Atheisten schauen gerne etwas genauer hin, wenn die Theologen "erbauliche" Bibelstellen präsentieren. Denn immer wieder zeigt sich, dass der zugrundeliegende Bibeltext für den jeweiligen Zweck regelrecht vergewaltigt werden muss.
Wieder und wieder hat man bei der Überprüfung solcher Bibelverse diesen Eindruck. Selbst Theologen haben offenbar Schwierigkeiten, in der Bibel Aussagen zu finden, die für die heutige Zeit relevant und zugleich ethisch akzeptabel sind.
Theologen machen, was sie wollen, und suchen sich dann im Nachhinein "passende" Bibelverse. Wobei "passend" in Anführungszeichen stehen muss – denn die zitierten Stellen klingen oft nur passend, wenn man nicht weiß, was dort tatsächlich steht.
Das kürzlich vorgestellte Leitwort für den Ökumenischen Kirchentag 2021 ist mal wieder ein Musterbeispiel für diese biblische Leichenfledderei.
Das Leitwort lautet "Schaut hin". Gemeint ist – im Zusammenhang mit dem Kirchentag – natürlich, bei Ungerechtigkeiten und Missständen nicht wegzuschauen.
"Präsidentin Bettina Limperg hält fest: 'Schaut' ist ein Appell – an uns alle. Schauen ist mehr als sehen. Schauen nimmt wahr und geht nicht vorbei. Schauen bleibt stehen und übernimmt Verantwortung. Aktiv Verantwortung zu übernehmen, ist unser Auftrag als Christinnen und […] 'Schaut hin' ist auch die Anfrage: Was übersehen wir? Wovor verschließen wir die Augen? Wo schauen wir weg? […]
Präsident Thomas Sternberg betont: 'Mit dem Leitwort wollen wir die Botschaft setzen: 'Wir schauen nicht weg'. […] Der Ökumenische Kirchentag will mit seinem Leitwort die Menschen zu mehr Sensibilität für die Welt in ihren zahlreichen Dimensionen herausfordern, dabei wird es im Geiste des Evangeliums besonders darum gehen, Anwalt zu sein für die Armen und Bedrängten."
"Schaut hin" soll also ein Appell sein, sensibel zu sein, nicht wegzusehen, und Verantwortung zu übernehmen.
Hätte sich dafür eine geeignete Bibelstelle finden lassen? Man möchte meinen: Ja!
Doch woher stammt das Bibelzitat "Schaut hin"? – Aus der Geschichte von der Speisung der Fünftausend im Markusevangelium, Kapitel 6, Vers 38:
Er [Jesus] aber sprach zu ihnen: Wie viele Brote habt ihr? Geht hin und seht nach! Und als sie es erkundet hatten, sprachen sie: Fünf, und zwei Fische.
Nicht nur, dass in der Bibel nicht von "Hinschauen", sondern von "Nachschauen" die Rede ist – es geht im Bibeltext auch überhaupt nicht um Gerechtigkeit, Sensibilität oder Verantwortung – sondern schlichtweg um die Frage, wie viele Brote die Jünger dabei haben.
Das Motto "Schaut hin" als solches ist ja gar nicht mal so schlecht. Aber um es als Bibelzitat – ja, als Jesuswort – auszugeben, muss man nicht nur die bei Theologen so beliebte Wort-Assoziation bemühen – man muss auch aktiv ausblenden, dass das Jesuswort völlig banal ist.
Offenbar wiegen sich die ökumenischen Kirchentagsfunktionäre in der Gewissheit, dass kaum jemand die Bibelstelle nachschlägt.
Deutlicher könnte man jedenfalls kaum zum Ausdruck bringen, dass einem die Bibel inhaltlich völlig egal ist.
Erstveröffentlichung im Blog des Autoren.
19 Kommentare
Kommentare
Frank am Permanenter Link
Ich bin auch nicht sehr bibelfest aber ich erinnere dass Jesus häufiger als Abschluss der Erzählung eines Gleichnisse anfühlt wer Augen hat der sehe und wer Ohren hat der höre.
Topeka am Permanenter Link
Auf der Webseite des Oekumenischen Kirchentages zitiert man die im Artikel diskutierte Stelle des Markusevangeliums. Ist also richtig so.
https://www.oekt.de/leitwort
Constanze Cremer am Permanenter Link
Das war dann aber Teil der Predigt, nicht der Gleichnisse.
Es gibt von Jesus: "Wer Ohren hat, zu hören, der höre", aber in dem Zusammenhang, dass er über sich sagt, dass er der Sohn Gottes sei. Passt nicht.
