KÖLN. (hpd) Getreu dem Motto 'variatio delectat - Abwechslung erfreut', lud die Regionalgruppe Köln der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs Köln) am vergangenen Mittwoch erstmalig zu einer Veranstaltung in Bonn ein.
Dank der Zusammenarbeit mit der Thalia-Buchhandlung, die am Bonner Marktplatz im geschichtsträchtigen Gebäude des ehemaligen Metropol-Kinos residiert, konnte im wunderschönen Kuppelsaal eines ehemaligen Kinosaals trefflich vor Publikum diskutiert werden.
Vorgenommen hatte sich die gbs Köln diesmal eines der großen "klassischen Themen", die deswegen zum Klassiker geworden sind, weil sie wieder und wieder neu herumgewälzt werden, obwohl man doch eigentlich meinen sollte, dass sie wahrlich seit langem ausdiskutiert sind: Gibt es einen Gott?
Hierzu waren geladen und gekommen ein Gläubiger und ein Ungläubiger, die zusammen ein Buch geschrieben haben namens "Streit über Gott": Ein, wie der Ungläubige konstatierte, "merkwürdiges Unternehmen, das wie aus der Zeit gefallen wirkt".
Die beiden lasen jedoch nicht aus dem Buch vor, sondern gaben eine live vorgetragene Variante der Diskussion; nach Einschätzung einiger, die das Buch gelesen hatten, letztlich konträrer und spannender als dort selbst, was sicher auch das Verdienst der ausgewogen agierenden Moderatorin Ingrid Matthäus-Maier war.
Der Gläubige, weithin eher bekannt für seine Ansicht bezüglich der Deutschen Rentenversicherung, als dafür, dass er studierter Theologe ist, war niemand Geringeres als Bundesminister a.D. Norbert Blüm. Der Ungläubige war Peter Henkel, der ehemalige Landeskorrespondent der Frankfurter Rundschau.
Für Zuhörer, die sich noch nie mit der Argumentation eines gut gerüsteten Atheisten befasst hatten, dürfte die Veranstaltung sehr lohnend gewesen sein - aus säkularer Sicht vor allem deswegen, weil Henkel stets die deutlich erkennbar schlüssigeren und logisch tragfähigeren Argumente vorzutragen wusste. (Norbert Blüm hat Letzteres selbstverständlich bis zum Schluss ganz anders gesehen...)
Wer sich jedoch schon etwas länger oder zumindest eingehender mit der Thematik beschäftigt hatte, und erwartete, von Seiten des Theologen Blüm noch einmal ein paar Aspekte zu vernehmen, die zumindest des einmal Darüber-Nachdenkens wert sind - man begegnet so etwas ja tatsächlich ab und zu einmal - wurde hingegen auf ganzer Linie enttäuscht:
Das Niveau Blüms ließ leider durchgehend zu wünschen übrig und erschöpfte sich fast ausschließlich in unsortierten Gedankengängen, Zirkelschlüssen, Wunschdenken und logischen Widersprüchen sowie ausgesprochener Dünnhäutigkeit, und nicht zuletzt auch der nach Theologenart gut einstudierten Technik der Selbstimmunisierung, wenn argumentativ nichts mehr geht.
Für den versierteren säkularen Humanisten war es somit lediglich interessant, aus psychologischer Sicht mit anzusehen, wie sich ein Gläubiger windet, um nur ja nicht das Offensichtliche eingestehen zu müssen. Fraglos ein eher zweifelhaftes Vergnügen...
Im Folgenden ein paar besonders denkwürdige Schlaglichter, die die Argumentationsweise der beiden Kontrahenten repräsentativ darstellen.
Nach einer relativ ausführlichen Vorstellung der gbs durch Frank Hichert legte Ingrid Matthäus-Maier dar, dass sie mit beiden Gästen Gemeinsamkeiten habe: Mit dem einen habe sie jahrelang im Bundestag gesessen, mit dem anderen teile sie die Weltanschauung - weitestgehend, denn sie bezeichne sich nicht als Atheistin, sondern als atheistische Agnostikerin, denn sie könne nicht mit vollkommener Sicherheit sagen: Es gibt keinen Gott.
