsorientierung und neu = weich = Individualitätsorientierung bedarf sicher noch näherer Überlegungen, denn man kann die gesamte Humanismusgeschichte, inklusive den Humanitätsgedanken, als Entdeckung der Individualität beschreiben, gerade den Renaissance-Humanismus.
Zu Baabs Befunden zum deutschen "säkularen Humanismus", zu dem er mit einiger Berechtigung Erbfolgen aus dem amerikanischen "secular humanism" feststellt (Paul Kurtz), um dann, mit Ossip K. Flechtheims Antizipation eines "Humansozialismus" beginnend, einen weicheren Humanismus zu erkennen glaubt.
Zwar zeige das III. Manifest von 2003 schon einige Aufweichungen, der Kern sei aber noch gleich: "Neben der unhinterfragten Grundlage des Szientismus fällt vor allem ein immer noch uneingeschränkt optimistisches teleologisches Denkmuster auf: Die Fortentwicklung der Menschheit hin zu einem utopischen Ziel der Weltgemeinschaft". Baab gibt gute Beschreibungen wesentlicher Textergebnisse der schreibenden Zunft der Säkularen.
Baab gibt vor allem Hinweise, die belegen sollen, dass in den 1970ern Humanismus neu beginnt, was man so sehen kann, aber ob er mit dem HVD neu einsetzt? Im vorliegenden Buch jedenfalls unterscheidet er "alten" und "neuen" säkularen Humanismus, der "neue" wird für ihn zu einem "pastoralen Glücksfall", den in seiner Konsequenz Eberhard Tiefensee im Geleitwort auf den schon zitierten Punkt bringt.
In die einzelnen Abschnitte eingewoben sind immer wieder Erörterungen, in denen der Autor in Inhalt und Stil das wissenschaftliche Feld verlässt. Besonders auffällig ist dies in der nahezu bekenntnishaft gefassten Aufzählung der Argumente gegen den Humanismus mit dem Fazit "Ende einer 'großen Erzählung'" (S. 108-125; Teil I.B.). Die Liste der Mängel des Humanismus ist lang: Sakralisierung des Menschen, Unterbestimmung der Animalität, Erniedrigung des Menschen, Fehlen eines transzendenten Rahmens, Essentialismus, Variabilität, Anthropozentrismus, Utopismus.