Und vor dem Gleichnis des Sämanns sagt er: "Aber selig sind eure Augen, dass sie sehen, und eure Ohren, dass sie hören."
Das Sämann-Gleichnis passt inhaltlich aber auch null zum Kirchentag-Motto.
Wäre es das vom barmherzigen Samariter gewesen, wäre das was anderes. Das hätten die Kirchentägler dann aber auch gewusst und dann nicht so ein Banal-Zitat gewählt, sondern dieses.
Mit ein bisschen googlen hättest du das auch selber rausgefunden.
A.S. am Permanenter Link
Ob dieses Motto nicht zu einem Bumerang wird?
Wer hin schaut, sieht viele eitle Priester und Wichtigtuer, denen es nicht um die Menschen sondern nur um sich selber geht ...
Thomas B. Reichert am Permanenter Link
Die Bibel ist ein Anleitungsbuch, wie man Menschen ködern, führen, formen, trösten, programmieren ...beherrschen kann - es geht um den Aufbau und Erhalt von Sozialordnungen, wobei Deine und meine Ahnen halt die Opferl
Quelle: Handbuch zur rationalen Bibelauslegung
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Präsident Thomas Sternberger betont: dabei wird es im Geist des Evangeliums besonders
darum gehen, Anwalt zu sein für die Armen und Bedrängten.
Das klingt wie Hohn und Spott von jemanden der die Kirchen vertritt die ihren unsäglichen Reichtum durch die Unterdrückung der Menschen angehäuft hat und der durch Lügen, Betrug, Urkundenfälschung, tausendfachen Morden sowie Erbschleicherei zustand gekommen ist.
Das sind geschichtlich überprüfbare Tatsachen die die Kirchen nicht abstreiten können und
zum Teil auch noch heute so geschehen.
mtths am Permanenter Link
Wo in den im Text zitierten Stellen lehnt ein Kirchenvertreter das Motto denn an ein Bibelzitat? Das macht doch nur der Autor, in dem er fragt, ob sich dafür nicht auch ein Bibelzitat hätte finden lassen.
Sorry, aber das ist dann doch nur Kirchen-Bashing und wirkt arg konstruiert.
Matthias Krause am Permanenter Link
Das Leitwort wird ausdrücklich als "Mk 6,38" – also als Bibelvers vermarktet. Siehe hier: https://www.oekt.de/leitwort
Roland Weber am Permanenter Link
Es ist schön, dass auch einmal "Theologisches" aufgegriffen wird.
Beispiele: Einzig, dass Petrus angeblich eine kranke Schwiegermutter gehabt haben soll, führt dazu, dass man die Jünger als "normal verheiratet" ansieht. Doch weder taucht hier noch sonstwo eine Ehefrau auf, noch wird irgendwo etwas von Kindern berichtet. Das ist kein läßliches Unterlassen, sondern bewusst diffamierend geschrieben. Nicht verheiratet zu sein und keine Kinder zu haben, verstieß gegen jegliches jüdisches Glaubensverständnis und Vernachlässigen müsste man energisch anprangern sprechen, wenn Familienbande vorhanden gewesen wären.
Das beliebte Gleichnis vom helfenden Samariter ist gar eine schallende Ohrfeige für Juden. Jesus hält hier angeblich seinen Jüngern etwas vor, was kaum auf Verständnis bei seinen Jüngern gestoßen wäre. Juden und Samariter waren zu dieser Zeit verfeindet. Mit einem helfenden Juden wäre der gleiche Inhalt zu vermitteln gewesen. Wurde er aber bewusst nicht! Auch dahinter verbirgt sich eine ganz andere, nämlich eine einen angeblichen Messias diffamierende Strategie.
Jesus tat übrigens nie etwas für andere! Sein einziges Handeln bestand im (angeblichen) Heilen, die aber keinerlei Opfer erforderte. Die Geschichte mit der Ehebrecherin, die er vor einer Steinigung bewahrte, ist eine ins Johannes-Evangelium später (!) aufgenommene Geschichte. Aber auch hier wird weder der Ehebrecher noch das Unverhältnismäßige nicht einmal erwähnt bzw. thematisiert. Ihm genügen auch hier nur Worte.
Die Evangelien sind voller bewusst gesetzter Absurditäten und Desavouierungen. Man muss sich nur einmal für das Denken statt glauben entscheiden. Allein schon die Römer-Freundlichkeit der Texte müsste jeden, der die römische Besatzungszeit um 30 im Blick hat, stutzig werden lassen.