Aber die Beweispflicht liege ja ohnehin bei dem, der eine unwahrscheinliche Existenz, wie etwa die des Fliegenden Spaghetti-Monsters, behaupte. Da protestierte Norbert Blüm aber vehement, womit man direkt in medias res gelandet war:
Blüm: Warum denn das? Warum soll die Beweispflicht denn bei mir liegen, Herr Henkel und ich behaupten, dass ja und dass nein, das ist doch dieselbe Ebene. Kants Feststellung, dass man, bloß weil man sich 1.000 Taler wünscht, sie noch lange nicht hat, ist ja eine ganz andere Frage, als die nach Gott, denn: die Anlage zur Transzendenz unterscheidet uns von den Tieren.
Henkel: Existenzielle Sehnsüchte sind psychische Phänomene; aus diesen die Existenz Gottes abzuleiten, ist falsch. Das Bedürfnis, ein Dach über dem Kopf zu haben führt nicht zur Existenz eines Hauses. Die Entstehung von Religion kann man aus der Menschheitsgeschichte erklären, denn Menschen mussten sich auf Naturphänomene, z.B. Regenbogen, einen Reim machen, diese Erklärungen hatten aber natürlich mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Später vergaßen die Menschen, dass sie die Religionen selber geschaffen hatten.
Henkel: Vollkommenheit - wir alle begegnen Dingen, die wir uns schöner, perfekter vorstellen können. Uferloses Vollkommenheitsdenken hat mit unserer Realität aber nichts zu tun, nur wenn es übersteigert wird nach Philosophenart. Die Ursache dafür ist dann der vermeintliche Gottesbeweis. Und woher kommt beim infiniten Regress am Anfang Gott? Warum die Fragenkette dort beenden, wo es einem in den Kram passt?
Blüm: Weil er Gott ist. Wenn er wie wir wäre, dann bräuchte er eine Ursache. Aber er braucht sie nicht. Daher ist er Gott.
Henkel: Norbert Blüm ist das Ebenbild Gottes. Aber nicht nur er, was ist mit Hitler, was mit Pol Pot? Wie kann von einem Wesen, das vollkommen ist, etwas so Unvollkommenes wie diese Schöpfung hervorgehen?
Blüm: Ja, das ist der schwierigste Teil. Warum lässt Gott das Böse zu? Gott hat uns Freiheit gegeben, der Mensch ist kein Automat, wir sind zur Sünde fähig. Auschwitz haben die Menschen gemacht. Pol Pot ist ein verunglücktes Abbild Gottes. Diese Frage kann nicht befriedigend beantwortet werden. Karl Rahner sagte dazu: Es ist ein Teil der Unbegreifbarkeit Gottes.
Henkel: Und Tsunamis?
Blüm: Gott nimmt uns die Entscheidung nicht ab. Eventuell trägt der Mensch ja Mitschuld an Tsunamis. Wer weiß, vielleicht wird sich das irgendwann herausstellen!
Henkel: Aber im alten wie im neuen Testament, in der Predigt, überall wird Gott als ein handelndes Subjekt vorgestellt, wird um Hilfe angefleht, es gibt Fürbitten, er wird als intervenierendes jenseitiges Wesen hingestellt. Zu sagen, es geht nur um die Freiheit, das passt nicht! Warum greift Gott nicht an den richtigen Stellen ein?
Blüm: Meine Gottgläubigkeit ist auf Zusammenwirkung angelegt. Ich kann zu ihm beten.
Henkel: Sie führen ein Selbstgespräch, Herr Blüm!
Blüm: Dann haben Unzählige über Jahrmillionen mit sich selbst geredet!? Ich fordere etwas mehr Respekt und Toleranz!
Henkel: Die Folge von Unglaube ist die ewige Verdammnis, laut Bibel von Jesus persönlich gesagt. Wenn ich aber von meiner Freiheit, zu glauben oder nicht, Gebrauch mache, dann kommt da jemand und sagt: dann landest du auf ewig in der Hölle! Wo liegt da die Wertschätzung meiner Freiheit bei Gott? Das ist eine Perversion von Freiheit!
Blüm: Es ist wie bei Mord. Es gibt auch Strafe.
Henkel: Unglaube ist aber kein Verbrechen, das Strafe nach sich ziehen kann!
Blüm: In der Tat, aber wie die Waagschale aussehen wird, kann ich nicht beurteilen. Wie das mit Gottes Gericht ist, weiß ich nicht. Gott nimmt mich ernst. Nichtglauben ist Versagen!
Henkel: Nichtglauben ist kein Versagen!
Blüm: Man hat für sein Leben Verantwortung!
Blüm: Schon im 19. Jahrhundert bestand der Glaube, die Wissenschaft werde alle Probleme lösen. Aber keine These wurde nicht widerlegt. Unsicherer ist der Glaube auch nicht. Die meisten Probleme scheitern an moralischen Defiziten, nicht an Wissensdefizit, keine Informatik, kein Computer kann uns sagen, was der Mensch soll.
