"Urzeit in Gießen entdecken"
Im zweiten Abschnitt der Tagung wurde es dann entspannter. Julia Brennecke und Anne Spitzner, Mitarbeiterinnen des verhinderten Prof. Dr. Hans-Peter Ziemek (Institut für Biologiedidaktik) berichteten mit vielen Fotografien über "Evolutionsbiologie im öffentlichen Raum" der Stadt Gießen und zwei Ausstellungen in der Stadt. Zum einen die Austellung "Dinosaurier - Giganten der Urzeit" (24.4. – 18.7.2010). Hier wurden 63 Plastiken von Dinosauriern auf Tiefladern zu verschiedensten Standorten als touristische Attraktion in die Innenstadt gebracht. Als die Nachfrage nach Informationen wuchs, wurde die Biologiedidaktik dazu gerufen und die Studenten engagierten sich mit insgesamt 250 "Dino-Patrouillen", öffentlichen Führungen mit detaillierten Erläuterungen. Im Rahmenprogramm gab es eine Justus-Kinder-Uni, Schulbesuche, Fortbildungen, eine Ringvorlesung, einen "Dino-Entdecker-Pass" für Kinder, und die Begleitung wie Auswertung durch wissenschaftliche Arbeiten.
Die zweite Ausstellung folgte zwei Jahre später (17.5. – 15.7.2012): "Urzeit in Gießen entdecken. Was nach den Dinosauriern kam." Auch inhaltlich konsequenter in der Abfolge der Exponate geplant, untergliedert in "Die Heldentiere der Erdzeitalter", gab es 350 Führungen mit rund 10.000 Teilnehmern. Der "Star" war das Mammut-Modell. Das Prinzip war bei beiden Ausstellungen das gleiche: "Merchandising" mit Wissensvermittlung. Das hat funktioniert.
"4 Milliarden Jahre auf 50 Metern"
Ricarda Hinz, vielen als Filmemacherin und "Videoteuse" bekannt, berichtete, wie die Evolution in die Schule kam. In Zusammenarbeit mit der Schulsozialarbeiterin der Theodor-Heuss-Grundschule in Düsseldorf wurde der Plan einer großartigen Wandbemalung auf 50 m Flurlänge über die Evolution entwickelt und mit den Kindern und Lehrern – und maßgeblicher Hilfestellung von Jacques Tilly - realisiert.
Die Lehrerinnen waren erst skeptisch, ob das Thema für den Grundschulunterricht nicht zu kompliziert sei. Doch dann zeigte sich, dass Evolution ein zentrales Thema ist, in dem "alles drin" ist, auch Kindgerechtes. Es fand einhellige Zustimmung, wie auch der bei der Eröffnung anwesende Düsseldorfer Oberbürgermeister meinte, dass der Unterricht (erst) in der Oberstufe zu spät sei und das Thema in die Grundschule müsse.
Durch den Bericht und die beiden Filme von Ricarda Hinz bereits in heitere Laune gebracht, versetzte dann der Bericht der Schulmanagerin der Humanistischen Grundschule in Nürnberg-Fürth, Ulrike von Chossy, einen großen Teil der Zuhörer in Begeisterung.
…"Da kommt keiner"
Sie berichtete über die Schwierigkeiten einer Schulgründung, die erst als Freie Schule mit besonderem pädagogischem Konzept gegründet werden sollte, aber abgelehnt wurde, da sie nicht zur Ehrfurcht vor Gott erziehe. Da es um eine weltanschauliche Schule ging, wurde dem HVD in Nürnberg nach vier Jahren Klagen und zwei Gerichtsverhandlungen geraten, die Schule als "atheistische Schule" zu beantragen, was dann auch genehmigt wurde, denn "dann wissen die Leute, woran sie sind". Die Kirchenvertreter hatten dem Stadtrat empfohlen: "Lass sie, der Markt wird’s richten, da kommt keiner." Jedoch das Gegenteil ist der Fall. Die 12 Kitas plus die Schule haben mittlerweile mehr als 1.000 Plätze.
Humanistische Pädagogik ist personenorientiert, beschäftigt sich mit Verhalten, basiert auf wertbezogenen Grundsätzen pädagogischen Handels, beschäftigt sich mit Werten und Gefühlen und klärt auf im Sinne aktiver Wissensaneignung statt Wissensvermittlung.
Hinsichtlich der SchülerInnen lauten die Grundsätze: Alle sind willkommen, keine Missionierung: Wir reden nichts ein und nichts aus, weltlicher Humanismus setzt eigenes kritisches Denken voraus, Manipulationen oder die Vermittlung absoluter Wahrheiten sind ihm fremd, Philosophieren mit Kindern ab dem dritten Lebensjahr, Evolution ab dem dritten Lebensjahr (bereits in den Kitas).
Religion ist in dieser Schule etwas für die Gefühlswelt, ein emotionales Krisenmanagement, und hat nicht mit Wissenschaft zu tun. Gefühle sind weder richtig noch falsch, sie sind das eigene Erleben. Wissen jedoch kann geprüft werden; und das können die Kinder selbst erkennen und herausfinden.
Ulrike von Chossys machte detaillierte Ausführungen darüber, dass jeder nur von sich selbst sprechen kann, niemals jedoch über ein "Wir". Sie fragte deshalb, wie man im Schulalltag dennoch ein notwendiges "Wir" erzeugen kann. Und erklärt, wie sie mit der Krisensituation umging, als zum Beispiel eine schwer behinderte Mitschülerin plötzlich starb. Sie erzählte von SchülerInnen, die bereits in weiterführende Schulen gehen und zu Besuch kamen um zu berichteten, dass sie dort am Religionsunterricht teilgenommen hätten. "Der Pastor wollte mir sagen, was ich zu glauben habe" hörte sie, und: "das sei langweilig". Ulrike von Chossys Beispiele vieler kleiner pädagogischer Beispiele des Schulalltags, die darauf basieren, dass die Kinder und Jugendlichen, in Gruppen oder selbständig, erarbeiten, was richtig und was falsch ist und nur bei Bedarf die Lehrer um Mithilfe bitten, überzeugten viele der Zuhörer.