Man sollte immer mal Stellen nachlesen, die als "erbauend" angeboten werden. Man wird sehr schnell stutzig werden! Schon die Theologie als Ganzes ist "falsch"!
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Naja, die Ärmsten haben es aber auch schwer. Wenn es nicht gerade ums Steinigen geht, hat die Bibel nur wenig Schwergewichtiges zu bieten.
Was für ein Vertrauen (2019)" zu "Schaut hin (2021)" - alles Musterbeispiele für absolut Banales. Aber mehr gibt die Kladde eben nicht her, was will man da machen?
Willie Stenzel am Permanenter Link
Da hat Matthias mal wieder genau hingeschaut und wir werden kurzzeitig zu Schaulustigen.
Martin Franck am Permanenter Link
Ein weiterer Beweis dafür, daß die meisten Christen ihre Bibel weder kennen, geschweige denn verstehen.
Warum belässt man es nicht einfach bei Schaut hin?
Man muß es mit einem Zitat bekräftigen. D.h. man belügt die anderen, und hält sie für so dumm, daß sie es nicht nachsehen. Eine ganz schöne Chuzpe.
Man behauptet einfach etwas: God said it. I believe it. That settles it.
D.h. erst kommt die Aussage, dann sucht man etwas, um dem Ganzen Gewicht zu verleihen, und zitiert außerhalb des Kontextes.
Jeder Christ kann damit erkennen: Er wird für dumm verkauft und belogen.
Aussagen sind völlig beliebig und unfundiert.
Intra ecclesiam nulla salus, innerhalb der Kirche gibt es kein Heil.
Man kann nicht gleichzeitig Christ sein, und Kirchensteuerzahler bleiben.
Wer also Christ bleiben will, muß lernen die Bibel selbst zu lesen. Nur wird er dann feststellen, daß alleine schon das Gottesbild widersprüchlich ist, und man keine Aussagen über ihn treffen kann. Man kann also diese Stellen nur als Versuche interpretieren, etwas damals Unverständliches zu beschreiben, ohne Antworten zu liefern.
Auch wird er erkennen, daß es sich bei Jesus nicht um eine historische Figur handelte, sondern sie genauso fiktiv ist wie Abraham, Moses, Elias und andere. Jesus war im NT auch nicht wesensgleich mit den anderen des Trios. Die Juden kannten auch keine Erbsünde, von der einem ein Jesus erlösen könnte.
Man kann sich auf das Sitz im Leben der damaligen Autoren konzentrieren. Die Texte nehmen dann den Stellenwert ein wie andere Geschichten, z.B. von Gustav Schwab: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums, oder aber modernere Mythen, wie die Bücher von J.R.R. Tolkien oder die Star Wars Filme.
Ohne Kirche wird das Christentum viel reicher. Die Kirchensteuer kann man sich dann lieber sparen.
Wer aber weiter Kirchensteuerzahler bleibt, der unterwirft sich einem Machtapparat. Eine Institution die die eigenen Mitglieder verachtet und belügt.
Gut einige mögen es gerne devot und submissiv, und zahlen gerne Geld dafür.
Man muß sich nur im Klaren darüber sein, was man will.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Tatsächlich heißt es sowohl in der neuesten katholischen als auch in der neuesten evangelischen Übersetzung „Geht (hin) und seht nach!“ .
aus www.oekt.de/leitwort :
„Es ist unser gemeinsamer Auftrag als Geschwister im Glauben an den Gott, der hinschaut.“...„Denn zu allererst schaut Gott hin.“
Ist das nicht eine deutliche Thematisierung des Theodizee-Problems ? Wenn wir so hinschauen wie Gott es tut, dann nennt man das GAFFEN.
„In diesem Sinne wollen wir beim Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt in die Welt, auf die Sorgen und Ängste der Menschen schauen und mit ihnen gemeinsam nach Lösungen suchen.“
Offenbar verstehen sich die Organisatoren des Kirchentages nicht als Menschen; sind sie etwa Aliens ? Oder Engel ? Die jetzt mal – ausnahmsweise – auf die Sorgen und Ängste „der Menschen“ schauen wollen ? Und – auch ausnahmsweise - „gemeinsam“ mit den Menschen nach Lösungen suchen wollen ?
Klarsicht(ig) am Permanenter Link
Eine alttestamentliche Horrorgeschichte dient(e) als Musical !