Henkel: Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, aber Sie gehen hier nicht ganz redlich vor: Sie nehmen ein winziges Kapitel der abendländischen Geschichte (Haeckel) auf und generalisieren es. Wenn wir in heutige Publikationen schauen, wo sehen Sie die Behauptung der Allzuständigkeit? Die Sicherheit der Wissenschaft ist genauso wacklig wie die des Glaubens? Das kann doch eigentlich nicht Ihr Ernst sein: es gibt Prozesse, die man messen kann, die reproduzierbar sind. Noch kein Flugzeug ist abgestürzt, weil ein Naturgesetz versagt hätte. Welche einzige Erkenntnis gibt es, die der Glaube gebracht hat, um die Welt besser zu verstehen?
Blüm: Schon morgen könnte das Flugzeug aus anderen Gründen abstürzen.
Henkel: Aber Herr Blüm! Warum können wir uns nicht auf einen Sockel von gesichertem Wissen einigen? Zu sagen, alles was die Wissenschaft weiß, ist wacklig, weil man einiges nicht weiß, ist abenteuerlich! Den Umstand, dass sich die Erde um die Sonne dreht, hat nicht der Glaube ermittelt, sondern die Wissenschaft. Oder wollen sie sagen, das sei wacklig?
Blüm: Ich weiß, dass mein Glaube Glaube ist. Der Kosmos ist wacklig, dieses Detail, na ja...
Blüm: Aber dass Galilei herausfinden konnte, dass sich die Erde um die Sonne dreht, liegt an der Weltanschauung, dass die Welt verfügbar ist. Wo Berge Götter waren, war dies nicht möglich. Mache dir die Welt untertan: der Auftrag zur Welterkenntnis. Ingenieurskunst wäre in einer Naturreligion nicht entstanden. Einwand aus dem Publikum: Und warum hat das Christentum dann erst einmal die abendländische Ingenieurskunst, die sehr wohl ohne es entstanden ist, vernichtet?
Blüm: Ich habe nicht gesagt, dass das Christentum hier ein Monopol hat.
Henkel: Zum ethischen Wert der heiligen Schriften: Gott tritt als grausam agierendes Subjekt auf: "Warum habt Ihr ihre Frauen am Leben gelassen, nun bringt alle Männer um und alle Frauen, nur nicht die, die noch nicht mit einem Mann geschlafen haben!" Und der Sündenfall ist eine Variante von Sippenhaft, ewiger Sippenhaft, sie sollte jeden anständigen Menschen empören! Die Goldene Regel hingegen ist ein Gegenbeispiel, dafür braucht man aber keine Metaphysik, sondern einfaches Überlegen: den säkularen Humanismus.
Blüm: Liebe geht nur zwischen Personen, daher glaube ich, dass Gott die Welt erschaffen hat, ein Gott, zu dem ich Du sagen kann.
Henkel: Entscheidend ist doch, wie gut die Gründe sind, es zu glauben. Sie, Herr Blüm, bringen immer nur Ihre Bedürfnisse vor, aber die bringen einfach nichts zur Frage der Existenz!
Die Tatsache, dass Blüm hier also auf der naiven Augenhöhe eines "gewöhnlichen" Gläubigen argumentiert, zu verstehen im Unterschied zum durch theologische Fakultäten geschulten und auf den nautisch neuesten Stand der Erkenntnisumschiffung gebrachten Rabulisten, machte ihn letztlich auf eine Art auch schon wieder fast sympathisch.
Und beim anschließenden gemeinsamen Bier konnte man ihn dann auch wieder so fröhlich, herzlich und rheinländisch erleben, wie man ihn kennt. Wie so oft bei Anhängern von Ideologien: geht es um andere Themen, sind sie plötzlich angenehme Zeitgenossen...
Verständlich allerdings ist es auch, dass die Moderatorin, von der man ja ohnehin nicht eine Haltung ohne jeglichen Standpunkt erwarten sollte, die angestrengt eingehaltene Neutralität ganz zum Schluss aufgab - an einem Punkt, wo Neutralität auch fehl am Platze gewesen wäre, denn es wurde eine (wenn auch schwer zu definierende) Grenze überschritten.
Der Abend endete mit ihren Worten: "Die Behauptung, dass Nichtglauben Versagen sei, macht mich stinkesauer!"
Constanze Cremer