Zitat: „Atheisten schauen gerne etwas genauer hin, wenn die Theologen "erbauliche" Bibelstellen präsentieren.“
Ja, wohl zumindest manchmal schauen sie genauer hin.
Insbesondere dann sollten nicht nur sie genauer hinschauen, wenn seitens „Glaubens-Infizierter“ Kinder und Jugendliche als „Transportmittel“ benutzt werden, „alttestamentliche Horrorgeschichten“ unten den Gesellschaftsmitgliedern zu verbreiten.
Aus der „erbaulichen Horrorgeschichte“ um Isaak (1) hat man (2, 3) ein Musical mit dem Titel „Isaak- So sehr geliebt“ produziert, in dem angeblich 70 Teens auftre(a)ten.
Auf das Musical hat man mich mit einem Flyer, den ich meinem Briefkasten fand, aufmerksam gemacht. Am 17. 10. 2019 wurde es in der Aula der Schule aufgeführt, die sich ganz in der Nähe meines Wohnortes befindet. Veranstalter war die Christliche Gemeinschaft ev.-luth.
Mit dem Musical begab man sich im Oktober 2019 mit 160 Auftritten auf Tournee. Ich behaupte, es waren wohl 160 Auftritte, die dem Versuch dienten zu missionieren – mit Jugendlichen.
Für die Produzenten und Mitwirkenden des Musicals hat die Horrorgeschichte um Isaak ganz offensichtlich eine Leitbildfunktion !
Zitat: „Isaak. Drei Tage soll die Reise dauern. Für den kleinen Isaak ist es ein Abenteuer. Für seinen Vater Abraham ist es die schwerste Prüfung seines Lebens. Denn nur er weiß, dass seinem Sohn in Morija der Tod droht… Unterwegs lernt Isaak die Geschichte seiner Familie kennen. Er erfährt, warum er ein absolutes Wunschkind ist und staunt über den unsichtbaren, rätselhaften Gott Abrahams.
Adonia bringt ein biblisches Familiendrama voller Liebe und Vertrauen auf Deutschlands Bühnen. Begeisternde Musicalsongs aus eigener Feder verleihen der jahrtausendealten Geschichte ein neues Gesicht. Ermutigend und herausfordernd. Mit ihrer Kreativität und Energie wird es den jungen Mitwirkenden auch dieses Jahr gelingen, das Publikum zu begeistern. In kürzester Zeit haben sie die 13 Songs, Theater und Choreographien im Musicalcamp einstudiert und sind nun auf einer viertägigen Konzerttournee.“
Quelle mit Video: https://www.adonia.de/konzerte/teens-chor-live-band_9
Verweise:
(1) Die „Versuchung“ Abrahams und seine Bereitschaft, seinen Sohn Isaak als „Brandopfer“ für den „Bibeldämon“ zu grillen:
https://klarsicht-blog.blogspot.com/2019/09/die-versuchung-abrahams-und-seine.html
(2) Adonia:
https://www.adonia.de/konzerte/teens-chor-live-band_9
(3) Adonia (Jugendorganisation):
https://de.wikipedia.org/wiki/Adonia_(Jugendorganisation)
Gruß von
Klarsicht(ig)
Nora Koch am Permanenter Link
Solang über die Bibel gesprochen wird gewinnt die Bibel.
lorenz am Permanenter Link
Nein, es kommt ganz darauf an, WIE darüber gesprochen wird. Totschweigen ist keine Option.
Peter Wolber am Permanenter Link
Ich hätte schon einen Vorschlag für den Kirchentag 2022: Sacharja 11,12: "lasst es bleiben"
Martin Mair am Permanenter Link
Diese Haarspalterei das ist aber kein HUMANISMUS! Nur noch ärgerlich diese aufgeblasene Besserwisserei.
Was eher am Zitat zu kritisieren wäre, ist wohl die Wundergläubigkeit. Dass Erwachsene Menschen so tun, als hätten die wirklich statt gefunden (mit den Massen über die keiner berichtet) und seien nicht bloß metaphorische Ausschmückungen. Politische Glaubensgemeinschaft (Parteien) schneiden heutzutage auch gerne mal etwas auf, da stimmt auch vieles nicht, was behauptet wird ... Marxgläubige (und sonstige Ideologiegläubige) sind auch mitunter kurios beim zitieren ihres Idols ;-)
Martin Mair am Permanenter Link
Wie schrieb schon Ludwig Feuerbach: Religon ist menschlich, allzu menschlich. Solche Gschichterln sind eher zum Schmunzeln.